Ein Pionierarzt in Chile
Sein Name taucht in der Medizin-Geschichte Chiles auf, besonders im Zusammenhang mit der Entwicklung der Stadt Concepción und ihrem Gesundheitswesen im 19. Jahrhundert.
Für mich war Oswald Aichel nur ein entfernter Ururgroßvater, der aus Deutschland kam und in meiner Geburtsstadt vor vielen Jahren als Arzt tätig war. Doch als meine Cousine Verena Vogt Aichel in ihrer Ahnengeschichte herumstöberte, begann auch bei mir das Interesse an diesem verdienstvollen Mann zu wachsen.
Concepción war damals eine kleine Stadt mit etwa 25.000 Einwohnern, seit ihrer Gründung im 16. Jahrhundert an der Mündung des Flusses Bío Bío gelegen und heute Hauptstadt einer bedeutenden Region Chiles. Im Jahr 1865, noch in Zeiten der deutschen Einwanderung im Süden des Landes, kam Karl Ludwig Oswald Aichel Caulier, geboren 1841 in Horneburg in Niedersachsen, nach einer strapaziösen Schifffahrt, in Concepción an. Mit einem außergewöhnlichen Lebenslauf wurde er als junger Mediziner von der chilenischen Regierung des damals amtierenden Präsidenten José Joaquín Pérez (1861 bis 1871) engagiert, um das öffentliche Gesundheitswesen in der südlichen Stadt zu unterstützen.
Erster Eierstockeingriff
Er war ein begabter Student gewesen, der sich schnell als Mediziner ausbilden ließ und in wenigen Jahren den Doktor mit Schwerpunkt Gynäkologie an der Universität Göttingen machte. Auch an den Universitäten München und Wien studierte er.
Die Herausforderungen an einen Arzt in Concepción waren immens. Von richtigen Krankenhäusern war hier noch keine Rede, es gab wenig Ärzte, kein Rotes Kreuz oder ähnliche Institutionen und die Behandlung von Krankheiten und Seuchen waren ein großes Problem.
Bald nach seiner Ankunft heiratete er Clementine Gleisner (1886), auch seit kurzer Zeit im Lande. Zwei Ihrer Brüder, Viktor und Moritz, hatten eine Gerberei in Nacimiento, eine Stadt am Bío Bío, etwa 100 Kilometer flussaufwärts. Daraus entwickelte sich die heute noch bekannte «Ferretería Gleisner» in Concepción.
Dr. Aichels medizinische Kenntnisse waren zu dieser Zeit besonders gefragt und notwendig. Nach schneller Anerkennung seiner Titel wurde er sofort dem Frauenkrankenhaus «Hospital de Mujeres» zugewiesen. Als Frauenarzt arbeitete er voller Einsatz und Liebe zum Beruf. So kam es, dass er im Jahr 1868 in Concepción zusammen mit zwei anderen chilenischen Chirurgen den ersten Eierstockeingriff (Oophorektomie) in Chile durchführte. Einer jungen Frau wurden erfolgreich Eierstöcke und Zysten entfernt – und das war für diese Zeit ein bahnbrechender wissenschaftlicher Erfolg für das Land.
Im Jahr 1870 wurde diese Operation nochmals wiederholt. Es ist heute schwer vorstellbar, unter welchen Umständen ein solcher Eingriff damals stattfand. Viel Mut und fachliche Sicherheit der Ärzte waren notwendig. Es war ein medizinischer Durchbruch, der erst heute richtig anerkannt wird.
Engagiert in Schule und Club
Dr. Aichel entwickelte sich nicht nur in beruflicher Hinsicht weiter. Im Jahr 1888 wird er zum ersten Vorstandsvorsitzenden der neu gegründeten Deutschen Schule von Concepción ernannt. Dieses war ihm ein großes Anliegen, da ihm mit seinen sieben Kindern aus der Ehe mit Clementine die schulische Ausbildung seiner Großfamilie sehr am Herzen lag. Auch vom Club Alemán war er Mitgründer.
