«Jedes meiner Werke transportiert meine Gefühle und Erfahrungen»
Sigrid Sandker – Juristin und Malerin – begann ihren beruflichen Weg bei der Europäischen Union. Von Brüssel aus verschlug es sie viele Jahre nach Guayana, wo sie Kunst studierte. Inzwischen wurden die Werke der Künstlerin in verschiedenen Ausstellungen gezeigt – im Dezember auch im österreichischen Konsulat in Valparaíso.
«Eigentlich wollte ich schon als Jugendliche etwas mit Kunst machen, doch meine Eltern überzeugten mich, dass Jura die bessere Wahl sei», erzählt Sigrid Sandker. Die 45-Jährige lebt seit 14 Monaten in Santiago. Die Juristin und Malerin kam gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden neun und zwölf Jahre alten Kindern inmitten der Pandemie nach Chile. Sie stammt aus Österreich und besitzt neben der österreichischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft – ihre Mutter ist Österreicherin, ihr Vater ist Deutscher. In Wien studierte sie Rechtswissenschaften, um nach ihrem Abschluss in Brüssel für das Europäische Parlament tätig zu werden.
«Tatsächlich war es keine schlechte Entscheidung», meint Sigrid Sandker zu ihrer Studienwahl. Nach dem Abschluss der Rechtswissenschaften sei sie zunächst über ein Praktikum bei einer Abgeordneten des Europäischen Parlaments in die Welt der EU eingetaucht und war bis 2007 als Lobbyistin für die Österreichische Industriellenvereinigung – eine freiwillige Interessenvertretung der österreichischen Industrie in Europa und Österreich – unterwegs. Es sei eine schöne Zeit gewesen, in der sie mit Menschen aus ganz Europa zusammengekommen sei, losgelöst aus allen Strukturen, in denen sie bisher gelebt hatte: Familie, Schule, Universität. Zudem pflege Belgien eine ausgeprägte Kunsttradition, kommentiert sie, und die Belgier hätten einen ähnlichen Hang zur Selbstironie wie die Österreicher.
In dieser «europäischen Maschinerie» habe sie schließlich auch ihren Mann kennengelernt. Im Jahr 2007 gingen sie gemeinsam für zunächst vier Jahre ins englischsprachige Guayana. «Mein Mann arbeitete dort in der EU-Delegation. Ich selbst widmete mich wieder stärker der Kunst und begann ein Studium an der Burrow’s School of Art in Georgetown», berichtet Sigrid Sandker. In Guayana sei das Kunsthandwerk sehr ausgeprägt, und so wurde neben der Malerei auch die Arbeit mit Keramik ein neuer Schwerpunkt in ihrem künstlerischen Schaffen. Ein weiterer vierjähriger Aufenthalt folgte ab 2013. Die Lebensjahre in Guayana seien wegweisend gewesen, bemerkt die Malerin: «Dort traf die Naturschönheit auf ein extremes Ausmaß mangelnder Grundversorgung in den Bereichen Ernährung, Gesundheit und Bildung treffen.» Unter dem Leitsatz «Art for children» veranstaltete sie Keramikkurse für Kinder und leitete im Jahr 2015 in Guayana eine Wanderausstellung gegen sexuellen Missbrauch von Kindern.
Nach ihrer Rückkehr studierte die Künstlerin von 2016 bis 2020 an der Kunstakademie BKO im belgischen Ovrijse. Ihre Arbeit mit Ton führte sie hier fort: Sie gab Kurse in ihrer eigenen Töpferei «Het kleine atelier» in Tervuren. Dann folgte der Umzug nach Chile. Sich aktiv einzuleben sei aufgrund der Pandemie natürlich etwas schwieriger gewesen, meint Sigrid Sandker. Doch nach und nach entdecke sie Chile für sich. Seit August belege sie ein zweijähriges Seminar in Malerei und Kunstgeschichte Lateinamerikas an der Universidad Católica in Santiago. Hier vernetze sie sich mit Gleichgesinnten aus der chilenischen Kunstszene. Wenn sie nicht gerade malt, macht sie Yoga, schwimmt und geht auch sehr gern in Ausstellungen anderer Künstler.
Parallel zu alldem stellt sie ihre Werke aus: 2020 zeigte sie im Europäischen Parlament unter der Patronage des Österreichischen Kulturforums in Brüssel ihre sechs-
teilige Bilderserie «Lange Schatten», in der sie sich mit dem Gefühl der Kollektivschuld nach dem Zweiten Weltkrieg befasst. «Das Projekt ist ein Versuch, das Entsetzen über die Gräueltaten, die im eigenen Land stattgefunden haben, gegenständlich zu machen, aufzuarbeiten und das empfundene Gefühl der Schuld mit einem Bewusstsein der eigenen Verantwortung für aktuelle menschenfeindliche Tendenzen in Gesellschaft und Politik zu verbinden», fasst die Künstlerin zusammen.
Ihre Online-Vernissage ist in Youtube unter dem Schlagwort «Lange Schatten von Sigrid Sandker» einsehbar. Das Online-Format sei gut angenommen worden, erzählte sie.
Es fasziniere sie, welche neuen vielfältigen Möglichkeiten aufgrund der Einschränkung während der Pandemie entstanden seien. Vor zwei Jahren präsentierte sie außerdem ihre Ausstellung «Me Too» in Kooperation mit dem österreichischen Filmemacher Dieter Grohmann sowie 2018 ihren Beitrag «Melange» in einer Ausstellung österreichischer Künstler im EU-Ratsgebäude Lex während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft. «Jedes meiner Werke transportiert meine Gefühle und Erfahrungen», erklärt Sigrid Sandker, und stehe bis heute in starker Verbindung zu ihr.
Auch in Chile können ihre Werke bald besichtigt werden: Das österreichische Konsulat in Valparaíso stellt vom 9. Dezember bis 17. Dezember begleitend zu einer Buchmesse ihre Bilder aus. Vor kurzem bekam Sie die Möglichkeit einige Bilder in der Residenz des Botschafterpaares Stephan und Ursula Vavrik zu präsentieren. Gerne würde sie einmal in ihrem Heimatland ausstellen, erzählt sie, denn sie sei Österreicherin durch und durch.