Unterwegs zwischen den Kontinenten
Vani Ranganatha ist in Bangalore geboren. Die Mutter zweier Kinder wuchs in einer Großfamilie mit Großeltern, Tanten und Onkeln auf, wie es in Indien üblich ist. Der Umzug besonders nach Deutschland und später nach Chile bedeuteten eine Umstellung in jeglicher Hinsicht.
Vor fünf Jahren kam die Familie Ranganatha in Santiago an. Vanis Mann Ranga begann für die Universidad Católica ein Forschungszentrum aufzubauen. «Die warme Art der Chilenen, das Klima und die Schönheit des Landes hat uns das Einleben sehr erleichtert», erzählt Vani. Schwer war es für ihre Tochter, die mit 14 Jahren direkt in die neunte Klasse der Craighouse School einsteigen und daher sehr schnell Spanisch lernen musste.
«Die Sprache ist natürlich sehr wichtig, um in einem Land Fuß zu fassen. Doch da in unserem Umfeld hier viele Menschen auch aus dem Ausland kamen und Englisch sprachen, machte das für mich das Eingewöhnen leichter», so Vani. Schwieriger hatte die Inderin die Umstellung in Deutschland empfunden, als Ranga an der Universität Tübingen eine Assistentenstelle annahm, um seine Doktorarbeit zu verfassen. Im Oktober 2014 kam die Familie mit der dreijährigen Nayantara und dem zweijährigen Anirudh in der schwäbischen Stadt an, wo sie acht Jahre verbrachten: «Die Temperaturen fielen in diesem kalten Winter schon im Herbst auf unter Null Grad – das kannten wir weder von unserer Heimat noch von dem feucht-warmen Singapur, wo wir vorher acht Jahre gelebt hatten.»
Auch mit ihrem Englisch kam die indische Zuwanderin in Tübingen nicht so weit: «Da meine Kinder noch klein waren, musste ich immer wieder etwas mit zum Beispiel den Erzieherinnen des Kindergartens und mit den Ärzten besprechen. Es gab einige, die Englisch konnten, aber längst nicht alle.» Endlich nach zwei Jahren fand sich die Zeit, um einen Intensivkurs für Deutsch in der Volkshochschule zu absolvieren: «Als ich dann endlich die ersten deutschen Worte sprach und verstanden wurde, war der Knoten geplatzt.»
Wo auch immer die Familie Ranganatha sich aufhielt, war es der Inderin wichtig, mindestens einmal im Jahr, ihre Familie in Bangalore zu besuchen: «Für meinen Bruder und mich waren auch unsere zwei Cousins immer wie Geschwister und ihre Eltern und meine Großeltern fast so wichtige Bezugspersonen wie meine Eltern, da wir alle bis zu meinem Auszug mit 26 Jahren immer in einem Haus lebten.» Nun macht sich Vani große Sorgen um ihre Familie in Indien angesichts der sich ausbreitenden Pandemie: «Die Menschen sterben auf der Straße – die Regierung hat nicht damit gerechnet, dass eine zweite so aggressive Welle kommen würde und es war im Land dafür nichts vorbereitet.»
In ihrer Heimatstadt Bangalore leben rund achteinhalb Millionen Einwohner. «In meiner Kindheit wurde sie Gartenstadt genannt. Inzwischen gab es einen großen Wandel und es ist „das Silicon Valley Indiens“ geworden», erklärt Vani. Auch ihr Mann studierte Informatik. Sie selbst wählte Soziologie als Studienfach und spezialisierte sich auf das Thema Frauen. Nach dem Studium arbeitete sie in einem Projekt auf dem Land: «Das war eine sehr bereichernde Aufgabe für mich. Ich lernte das Leben dieser Frauen kennen und konnte sie dabei begleiten, neue Wege zu gehen.» Als Schülerin und Studentin sei sie von ihren Eltern bei ihrer beruflichen Karriere immer sehr unterstützt worden.
Als sie aber mit 25 Jahren immer noch ledig war, wollten sie ihrer Tochter bei der Suche nach dem richtigen Mann helfen: «Das ist bis heute so üblich in Indien. Die Eltern erkundigen sich durch Kontakte nach geeigneten Kandidaten, es findet ein Treffen statt und Frau und Mann entscheiden jeder für sich, ob sie sich wiedersehen wollen. Oft findet dann schon nach einem Monat die Hochzeit statt.» Bei Vani war es dann die Schwester einer Freundin, die in Singapur lebte, dort im Freundeskreis Ranga kennenlernte und der Meinung war, dass die beiden zusammenpassen würden. «Schließlich dauerte es noch ein Jahr, bis wir uns das erste Mal trafen. Dann ging es aber sehr schnell: Anderthalb Monate später waren wir verheiratet.»
Die Partnerschaft des Paares ist mit den Jahren gewachsen, wie Vani erzählt: «Die vielen Umzüge, erst nach Singapur, dann nach Deutschland, daraufhin drei Jahre nach Florida und 2015 schließlich nach Chile waren vor allem mit den Kindern nicht immer einfach. Wir haben viel miteinander geredet und immer gemeinsam nach Lösungen für Schwierigkeiten gesucht.»
Nun steht wieder eine Veränderung für die Familie an: Ranga hat bereits begonnen am Kinderkrankenhaus für krebskranke Kinder in Memphis, am St. Jude Children‘s Research Hospital, in der Forschung zu arbeiten. Der Computerfachmann hat sich mit den Jahren auf interdisziplinäre Themen spezialisiert, die sich mit Neurowissenschaften und Informatik befassen und in vieler Hinsicht Kranken in ihrem Alltag helfen können.
Der Umzug bedeutet auch einen neuen Lebensabschnitt für Vani: «Meine Tochter studiert, wenn auch online, an einer Universität in Australien und mein Sohn hat einen Studienplatz für Mathematik in den Niederlanden, sodass ich nun auch wieder beruflich aktiver werden kann. Doch meine Freunde in Deutschland und Chile werde ich nicht vergessen: Beide Länder sind ein Stück Heimat für mich geworden, die ich – sobald es die Lage erlaubt – wieder besuchen möchte.»