800 Moais, der Manu-Tara-Kult und weitere ungelöste Rätsel auf der Osterinsel
Drei bis vier Tage seien genug, sagten alle. Aber man müsse unbedingt einmal dort gewesen sein. Recht hatten sie.
Von Enno von Schirmeister
Egal ob am oder der Nabel der Welt oder von der Welt abgenabelt – die Osterinsel ist einmalig, und wer sie nie besucht hat, hat etwas verpasst. Ein voller DreamLiner fliegt täglich in fünf bis sechs Stunden von Santiago de Chile über den Pazifik, oben Touristen, unten im Cargo-Bauch alles, was diese chilenische Insel benötigt, denn sie produziert so gut wie nichts. Außer Tourismus.
Man sollte vorher ein bisschen gelesen haben. Nicht unbedingt Thor Heyerdahls «Aku-Aku», aber dafür auf alle Fälle Jo Anne Van Tilburg («Easter Island»), die Chilenen Julio Flores («Te Pito Te Henua») und Francisco Campos Menéndez («Enigma del Pacífico») und den Deutsch-Chilenen Walter Knoche («Die Osterinsel»); von Hans Helfritz gibt es einen hübschen Bildband, für heute schon etwas veraltet (meist schwarz-weiß).
Vulkangestein im polynesischen Dreieck
Das dreieckige Inselchen im rechten unteren Winkel des polynesischen Dreiecks Hawaii-Neuseeland-Pascua ist nicht viel mehr als ein vulkanischer Auswurf, ursprünglich schwarzes Lavagestein, über das der Tourist noch heute laufend stolpert, wenn er querbeet den «Pascuologen» folgt, die ihm in recht verständlichem Englisch zu erklären versuchen, was sich hier im Laufe von rund 12 Jahrhunderten abgespielt hat. Wer ihnen wie ich mit 99 Fragen folgt, kehrt zum Schluss mit hundert Fragen zurück.
Angefangen mit den Moais. Über 800 Stück, wie riesige Lego-Steine, einige bis zu 20 Meter groß und über 80 Tonnen schwer, alle aus ein und demselben Steinbruch kommend, mit der Sauberkeit eines Kirchen-Steinmetzes ausgearbeitet und poliert, mit einem hervorstehen Kinnn wie Nick Knatterton und tiefliegenden Augenhöhlen, mit hervorstehenden Brustwarzen und langen Fingern, mit individuellen Petroglyphen auf dem Rücken wie ein modernes ID, mit wenigen Ausnahmen an allen drei Küsten des Dreiecks aufgereiht und dann eines Tages umgeworfen, mit dem Gesicht nach unten nach dem Motto «Schämt euch, ihr habt uns verraten».
Lego-Monster auf der Osterinsel
Was hatten die Einwohner für Werkzeuge außer Steinen, Obsidian und Muscheln? Wie haben sie diese Lego-Monster und später noch die teilweise dazu gehörigen Vulkansteinhüte (Pukao) über Land transportiert und aufgerichtet?
Alle Forscher scheinen von runden Baumstämmen auszugehen, die einen rollenden Untergrund wie bei einem Panzer gebildet haben sollen. Schön und gut, hatten sie zur entsprechenden Baumbearbeitung etwa Äxte und Sägen? Haben sie vielleicht nach kurzer Landstrecke die riesigen Götter oder Götzen per Floß an der Küste entlang verfrachtet, die übrigens an keiner einzigen Stelle einen Hafen zulässt? Viele Fragen…
Nach den gestürzten Moais kam der Manu-Tara-Kult. Es ging um das An-Land-Bringen des erst gelegten Eies des Seevogels gleichen Namens, der übrigens die Insel längst verlassen hat. Überhaupt sieht man kaum Seevögel; an Land ein paar Bussarde, einige Diucas und Rebhühner. Wilde Pferde nehmen überhand, einige Milchkühe grasen und kämpfen sich durch die struppigen Lupinen, die inzwischen trotz Parque Nacional die Insel als Unkraut zu überwuchern drohen.
Ein hübscher Menschenschlag, aber stolzer als erwünscht
Aber zurück zum Manu-Tara, zur neuen Religion nach den abgeschriebenen Moais. Auch er konnte keinen Segen bringen, und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Einwohnerzahl der Insel von ehemals über zehntausend (?) auf 111 Personen gesunken! Erstaunlich, dass man heute in dem Städtchen Hanga Roa von rund neuntausend Einwohnern spricht, darunter circa ein Drittel Rapa Nui, so werden die Polynesier und Mischlinge der Insel genannt. Ein hübscher Menschenschlag, aber stolzer als erwünscht.
Ihnen allein und nur ihnen gehöre die Insel, behaupten sie. Tatsächlich kann keiner Land kaufen, der nicht ihresgleichen ist. Es gibt internes Geplänkel. Die chilenische Verwaltung des Parque Nacional soll zwar ihre Arbeit tun, aber das dank Tourismus anfallende Geld soll in die Kasse der Einheimischen fließen, meinen sie.
Da scheint der Wurm im System zu sein, so hört man es unterschwellig von den Touristenführern, die so gesprächig sind wie die Taxifahrer in Santiago. Unter ihnen ist ein hübsches Mädchen, groß und schlank; es könnte ein spätes Gauguin-Model sein, Großmutter deutsch, Großvater englisch – ihr Vater ehelichte eine Rapa Nui, von der Maja ihre bronzene Hautfarbe hat. Grundschule auf der Insel, spätere Schuljahre in Santiago. Auf welcher Seite steht sie? Wieder eine der vielen unbeantworteten Fragen. Vielleicht hat Mike Rapu, der «politische Insel-Fürst», eine Antwort.
Kein Wunder, dass ein französisches Buch von der Ille des Mystères spricht – nicht zu Unrecht.