Erst die Arbeit, dann das Vergnügen
Kaffeehaus-Kultur vom Feinsten: Jimena Rubio Graell sorgt seit über 30 Jahren dafür, dass der Charme des 1948 gegründeten Café Villa Real in Providencia erhalten bleibt.
Von Silvia Kählert
«Willst du mit mir zusammen ein Café leiten?» Mit diesen Worten überraschte Ínes Graell ihre Tochter Jimena eines Tages im Jahr 1987. Und nicht nur sie. Beide saßen nämlich gerade in ihrem Lieblingscafé Villa Real, schon damals eine Institution mitten in Providencia für köstliche Kuchen und schönes Ambiente. Kaum dass sie sich beide über ihre Pläne einig waren, fragten die beiden Frauen den Besitzer Ernesto Rosenfeld, ob er Interesse an einem Verkauf habe. Der gebürtige Deutsche hatte das Café im Jahre 1948 gegründet und nach dem Nachnamen Villareal seiner Frau genannt. Verdutzt schaute der Restaurantbesitzer die zwei Frauen an, denn nirgendswo hatte er den Verkauf inseriert.
Wie der Zufall es aber so wollte: Gemeinsam mit Mario Kreutzberger hatte Ernesto Rosenfeld das Projekt Teletón begonnen, er war inzwischen 70 Jahre alt und hatte keinen Nachfolger – daher kam die Frage genau im richtigen Augenblick. Und für die 38-jährige Jimena Rubio Graell, die sich bis zu diesem Zeitpunkt auschließlich um ihre vier Kinder gekümmert hatte, begann ein ganz neues Leben. Ein neues Leben mit «ihrem fünften Kind», wie Jimena Rubio Graell ihr Café liebevoll nennt.
Fünf Kinder auf der Deutschen Schule in Valparaíso
Wichtig ist aber auch die Vorgeschichte dieses Familienprojekts zu kennen, die in Valparaíso begann. Denn in der Hafenstadt sind Jimena und ihre vier Geschwister geboren. Obwohl ihre Vorfahren aus Spanien stammten, entschied ihre Mutter Ínes Graell ihre fünf Kinder auf die Deutsche Schule in Valparaíso zu schicken. Sie hatte eine hohe Meinung von der deutschen Bildung, genauso wie später ihre Tochter.
Als Jimena Rubio Graell den Deutsch-Chilenen Francisco Schneider mit zwanzig Jahren heiratete und später nach Santiago zog, stand auch für Jimena fest, dass ihre zwei Söhne und zwei Töchter die Deutsche Schule Santiago besuchen würden: «Hier werden wichtige Werte wie Disziplin, Beständigkeit und Verantwortungsgefühl vermittelt», meint die Gastronomin. «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen», habe sie ihren Kindern immer gesagt. Eine anspruchsvolle Haltung sei das Erfolgsrezept für ihr Café: «Immer präsent zu sein und dafür zu sorgen, den Kunden die besten Produkte zu bieten. Jeden Tag bespreche ich mit den Kellnern: Was schmeckt den Kunden, was nicht, was kann man verbessern.»
Auch die Vorgeschichte des Café Villa Real begann in Valparaíso: Dort hatte Ernesto Rosenfeld nämlich gemeinsam mit seinem Kompagnon Guillermo Spratz das Café Riquet 1945 gegründet. «Dieses Café besuchten meine Mutter und ich damals schon mit größtem Vergnügen», erinnert sich Jimena Rubio Graell gerne. «Und diesen besonderen Stil des Riquets hatte Rosenfeld dann auch bei seinem Café in Santiago übernommen.»
Café Villa Real mit einer liebenswerten Einrichtung aus den 1950er Jahren
Dieser ist bis heute einzigartig in dem Traditions-Lokal: die liebenswerte Einrichtung aus den 1950er Jahren – und dies ist echtes Vintage. «Ob die weißen Bistro-Stühle im Café oder die Gitterstühle im Garten, die Wandbilder der Künstlerin Cuca Burchard mit Blumen, Bäumen und Vögeln im Stil der Zeit – wir haben alles original genauso erhalten», betont die Porteña.
Das Gleiche gilt für Kuchen, Torten, Brote und Gerichte: «Unsere Rezepte stammen aus den Büchern der Familie Rosenfeld. Alle Speisen stellen wir selber her, von der Marmelade bis zum Brot sowie Gulasch mit Rotkohl, Falscher Hase – alles hausgemacht», erklärt die Unternehmerin stolz. Mit 24 Angestellten sorgt sie dafür, dass alles in bester Qualität und frisch auf den Tisch kommt. «Unsere Kunden schätzen unsere Küche und Kuchen heute noch mehr als früher, weil heute das Bewusstsein dafür gewachsen ist. Wir können ihnen genau sagen, welche Zutaten wir verwenden. Und das schmeckt man auch.»
Truthahnbraten mit Weißwein im Ofen
Ihr Lieblingsgericht und die Spezialität des Hauses ist der Pavo Villa Real. «Der Truthahnbraten wird im Ofen mit Weißwein geschmort. Dazu gibt es Apfelpuree. Den Braten gibt es immer zur Auswahl bei unserem Sonntagsmenu», erzählt Jimena Graell und fügt hinzu: «Vor allem sonntags erleben wir oft, dass Familien mit vier Generationen unser Lokal besuchen – besonders auch gerne zur Once.» Nicht zu vergessen der Klassiker der Villa Real, der Kuchen Natilla: Ein Mürbeteig als Boden mit einem Gemisch aus Eiern und Milch sowie Blaubeeren und Äpfeln darüber im Ofen gebacken.
Während der Woche kommen viele Berufstätige zum Mittagessen in die Avenida Pedro de Valdivia. Ein weiteres wichtiges Standbein ist außerdem seit rund 15 Jahren das Catering. «Immer mehr Firmen fragten nach, ob wir zum Beispiel bei Konferenzen Kaffee mit kleinen einfachen Gerichten servieren könnten.» Renner seien die Tapaditos. Kleine ovale Weißbrote, mit goldbraun gebackener, zarter Kruste, die mit allen möglichen Zutaten belegt werden.
Die Freude am Verbessern der Speisen und Erfinden neuer merkt man der Gastronomin an. Trotzdem sei es auch anstrengend, immer parat zu stehen und für die Kunden da zu sein, gibt sie zu. Die Liebe zur Gastronomie hat sie ihrer Tochter Susanne Schneider vererbt. Diese hat vor drei Jahren begonnen das Lokal «Vilapert» aufzubauen, das bereits fünf Filialen in Santiago hat. Lachend meint Jimena: «Wir sind eben eine Familie von starken Frauen.»