«Es ist einfach so gekommen»

Das Violoncello, kurz Cello, ist ein aus verschiedenen Holzarten gefertigtes Instrument, das nach 1535 in Norditalien entstand. Es wird mit einem Bogen gestrichen, aber im Gegensatz zur Violine oder Bratsche hält der Cellist das Instrument aufrecht, daher wird es auch Stehgeige genannt. Paulina Mühle-Wiehoff Daie spielt Violoncello mit Leidenschaft und hat die Musik zu ihrem Beruf gemacht.
Die 1983 in Puerto Varas geborene Paulina Mühle-Wiehoff, deren deutscher Nachname von ihren Vorfahren aus Köln stammt, erinnert sich an eine glückliche und freie Kindheit. «Meine Mutter ist Radiologin und mein Vater Geschäftsmann, ich habe eine ältere Schwester. Als ich ein kleines Mädchen war, kamen wir wegen eines Stipendiums für die Spezialisierung meiner Mutter als Radiologin für zwei Jahre nach Santiago. Doch schließlich sind wir geblieben und nie wieder in den Süden zurückgekehrt.»
Paulina besuchte ihre ganze Schulzeit lang eine Waldorfschule. Sie ist überzeugt davon, dass dies ihr Leben gundlegend geprägt hat. Von diesen Jahren sind es mehr die Erfahrungen als das Auswendiglernen von Schulstoff, was ihr in Erinnerung geblieben ist. «Mein Lieblingsfach war Aquarellmalerei, und mein unbeliebtestes Fach war der Sportunterricht. Ich hasste die Vorstellung, an einem Wettbewerb teilnehmen zu müssen, das verursachte mir eine Menge Stress, und zwar so viel, dass ich donnerstags krank spielte, wenn wir Sport hatten. Und das mit einer Mutter, die Ärztin war!»
Im Alter von sieben Jahren begann sie mit dem Musizieren, da in der Waldorfschule jeden Morgen Flöte gespielt wurde, bevor der Schulalltag begann. «Es hat mir nicht besonders gefallen, aber ich musste trotzdem Flöte spielen», erinnert sie sich. «Später verstand ich, dass das an meiner Schüchternheit lag. Dagegen war das Klavier ein Instrument, das ich auf alle Fälle immer spielen wollte – egal wie schüchtern ich auch war. Vielleicht liegt es an der Tonerzeugung, die durch die Tasten vorgegeben ist, und entsprach eher meiner Persönlichkeit… Also hatte ich fünf Jahre lang zweimal pro Woche nach der Schule Unterricht bei einem Lehrer. Das hat mir viel Freude gemacht. Am Ende des Jahres musste ich jedoch bei Aufführungen mitspielen. Vorher konnte ich nächtelang nicht schlafen, weil ich solches Lampenfieber hatte. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich später Musik studieren würde und diese Situation immer wieder durchleben müsste!»
Das Klavierspiel kannte sie auch schon von ihrer Oma. «Sie spielte wunderbar, das hatte sie als Kind im Internat gelernt. Jedes Mal, wenn sie uns in Santiago besuchte, spielte sie auf dem Klavier Polkas und das war faszinierend für mich.
Nachdem die nun 16-jährige Paulina mit ihrer Mutter ein klassisches Konzert besucht hatte – diese ist Musikliebhaberin und nahm ihre Tochter von Kind an mit in musikalische Veranstaltungen – beschloss das junge Mädchen aus heiterem Himmel, dass sie Cello spielen wollte. Sie bekam ein solches Instrument geschenkt, und damit begann eine neue Geschichte.
«Nach der Schule habe ich an der Universidad de Chile Musik studiert und dort 2010 den Bachelor-Abschluss In Kunst im Fach Cellospiel gemacht. Zuvor hatte ich in Portugal mit einem Lehrer bereits einen Meisterkurs abgeschlossen. Als mein Professor starb, der für mich nicht nur ein Lehrer, sondern auch ein Freund war, bewarb ich mich für ein Stipendium bei Fondart, dem Nationalen Fonds für kulturelle Entwicklung und Kunst. Damit konnte ich nach Wien gehen und dort unter Anleitung von Professor Walther Schulz als erstes Cello der Wiener Philharmonie meine Fähigkeiten verbessern – eine großartige Erfahrung.»
Paulina Mühle-Wiehoff liebt am Cello seinen eindringlichen, fast melancholischen Klang, der, wie sie meint, der menschlichen Stimme sehr nahekommt. Was sie am liebsten spielt? «Das ist schwer zu sagen, in der klassischen Musik gibt es so viel Schönes! Ich liebe Bach, Schubert, Debussy, Telemann, Händel… aber daneben auch Jazz.»
Im Laufe der Jahre hat die Musikerin zahlreiche Kurse absolviert, so etwa für barockes Cello am Konservatorium Manuel de Falla in Buenos Aires und modernes Cello mit Maria Gabriela Olivares beim Symphonieorchester der Universidad Santiago de Chile sowie Kammermusik-Seminare in Österreich und Deutschland. Heute spielt sie Barock-Cello beim Ensemble für Alte Musik Syntagma Musicum der Universidad Santiago de Chile, leitet das Ensemble für Alte Musik La Hermeneutica Armonica und ist Cellistin des Duos Granat Ensamble, das Kammermusik mit Cello und Gitarre interpretiert.
Neben den täglichen Übungsstunden und Auftritten nimmt sich Paulina viel Zeit für ihre Familie. Sie ist mit einem Fotografen verheiratet, das Paar hat zwei Kinder. Die vierjährige Isabel und der sechsjährige
Agustin besuchen die Waldorfschule, wo sie auch bald mit Musikinstrumenten Bekanntschaft machen werden. Inzwischen singen sie den ganzen Tag, wie die Mutter lachend berichtet.
Paulina liest auch gern, vor allem russische und japanische Literatur. Sie hat viele Freunde, mit denen sie gern einen besonders guten Kaffee trinken oder essen geht.
«Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, warum ich Musikerin geworden bin. Ich hatte mir das eigentlich nie vorgestellt, es ist einfach so gekommen. Und ich bin absolut glücklich mit dem, was ich tue.»
Foto: privat