Juristin für Schulrecht und Marathon-Läuferin
Auf dem Weg zur Six Star-Medaille
Paulina Rettigs Traum und Ziel ist die große Six Star-Medaille: Vier der dafür notwendigen sechs weltweit größten Marathons, der «Majors», hat sie bereits geschafft. Die besondere Magie von jedem Lauf motiviert die Juristin und Schulberaterin, auch die Läufe in Tokio und London in Angriff zu nehmen.
«Es ist wie eine Sucht», meint Paulina Rettig begeistert von dem Sport, den sie seit acht Jahren ausübt: 2016 ist sie das erste Mal einen Halbmarathon in Puerto Varas gelaufen, das sind 21 Kilometer. Bereits zwei Jahre später schaffte sie ihren ersten Marathon in New York City, also 42 Kilometer. «Es war mein erster Major», erklärt die 46-Jährige stolz strahlend.
Die World Marathon Majors sind ein Zusammenschluss der sechs größten und prestigeträchtigsten Marathons weltweit. In Boston, London, Berlin, Chicago, Tokio und New York werden Athleten nach einem System bewertet, das die Platzierungen, einbezieht. Mehr als 200.000 Läufer aus 190 Ländern nehmen jedes Jahr an einem dieser Stadtmarathons teil.
Wie kam Paulina Rettig zu dieser intensiven Sportart? «Vor ein paar Jahren habe ich angefangen zu joggen, und jedes Mal mehr Kilometer zurückgelegt. Der Marathon in New York sollte eigentlich der einzige bleiben, aber da hatte mich schon die Begeisterung gepackt.» Vor allem hat sie festgestellt: «Das Laufen entspannt mich, gibt mir Energie, stärkt mich jeden Tag.» Darum ist sie ihren zweiten Marathon im September 2022 in Berlin gelaufen, der eigentlich für 2020 geplant war, aber wegen der Pandemie verschoben werden musste.
«Im April, vor zwei Monaten, war ich bereits für meinen vierten Marathon in Boston unterwegs. Ich hatte mich mit der Zeit von Berlin 2022 qualifiziert und mit dem Ergebnis von Chicago 2023 einige Plätze gut gemacht.» 26 Wochen lang hatte sich die Sportlerin mit einem Trainer darauf vorbereitet. Sie lief 60 bis 90 Kilometer in der Woche alle Hügel, die sie in Puerto Varas finden kann, rauf und runter – auch Boston ist bekannt für seine Steigungen. An vier Tagen geht es bei der Sportlerin vor allem um das Muskeltraining.
Was ihr und vielen anderen Athleten in Boston vor allem zu schaffen machte, war das Wetter. Kälte, Regen und Wind ist sie gewohnt, aber im April herrschte in Boston eine unerwartet hohe Hitze. Dennoch wurde sie in der US-amerikanischen Stadt die siebtbeste Chilenin mit 3,25 Minuten. Damit hatte sie sich um fünf Minuten im Vergleich zu ihrem Lauf davor in Chicago verbessert. Angesichts dessen, dass junge Frauen von Anfang 20 Jahren mit ihr konkurrierten, ist diese Leistung außergewöhnlich.
Zurzeit bewerbe sich Sydney darum, als siebte Stadt der World Marathon Majors anerkannt zu werden. Paulina Rettig erzählt, dass sie bereits mit ihren Punkten für die australische Stadt qualifiziert sei.
Was die deutsch-chilenische Sportlerin während des Laufens der Majors besonders motiviert, durchzuhalten, seien die Menschen, die neben der Laufstrecke fröhlich und begeistert die Marathon-Läufer durch Zurufe anfeuern. Viele schauen aus ihren Häusern und verteilen Obst und Wasser.
Paulina Rettig erzählt, dass sie in ihrer Schulzeit auf der Deutschen Schule in Osorno, wo sie auch geboren und aufgewachsen ist, gar nicht so viel Sport betrieben hat, aber immer gerne in Bewegung war: «Ich bin sehr gerne Skigefahren, war auch gerne mit dem Fahrrad unterwegs.» Später begann sie auch mit dem Tauchen.
In ihrer Kindheit in Osorno waren besonders ihre Großeltern mütterlicherseits enge Bezugspersonen für sie. «Diese liebe- und verständnisvollen Menschen waren auch die ersten gewesen, die in meiner Familie starben – der erste große Verlust, den ich im Jahr 2000 erlitt, als ich bereits in Santiago lebte und dort an der Universität studierte.»
Sie habe sich für das Jurastudium entschieden. «Die richtige Wahl», wie sie auch heute noch meint: «Das Fach gibt einem die Möglichkeit, in verschiedenen Bereichen zu arbeiten. Das typische Bild einer Anwältin oder eines Anwalts, der einen Mandanten in einem Prozess verteidigt, ist nur eine mögliche Aufgabe in einem heutzutage ganz breiten Arbeitsfeld.»
Vor 13 Jahren begann ein neuer Lebensabschnitt, als sie mit ihrem Mann nach Puerto Varas zog und im Jahr 2012 eine Stelle in einem neu geschaffenen Bereich im öffentlichen Dienst annahm, in der Schulaufsichtsbehörde von Los Lagos. Dort war sie zuletzt bis 2019 als Directora Re-
gional tätig. In den Jahren von 2017 bis 2022 arbeitete sie als Dozentin für Verfassungsrecht sowie internationales Privatrecht und Öffentliches Recht an der Universidad San Sebastián in Puerto Montt.
Vor zwei Jahren begann die Juristin damit, als Schulberaterin selbständig zu arbeiten: «Es handelt sich um ein sehr spezielles Thema, das noch nicht sehr weit verbreitet ist, weil die Schulen im Allgemeinen nicht wissen, wie sehr sie von der Zusammenarbeit mit einem Anwalt profitieren können.» Sie hofft, dass dieses Thema bekannter wird und die Notwendigkeit erkannt wird, sich von Experten auf diesem Gebiet beraten zu lassen.
Nebenbei widmet sie sich einer ehrenamtlichen Aufgabe: Als Vorstandsmitglied unterstützt sie die Fundación para la Justicia, eine von ihrem Mann mitgegründete Stiftung. «Es wurden einfach mehr Experten gebraucht, die Menschen unterstützen, die als Opfer von Verbrechen Hilfe brauchen», sagt sie.
Es gefällt ihr gut, ihre berufliche Tätigkeit im Homeoffice und an verschiedenen Orten ausüben zu können. Auf diese Art und Weise sei es möglich ihre Arbeit, die Erziehung und Betreuung ihres achtjährigen Sohns und vor allem ihr Training für den Marathon unter einen Hut zu bringen. Ihr Motto lautet: Genieße das Leben! Und dazu gehört für Paulina Rettig, weiter zu trainieren und Marathons zu laufen, um in nicht so ferner Zukunft zu den Six Star Finishern zu gehören, den Marathon-Läufern, die alle sechs World Marathon Majors absolviert haben.
foto: privat