Unheimliche Abgründe der menschlichen Seele
Sigmund Freud nannte es das Unbewusste, C. G. Jung sprach vom «Schatten» und für den Krieg-der-Sterne-Bösewicht Lord Vader war es «die dunkle Seite der Macht»: Das Fantastische zieht in E.T.A. Hoffmanns «Die Elixiere des Teufels» den Menschen in seinen Bann und lässt ihn nicht mehr los.
Von Arne Dettmann
Das Schönste an der Versuchung ist, ihr nachzugeben. So ähnlich muss es sich der Mönch Medardus gedacht haben, als er heimlich in der Reliquienkammer seines Klosters von einem der Elixiere des Teufels trinkt, das der Sage nach vom heiligen Antonius stammt. Und siehe da! Sein verloren gegangenes Rednertalent stellt sich auf wunderbare Weise wieder ein. Doch das teuflische Rezept hat höllische Nebenwirkungen: Seine Liebe zur jungen Frau Aurelie steigert sich zur hemmungslosen Begierde und treibt ihn hinaus auf eine abenteuerliche Wanderschaft.
Unterwegs geschehen unvorstellbare Dinge. Durch ein Missverständnis schlüpft er in die Rolle eines verunglückten Barons und setzt dessen Liebhaberverhältnis zu Aurelies Stiefmutter Euphemie fort. Die Situation eskaliert, Medardus tötet Aurelies Bruder und Euphemie. Auf der Flucht gelangt er in ein Forsthaus, wo er auf einen Doppelgänger trifft, einen wahnsinnigen Mönch, den alle für Medardus halten, also ihn selbst. Später landet Medardus im Gefängnis, wird aber von seinem Doppelgänger gerettet. Und in Rom sieht sich der Mönch in ein Komplott um den Papst verwickelt, wobei er nur knapp seinem Tod entgeht. Zurück im Kloster schreibt er am Ende seine eigene Lebensgeschichte auf.
Einer bösen Macht ausgeliefert
Eine zu abgefahrene, überdrehte Geschichte? Durchaus. In dem fantastischen Roman des deutschen Juristen Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (geboren 1776 in Königsberg, gestorben 1822 in Berlin), erschienen 1815/16, wimmelt es an unheimlichen Begebenheiten und schicksalshaften Wendungen, denen der Protagonist ausgeliefert ist wie einer bösen Macht. Wirklichkeit und Wahnvorstellungen vermischen sich dabei, die düstere Kulisse des Romans spiegelt die psychischen Abgründe des Mönchs wider. Der Autor zeigt die Kehrseite des menschlichen Seins auf, eine Welt jenseits von Aufklärung und Vernunft, in der groteske Irrationalität, Tod und Erotik herrschen.
Es ist der kleine, Possen reißende Haarschneider Pietro Belcampo alias Peter Schönfeld, der den menschlichen Anspruch auf Logik, Willensfreiheit und Selbstbestimmtheit samt Unterdrückung der Triebe verhöhnt: «Und du magst es nur wissen, Medardus, ich selbst, ich selbst bin die Narrheit, die ist überall hinter dir her, um deiner Vernunft beizustehen, und du magst es nun einsehen oder nicht, in der Narrheit findest du nur dein Heil, denn deine Vernunft ist ein höchst miserables Ding, und kann sich nicht aufrecht erhalten, sie taumelt hin und her wie ein gebrechliches Kind, und muss mit der Narrheit in Kompagnie treten, die hilft ihr auf und weiß den richtigen Weg zu finden nach der Heimat – das ist das Tollhaus, da sind wir beide richtig angelangt, mein Brüderchen Medardus.»
Im Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen den himmlischen und dämonischen Urmächten, empfiehlt der dem Mönch, der letztendlich nach seiner Identität sucht, seinem eigenen Beispiel zu folgen: Nämlich Unerklärliches und Widersprüchliches bewusst zu akzeptieren und mit Ironie sowie Spontanität das Leben versuchen zu meistern.