Valdivia und die Wunderwaffe der Deutschen
Robert Mahler, ein sensibler jüdischer Wiener Musiker, schüchtern und Pazifist, wird ungewollt zum Helden im Zweiten Weltkrieg. Er emigriert nach Valdivia und verhindert dort, dass eine Gruppe einheimischer Nationalsozialisten den Deutschen am Ende des Krieges den Einsatz einer Wunderwaffe ermöglicht.
Von Petra Wilken
Raúl Sohr Biss (1947) kennt sich in Kriegstaktik gut aus. Der chilenische Soziologe und Journalist hat sich auf die Themen Sicherheit und Verteidigung spezialisiert und ist dem hiesigen Publikum als Kommentator internationalen Zeitgeschehens in Chilevisión bekannt. Zudem hat er sich in Chile einen Namen als Autor mehrerer Sachbücher über Energie und Umwelt sowie internationale Konflikte gemacht. Als Romanautor hatte er sich erstmals vor neun Jahren mit «La Muerte Rosa» versucht, in dem er das Mysterium der Ausdünnung der Ozonschicht über Patagonien zum Thema machte.
Mit «La guerra de Mahler» hat sich Sohr nun an einen Historienroman gewagt. Sein Held ist niemand geringerer als Robert Mahler, Neffe des großen Komponisten Gustav Mahler. Robert stammt aus einer jüdischen Familie der unteren Mittelklasse in Wien, seine Eltern betreiben eine kleine Schneiderei und wollen nichts weiter als ihren Frieden. Aus republikanischer Treue wählen sie die antisemitische Rechte, nicht ahnend, dass für sie die Zeiten eines einfachen, aber weitgehend sorgenfreien Lebens bald zu Ende gehen soll.
Robert hat das Talent für die Musik von seinem Onkel Gustav Mahler geerbt. Er verdient sein Geld mit der Mahler-Kapelle, einem Mini-Salonorchester, das in der Blauen Bierstube die Gäste unterhält. Doch bald wird die Atmosphäre derart feindselig, dass Mahler nicht mehr öffentlich auftreten kann. Letztendlich wandert er nach Chile aus.
Deutsches U-Boot vor der chilenischen Küste
Bald schon muss er feststellen, dass er als Jude auch in Valdivia nicht vor Verfolgung geschützt ist, und die Deutsch-Chilenin, die er geheiratet hat, verlässt ihn, weil die Verbindung mit ihm Rassenschande bedeutet. Gleichzeitig nimmt eine Gruppe mit dem Musiker Kontakt auf, die merkwürdige Bewegungen auf dem Grundstück eines Mitglieds der deutsch-chilenischen Gemeinschaft Valdivias beobachtet hat und mit gefährlichen Recherchen beginnt. Mahler ist bald dabei und sieht sich in ein aufregendes Abenteuer verwickelt, bei dem schließlich ein deutsches U-Boot vor der Küste Nieblas auftaucht.
Der Roman liest sich streckenweise wie ein Tatsachenbericht, als ob Raúl Sohr journalistisch recherchiert hätte und eine wahre Geschichte erzählen würde. Akribisch baut er zahlreiche geschichtliche Fakten ein, wie die bürokratischen Hürden in Europa als auch in Chile, die Verfolgte des Nazi-Regimes bei ihrer Flucht, zu bewältigen hatten oder die Ereignisse während der Reichskristallnacht. So stellt sich der Leser am Ende des Buches so seine Fragen: Hat der große Gustav Mahler tatsächlich einen Neffen gehabt, der Robert hieß, auch Musiker war und während der Nazi-Zeit nach Valdivia ausgewandert ist? Haben Deutsch-Chilenen in Valdivia aktiv geheime Kriegsaktivitäten der Deutschen unterstützt? Gab es wirklich eine Wunderwaffe?
Authentischer Historienroman
Keine Frage, genau das möchte Raúl Sohr mit seinem Historienroman beim Leser erreichen. Er hat seinen Roman so authentisch wie möglich konstruiert und dabei auch auf ein Stilmittel zurückgegriffen, das zumindest den deutschsprachigen Leser seines auf Spanisch geschriebenen Romans etwas nervt: Er streut zahlreiche Bezeichnungen auf Deutsch ein, sei es ‘Mahler-Kapelle’, ‘Rassenschande’, ‘Bis zum Sieg’ oder einfach nur ’Achtung’. Leider sind nicht alle deutschen Begriffe richtig geschrieben.
Was die aufgeworfenen Fragen betrifft, kann hier nur so viel beantwortet werden: Robert Mahler (1881-1953) komponierte Kammermusik und war Klavierlehrer. Er kam 1925 von Wien nach Valdivia und wurde Direktor des Jägerchors. Im Zuge der Gleichschaltung der nationalsozialistischen Rassenideologie in Valdivia wurde er aus fast allen musikalischen Gruppierungen und Institutionen ausgeschlossen. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er ein eigenes Amateur-Salonorchester. Der valdivianische Musikwissenschaftler José Manuel Izquierdo nennt ihn eine zentrale Figur der musikalischen Moderne der Stadt am Fluss Calle Calle. Er habe deutschen Jazz im Gepäck gehabt. Laut Izquierdo war er Neffe zweiten Grades von Gustav Mahler.