1867 kam die erste Tochter des Ehepaares Aichel-Gleisner, Jeanette, auf die Welt. Mit aller Wahrscheinlichkeit hat er bei der Geburt mitgeholfen. Zwei Jahre später wurde Clementine geboren (die Mutter meiner Großmutter Nana Köbrich aus Concepción). Neben vier Töchtern – dazu gehören auch Amanda und Hedwig – gab es noch drei Söhne: ein Arzt, Otto, geboren 1871, der in Deutschland studierte und lange dort lebte. Die anderen beiden, Oswald und Georg, wurden Ingenieure, die auch in Deutschland studierten. Georg heiratete und gründete eine Familie in Chile, deren Nachfahren auch heute noch hier leben.
Gründung vom Ärzteverband
Es kamen schwierige Jahre für Chile: 1879 begann der Salpeterkrieg mit Peru und Bolivien, da sich Bolivien nicht an Verträge und Abkommen hielt. Fast in derselben Zeit brach eine gefährliche Cholera-Epidemie aus. Um diese richtig bekämpfen zu können, gründete Dr. Aichel zusammen mit Kollegen den lokalen Ärzteverband – die Sociedad Médica de Concepción. Dies fand in seinem geräumigen Privathaus in der Calle Comercio, heute Barros Arana, in Concepción statt. Es stellten sich schnell Erfolge ein: Ein großer Teil der Bevölkerung überstand die Krankheit.
Zwischendurch bekam Dr. Aichel auch die Erlaubnis, um in Europa Fortbildungskurse zu besuchen und wurde von der chilenischen Regierung unterstützt. Es lag ihm stets viel daran, sich auf dem Laufenden zu halten, und seine Kenntnisse kamen den Menschen der Region zugute. Diese Reisen, besonders nach Deutschland, haben sich einige Male wiederholt, auch als seine Kinder dort studierten oder arbeiteten. In München war er gern und oft. Die Beschreibung einer solchen Reise ist einen Bericht wert, denn vor 1910 gab es keine Eisenbahn, die die Reisenden schnell über die Anden brachte. Zweifellos ein Abenteuer!
Verdienste für Deutschland und Chile
Sein Tun und Rat waren landesweit angesehen, und so suchten Persönlichkeiten wie Staatspräsident José Manuel Balmaceda (1885 bis 1990) seine Hilfe. Es ging um seinen Sohn, den der deutsche Arzt dann tatsächlich heilen konnte.
Es dauerte nicht lange, bis er zum Konsul Deutschlands ernannt wurde, da er ein angesehener Vertreter seiner Heimat war. Er engagierte sich in vielerlei Hinsicht, wie zum Beispiel auch bei der notwendigen Planung und dem Aufbau eines neuen Stadtfriedhofs. Wenn man heute eine Führung über den Friedhof von Concepción macht, wird sein Verdienst dabei besonders betont.
Seine Frau Clementine starb im Jahre 1897 mit 58 Jahren. Besonders unerwartet kam der Tod von Sohn Oswald – frisch verheiratet mit nur 23 Jahren im Jahr 1901. Nachdem Dr. Aichel verwitwet war, zog er sich langsam vom anstrengenden Ärztealltag zurück. Er verbrachte mehrere Jahre in Deutschland, wo er nach einem erfüllten Leben 1913 in München im Alter von 72 Jahren starb. Seine sterblichen Reste wurden nach Chile überführt, wo er dann im Familienmausoleum des «Cementerio de Concepción» beigesetzt wurde.
Oswald Aichel war nicht nur ein Pionier auf seinem Fachgebiet, sondern auch im Privatleben ein Mensch voller Einsatzbereitschaft und Nächstenliebe. Die Bevölkerung hat das gewürdigt. Unzählige Patienten müssen wohl immer wieder ausgesprochen haben: Muchas gracias, Dr. Aichel!.