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Anfänge der Reformation in der Schweiz vor 500 Jahren

Zwei Rauchwürste und eine Schrift gegen die Fastengebote

Am Aschermittwoch am 2. März begann in diesem Jahr 2022 die österliche Fastenzeit der katholischen Kirche. Vor 500 Jahren verhöhnte der Buchdrucker Christoffel Froschauer in Zürich diese kirchliche Fastenpraxis mit zwei geräucherten Würsten. Diese Aktion und die spätere Predigt von Ulrich Zwingli stellen den Beginn der Reformation in der Schweizer Eidgenossenschaft dar.

Ulrich Zwingli

Das «Zürcher Wurstessen»

Am 9. März 1522 treffen sich ein Dutzend Männer in der Druckerei von Christoffel Froschauer. Neben dem Gastgeber befinden sich ein Dutzend Männer in seiner Werkstatt, darunter Kaufleute und Handwerker – alles angesehene Bürger – sowie zwei Priester, einer davon ist der Prediger am Zürcher Grossmünsterstift, Ulrich Zwingli.

Es ist der erste Sonntag nach dem Aschermittwoch, der Beginn der 40-tägigen österlichen Fastenzeit. Für die katholischen Christen bedeutete es damals, sich an die Fastengebote der Kirche zu halten und den Konsum bestimmter Nahrungsmittel zu unterlassen, vor allem von Fleisch. Froschauer aber missachtete bewusst diese Vorschrift, ließ zwei Rauchwürste in Stücke zerteilen und verteilte sie. Zwingli hat nach eigenen Angaben selbst aber nichts von den Würsten gegessen. 

Die Teilnehmer sorgten dafür, dass ihr Fastenbrechen sich wie ein Lauffeuer in Zürich herumspricht. Ihre Aktion war der Ausdruck unzufriedener Christen. Andere versuchten das Fastengebot zu umgehen, indem sie Tiere wie Biber oder Otter auf den Tisch brachten und kurzerhand zu Fischen erklärten, weil sie im Wasser lebten. Wiederum andere richteten Braten in Fischform an. Man konnte aber gegebenenfalls auch den sogenannten «Butterpfennig» entrichten und sich so bei der Kirche vom Fastengebot freikaufen, da man mit Geld Regeln umgehen konnte.         

Der Zürcher Stadtrat fühlte sich schließlich genötigt einzugreifen. Als eine öffentliche Ruhestörung wird die Handlung bewertet und so werden die Wurstesser vor den Rat von Zürich zitiert, um ihr Tun zu rechtfertigen. Damit aber hatten die Protestler ihr Ziel erreicht. 

Zunächst rechtfertigte sich der Buchdrucker Froschauer selbst, indem er anführte, dass seine Leute hart gearbeitet hätten, um einen Druckauftrag von einem Werk von Erasmus von Rotterdam in Eile für die Frankfurter Buchmesse fertigzustellen und diese doch nicht allein vom ewigen Brei sattgeworden wären und Fisch bei den hohen Preisen nicht möglich war. 

Zwinglis Verteidigungsschrift 

Wenige Tage später predigte Zwingli zum Thema und stand so seinem Buchdruckerfreund zur Seite. Seine Predigt wurde dann nach Ostern auch von Froschauer als Sonderdruck unter dem Titel «Von erkiesen und fryheit der spysen» (Von der Auswahl und Freiheit der Speisen) herausgegeben. Darin stellt er heraus, dass das Fastengebot menschengemacht sei und keinen Rückhalt durch die Bibel habe: «Ihr Glaube an Gott war nicht mehr so stark, dass sie auf ihn allein vertrauten (…). Töricht begannen sie wiederum, dem Diktat der Menschen zu folgen. Gleich als ob Gott etwas versäumt habe, das nun zu ergänzen und zu verbessern sei, reden sie sich ein: an diesem Tag, in diesem Monat, zu dieser und jener Zeit darfst du dies und das nicht tun. (Wobei ich nichts dagegen habe, wenn jemand zur Gesunderhaltung und Disziplinierung seines Körpers sich freiwillig Verzicht auferlegt und dabei sein Fasten nicht überbewertet …). Macht man sich selber aber daraus ein Gebot und redet sich ein, man sündige, wenn man es nicht einhält, dann heisst dies, das Gewissen brandmarken und beschmutzen (…) Kurz und einfach gesagt: Willst du gerne fasten, dann tue es! Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl!»

