Geschichte der Psychologie – Teil 5
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Psychologie als eine Wissenschaft etabliert, die oftmals an Schnittstellen mit anderen Studienfeldern zu allen möglichen Fragen des modernen Lebens Antworten liefert. In den letzten Jahrzehnten spielen Emotionen und das Leib-Seele-Problem eine große Rolle. Dabei machen jetzt die Neurowissenschaftler den Psychologen Konkurrenz.
Von Petra Wilken
Schon nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Neuropsychologie als Folge der Behandlung von hirnverletzten Soldaten entstanden. Dabei werden die Zusammenhänge zwischen dem Nervensystem, Verhalten und psychischen Vorgängen studiert. Doch seit Beginn der Hirnforschung vor rund 20 Jahren haben diese Studien eine neue Qualität bekommen. Die Psychologie scheint damit eine potente Konkurrenz erhalten zu haben, denn Neurowissenschaftler liefern ständig neue Erkenntnisse, die das Studium von Phänomenen wie Lernen, Entscheiden oder moralisches Urteilen revolutionieren. Bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) visualisieren Hirnaktivierungen oder neuroanatomische Befunde. Mit diesen Einblicken ins Gehirn, so erhofft man sich, in Zukunft zu verstehen, wie aus dem Zusammenspiel von Nervenzellen unsere Gedanken und Gefühle entstehen.
Bei aller Technologiebegeisterung gibt es aber auch Kritik. So finden Psychologen, dass die Fokussierung auf neurowissenschaftliche Befunde den Blick auf den Menschen verenge, da sie ihn mit seinem Gehirn gleichsetze. Schließlich können mittels Hirnscans inzwischen sogar Träume decodifiziert und ihre Bilder per Computer rekonstruiert werden.
Das ist vor wenigen Jahren einem Forschungsteam in Japan an der Universität Kyoto gelungen. 50 Prozent der Probanden bestätigten nach dem Aufwachen die per Computer erstellten Bilder geträumt zu haben. Gleichzeitig haben Wissenschaftler herausgefunden, dass im Traum vor allem die Bereiche des Gehirns aktiv sind, die für emotionales Empfinden, visuelle Wahrnehmung und Motorik zuständig sind.
Keine Trennung von Körper und Geist
Damit verfestigt sich einerseits das wissenschaftliche Paradigma, dass das Gehirn der Ort ist, an dem psychische Vorgänge und Verhalten entstehen. Andererseits zeigen die neuesten neurowissenschaftlichen Verfahren aber auch, dass Emotionen und Instinkte weitaus wichtiger sind als bisher gemeinhin angenommen wurde.
So rückt die Hirnforschung die Bedeutung der Emotionen, die in der Psychologie des 20. Jahrhunderts nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, immer weiter in den Vordergrund. Der portugiesische Neurowissenschaftler António Rosa Damásio (geb. 1944) veröffentlichte 1994 seine Erkenntnisse aus der Bewusstseinsforschung in dem Bestseller «Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn» und trug damit dazu bei, dass das jahrhundertelang gültige Paradigma der Trennung von Körper und Geist (Dualismus) als Irrtum erkannt wird. Damásio postuliert vielmehr einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen Körper und Geist, die sich gegenseitig beeinflussen. Nach seiner Ansicht hat sich René Descartes geirrt, als er seinen berühmten Satz formulierte, der unser Verständnis von Vernunft seitdem geprägt hat: «Ich denke, also bin ich.»
Nicht das Denken sei ausschlaggebend, sondern die Vernunft hänge vielmehr von unserer Fähigkeit ab, Gefühle zu empfinden. Empfindungen seien Wahrnehmungen der Körperlandschaften, und der Körper sei das Bezugssystem aller neuronaler Prozesse, so Damásio.
In der Medizin beschäftigt sich die Psychosomatik mit den Wechselwirkungen zwischen Körper und Seele. Sie ist ein noch recht junges Fachgebiet, das gerne belächelt wird. Eine psychosomatische Krankheit wird oft gleichbesetzt mit eingebildeter Krankheit. In Deutschland gibt es die Psychosomatik erst seit 1992 als eigenständiges Fachgebiet der Medizin. 2003 wurde sie umbenannt in Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, was auf eine neue Annäherung von Psychologie und Medizin schließen lässt.
Psychoneuroimmunologie
Eng verwandt mit der Psychosomatik ist die Psychoneuroimmunologie, die sich 1974 als medizinisches Forschungsgebiet etablierte, als der amerikanische Psychologe Robert Ader (1932-2011) nachwies, dass das Immunsystem mit dem zentralen Nervensystem zusammenarbeitet und lernen kann. Es erforscht die Wirkung der Psyche auf das Immunsystem. Die heute so häufige Diagnose Stress ist Ergebnis dieser Forschungen, die versuchen herauszubekommen, warum psychische Überanstrengung Immunfaktoren negativ beeinflussen kann.
Im deutschsprachigen Raum ist dieser Ansatz durch den Bestseller «Krankheit als Weg» in der Öffentlichkeit bekannt geworden. Die erste Auflage wurde 1983 von dem Arzt Rüdiger Dahlke 1983 zusammen mit dem Psychologen Thorwald Dethlefsen veröffentlicht. Sie erklären, dass körperliche Symptome einen seelischen Konflikt widerspiegeln und sozusagen ans Licht bringen wollen, damit der Patient ihn bewusst bearbeiten kann, was auf der Schattenlehre von Carl Gustav Jung basiert. Wissenschaftlich bewiesen ist dieser Ansatz bis heute nicht, sondern wird, wie es die Autoren selbst sagen, der Esoterik zugeordnet.
Wie Aristoteles schon sagte: Es ist ein äußerst schwieriges Vorhaben, zuverlässiges Wissen über die Seele zu erlangen. Die Zusammenarbeit von Psychologie und Hirnforschung soll heute Abhilfe schaffen. Die Kooperation mit dem Forschungsgebiet der künstlichen Intelligenz scheint noch Zukunftsmusik zu sein. Jedoch keine sehr entfernte.
Ende der Serie
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