Weltoffener Brite für Teamgeist und lebendigen Unterricht
Seit dem 29. Februar leitet Matthew George die Sankt Thomas Morus Schule in Santiago. Der gebürtige Brite bringt in seine neue Aufgabe 25 Jahre Erfahrung als Lehrer in Deutschland ein, davon acht als Schulleiter an einer Gesamtschule in Frankfurt.
Von Silvia Kählert
Mit dem Fahrrad unterwegs ist Matthew George nicht nur wegen der Corona-
krise. «Ich bin ein begeisterter Radfahrer»,versichert der neue Schulleiter der Sankt Thomas Schule. So wie beim Cóndor Interview in T-Shirt, Short und Fahrradhelm lernt er bereits seit Ende Februar auf seinem Rennrad Santiago kennen. Seinen Kollegen und Schülern konnte er gerade noch zwei Wochen persönlich begegnen. Seit dem 16. März befinden sich alle zuhause in Coronaquarantäne.
Wer aber Matthew George noch von einer anderen Seite kennenlernen möchte, kann dies bei den Musik-Flashmobs auf der Internetseite der Schule. Seit sechs Wochen unterstützt der vielseitig interessierte Mann mit seiner Trompete das Projekt, an dem Eltern, Lehrer und Schüler teilnehmen, um sich in dieser Zeit Halt und Kraft zu geben.
«Das Leitbild der Schule hat mich gleich bei den ersten Einstellungsgesprächen angesprochen: Dies ist eine engagierte und offene Schulgemeinschaft», meint er. Ihm ist auch aufgefallen, dass der Namensgeber der Schule, Thomas Morus, genau wie er Engländer und katholisch ist und als Vorbild für Toleranz gilt – ein Wert, der ihm sehr wichtig ist. Er stammt aus Birmingham, wo er auch zur Schule ging. Sein Vater kommt aus der katholischen Enklave Liverpool in dem sonst anglikanischen England, seine Mutter aus Irland.
Beide waren von Beruf Lehrer, so wie seine Schwester. Sie und einer seiner beiden Brüder seien nach der Schule den in den achtziger Jahren üblichen Weg gegangen: Studieren, arbeiten und eine Familie gründen. Dagegen habe sich bei ihm als 18-jähriger Schulabgänger schon eine Charaktereigenschaft gezeigt: «Mir gefällt es, Dinge auszuprobieren, etwas Neues zu wagen.» Auch ein gewisser Wagemut gehörte dazu, als sich der junge Mann 1988 ohne viel Geld nach Deutschland aufmachte. Im Schichtdienst bei der damaligen Firma Ina-Wälzlager in Herzogenaurach und in Restaurants in Hannover verdiente er sich im Frühjahr genug, um den Rest des Jahres durch Südfrankreich, Spanien oder die Türkei reisen zu können. «Außerdem wollte ich richtig Deutsch sprechen lernen. In meiner Schule hatte ich Deutschunterricht, aber ich merkte, dass ich es gar nicht im Land anwenden konnte.»
So wundert es auch nicht, dass er nach den drei Jahren «Work and Travel» zurück in England das Lehramtsstudium mit den Fächern Deutsch und Französisch aufnahm. Wie kam es aber nun, dass er nach seinem Studienabschluss an der Universität Cambridge und nach sechs Jahren als Lehrer an einer englischen Gesamtschule, entschied, diesen Beruf in Deutschland auszuüben? Immerhin 25 Jahre, von 1995 bis Anfang dieses Jahres, arbeitete er an deutschen Schulen und seit 2012 als Schulleiter an der Paul-Hindemith-Gesamtschule im Gallus-Viertel von Frankfurt.
«Der Wunsch entstand, als ich 1988 während meines Studiums für ein Jahr als Fremdsprachenassistent an die Gesamtschule in Reichelsheim im Odenwald ging», erzählt er und erinnert sich lächelnd: «Der Schulleiter holte mich persönlich in Frankfurt vom Flughafen ab. Seine Frau half mir einen VW-Käfer zu kaufen. Als Englischnachhilfelehrer war ich gefragt und ich fühlte mich sehr wohl in der Stadt und in der Schule – es war fantastisch! Beim Abschied sagte ich: Ich werde mal Lehrer in Deutschland!» Gefallen hat ihm auch der lebendige Unterricht, den er auf der Gesamtschule in Reichelsheim kennenlernte. Spätestens von da an ist er ein Anhänger des Konzepts der Gesamtschulen: «Ich bin stolz, wenn fast alle Schüler – auch die große Schwierigkeiten hatten -, am Ende einen Schulabschluss nach der zehnten Klasse in der Hand halten.»
Beim Vergleich seiner Erfahrungen in den deutschen mit denen in den englischen Schulen fällt ihm auf: «In England ist es selbstverständlich, dass sich Lehrer auch außerhalb der Unterrichtszeit engagieren. Die Identifikation der Lehrer und Schüler mit ihrer Schule ist hoch.»
Daher ist Matthew George auch bei den Musikflashmobs seiner Schule mit seiner Trompete voll Elan dabei und kann sich gut vorstellen, mit einer Fahrrad-AG seine Kenntnisse den Schülern weiterzugeben: sei es das Pflegen und Reparieren des Rads, sei es die Verkehrsregeln. Ob bei dieser AG oder beim Lehren von Sprachen, der Pädagoge betont: «Ich bin auch Lehrer geworden, weil ich Kindern und Jugendlichen etwas lebendig und mit einem Bezug zur Realität vermitteln möchte.» Wichtig ist ihm auch, dass die Schule sich künftig stärker vernetzt, weil er sich davon positive Effekte für alle verspricht.
Und was hat ihn dazu gebracht, noch einmal einen Neuanfang in Santiago zu wagen? Da spielten wieder seine Offenheit und Neugierde für andere Länder eine Rolle. Eine kubanische Freundin in Frankfurt hatte ihm auch das lateinamerikanische Lebensgefühl näher gebracht. Schließlich bewarb er sich auf Stellen bei der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen. Und wenn es nicht geklappt hätte? Dann gelte für ihn und sein Leben das Motto: «Lieber etwas riskieren und ausprobieren, als ewig zu bereuen, sich nicht getraut zu haben.»