Es kam auch anderswo in der Schweiz zu demonstrativem Fastenbrechen, aber das «Zürcher Wurst-essen» und die Predigt Zwinglis spaltete besonders in Zürich die Bevölkerung. Zwischen Anhängern und Gegnern Zwinglis kam es zu Schlägereien. Der Zürcher Stadtrat hatte in der Zwischenzeit ein theologisches Gutachten in Auftrag gegeben. Es kommt zum Schluss, Zwinglis Argumente anzuerkennen, rät aber gleichzeitig, die Fastenbrecher zu bestrafen. Nun sah auch die Kirche Handlungsbedarf.

Ein Ketzerverfahren und der Bruch mit Rom

Am 7. April 1522 trifft eine Delegation des Bischofs von Konstanz ein und besteht auf einer Bestrafung der Beschuldigten. Nach Verhandlungen wird Zwingli die Begründung seines Angriffs auf die kirchliche Ordnung gestattet. Zwei Tage danach verurteilte sowohl die bischöfliche Delegation als auch die Zürcher Regierung den Fastenbruch. Es wird aber eine abschließende Stellungnahme der Kirche in dieser Frage verlangt. Damit erklärte sich die Zürcher Regierung als verantwortliche Instanz in kirchlichen Angelegenheiten und erkannte Zwingli als einen ebenbürtigen Verhandlungspartner in theologischen Fragen an. Der Buchdrucker Froschauer bekam eine milde Buße auferlegt.  

Der zuständige Bischof von Konstanz beschwerte sich bei den Stadtbehörden über Zwingli, so dass diese am 29. Januar 1523 zur «Ersten Zürcher Disputation» einluden. Im Rathaus fanden sich 600 Personen ein, um über strittige Glaubensfragen zu verhandeln. Zwingli sollte als Ketzer von den Dominikanermönchen überführt werden. Seinem Argument aber, dass in der Bibel nichts über Fastengebote stände, konnte die Gegenseite lediglich die Tradition der Kirche entgegenstellen. 

Der Rat ließ sich von Zwingli überzeugen und genehmigte ihm, auch weiterhin zu predigen. Außerdem befahl der Rat, dass die übrigen Leutpriester, Seelsorger und Prädikanten der Stadt und des Umlandes «nichts anderes behandeln und predigen, als was sie mit dem heiligen Evangelium oder sonst mir der rechten göttlichen Schrift belegen können». Dieser Ratsbeschluss stellt den endgültigen Durchbruch der Zürcher Reformation dar.

Zwei Wochen später kündigte der Rat einen Vertrag mit dem Bischof von Konstanz auf, demgemäß fehlbare Landgeistliche seiner Gerichtsbarkeit unterstanden. Damit nahm der Rat juristisch das Kirchenwesen selbst in die Hand. Hier bedeutete die Reformation eine Emanzipation vom Bischof. 

1524 «reinigte» man die Kirchen von den Bildern, da man das Göttliche nicht verdinglichen dürfe. Zum Osterfest 1525 hielt man erstmals eine evangelische Abendmahlsfeier. Statt eines Altars stand nun ein schlichter Holztisch in der Kirche. Die Pfarrer trugen fortan keine Messgewänder mehr. Die Abendmahlsgefäße waren aus Holz, und das Brot und der Wein wurden von den Gemeindemitgliedern selbst von einem zum nächsten weitergereicht.

Wie Luther wandte sich auch Zwingli nun gegen Traditionen der Kirche. Alles, was nicht in der Bibel belegt war, wird als menschengemacht abgelehnt. So folgte nach der Ablehnung des Fastengebots die Verwerfung der Lehre vom Fegefeuer, die Kritik am Ablasshandel sowie an der Verehrung der Heiligenbilder. Als bloße «Erfindungen» der römischen Kirche wurde nun deren Abschaffung verfolgt. Bis 1531 erschien eine vollständige deutsche Bibelübersetzung durch Zürcher Gelehrte, die Froschauer druckte. Das gläubige Volk sollte die Bibel lesen, damit es an die verheißene Gegenwart Gottes glaubt und sich so aus ihrer Unmündigkeit befreit. Zwinglis Wunsch war es, dass in jedem Schweizer Haus die Bibel gelesen und studiert wird.   

Das «Zürcher Wurstessen» hatte dieselbe Signalwirkung wie der legendäre Thesenanschlag Luthers in Wittenberg. Beide Ereignisse sind äußerliche Ausdrücke eines innerkirchlichen Reformstrebens, wurden aber als Provokationen von der Kirche abgelehnt, ohne sich der Kritik zu stellen und bahnten damit den Weg zur Reformation  –  sowohl in Deutschland als auch in der Schweizer Eidgenossenschaft.

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