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martes, 30. abril 2024
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Nachruf: Georg Kieferle

Von Walter Eckel

Georg Kieferle ist gestorben. Der renommierte Stuttgarter Architekt und Honorarkonsul wurde 91 Jahre alt.

Wer dieser Tage im Zentrum Santiagos an der Kreuzung Santa Isabel und San Isidro vorbeikommt, wird sich über den gepflegten Zustand des 2010 von den Oberbürgermeistern José Zalaquett von «Santiago Centro» und Wolfgang Schuster von Stuttgart eingeweihten «Stuttgart-Platzes» freuen. Selbst die drei aus der schwäbischen Hauptstadt eingeflogenen Pferdeskulpturen – Rössle werden die Stuttgarter Wappentiere genannt – strahlen fast graffitifrei im frisch übertünchten Glanz. Erfreulich ist nicht nur, dass der Platz von der Stadtverwaltung gepflegt wird, sondern vor allem, dass die Bevölkerung ihn angenommen hat, wie die fünfköpfige Gruppe chilenischer Studierender beweist, die dort unter einem Baum Schatten suchte. 

Was die jungen Leute nicht wissen konnten, ist, dass sich Georg Kieferle, der von 1988 bis 2014 das Ehrenamt des chilenischen Honorarkonsuls für Baden-Württemberg ausübte, schon im Jahre 2006 für einen Santiago-de-Chile-Platz in Stuttgart eingesetzt hatte. Dieser wurde am 21. Oktober 2006 im Beisein der chilenischen Staatspräsidentin Michelle Bachelet in luftiger Höhe auf dem sogenannten «Haigst» im Stadtteil Degerloch eingeweiht. Die Gestaltung trägt die Handschrift des renommierten Architekten, für den visionäres Denken eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Ausübung des  Architektenberufs war.

Auf die Idee, die Skulptur eines sonst nur auf der Osterinsel anzutreffenden Moais dort aufzustellen, muss man jedoch erst einmal kommen. Da man diese zwölf Meter hohen Skulpturen nicht straffrei von der Osterinsel abtransportieren kann, ließ er den dafür bekannten Bildhauer Bene Tuki-Pate einfliegen, der für ihn im Kloster Maulbronn einen zwei Meter hohen Moai meisselte. Ein Felsblock aus dem Maipo-Tal, auf dem die Stichworte zum Platz eingeritzt wurden, und eine vom chilenischen Staat gestiftete Büste der chilenischen Literaturnobelpreisträgerin Gabriela Mistral zieren zudem diesen wunderbaren Ort. 

Es braucht nur wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass diese doch eher exotische Idee bei einigen misstrauischen Schwaben im Stadtrat keine Begeisterungsstürme auslöste. Hilfreich war daher die Tatsache, dass es sich bei dem Antragsteller um ein sehr erfolgreiches schwäbisches Urgestein handelte, das zuvor schon vielfach bewiesen hatte, auch ausgefallene Ideen in gangbare Projekte umsetzen zu können und außerdem bereit war, namhafte eigene Mittel einzusetzen. Und dies war ihm wahrlich nicht in den Schoß gefallen. 

Georg Kieferle wurde am 30.12.1929 in Steinbronnen/Bad Saulgau als fünftes von sechs Kindern einer Familie geboren, die in diesem auch heute noch kaum zwanzig Häuser zählenden Dörflein auf der schwäbischen Alb ein Sägewerk betrieb. Er hatte es in jungen Jahren nicht leicht, wurde er doch von seinem strengen Vater immer wieder zu Arbeiten im Sägewerk herangezogen. Nach einer Maurerlehre durfte er als einziges Kind seiner Familie studieren. Die im Sägewerk und auf dem Bau gemachten Erfahrungen erleichterten ihm den Zugang zum Studium der Architektur, das er mit großer Leidenschaft absolvierte. 

Bereits im Jahre 1958 machte er sich mit seinem Studienfreund Karl-Otto Rödl selbstständig. Ihr Böblinger Büro hat zahlreiche Wettbewerbe gewonnen, und in den sechziger Jahren entstanden nach Plänen von Kieferle und Rödl ansehnliche Gebäude von Firmen wie Beiersdorf, Fairchild, Hewlett Packard, IBM, Bosch und Daimler-Benz. Obwohl die beiden inzwischen zur ersten Garde deutscher Architekten aufgestiegen waren, machte die Rezession Mitte der siebziger Jahre auch vor ihrem Büro nicht Halt, was sie dazu bewegte, ihr Glück auf dem boomenden saudi-arabischen Markt zu versuchen. Auch im arabischen Raum war ihre Arbeit von Erfolg gekrönt, und noch heute betreibt Kieferles Tochter Cornelia ein angesehenes und umsatzstarkes Architekturbüro in Dubai, was sie daran hinderte, ihrem Vater als Honorarkonsulin Chiles für Baden-Württemberg nachfolgen zu können. Zum Verdruss seines Vaters sah sein Sohn Joachim keine Möglichkeit, die Pflichten eines Architekturprofessors mit denen eines Honorarkonsuls in Einklang zu bringen. Wenn das Honorarkonsulat auch nicht in der Familie bleiben konnte, hat er seine Kinder doch mit dem chilenischen Virus infiziert. Trotz der Pandemie planen sie weitere Reisen in das Land, das Ihr Vater so sehr liebte und für das er sich, so lange es seine Gesundheit erlaubte, unermüdlich einsetzte.

Joachim Kieferle zufolge war es der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel,  Ferienhausnachbar der Kieferles im Salzburger Land, der seinem Vater ins Bewußtsein hob, dass ein beruflich so erfolgreicher und vermögender Mensch wie er der Gesellschaft etwas zurückgeben müsse. «Ich kann Ihnen nur die Türen öffnen, durchgehen müssen Sie schon selber», sagte Altpräsident Scheel. Und wer Georg Kieferle kannte, weiß, wie gewandt dieser großgewachsene Mann in seinen farbigen Jacketts mit originellen Einstecktüchern und Krawatten durch die Türen zu gehen pflegte. Er war sich auch nicht zu schade, mehrfach und insistent an Türen zu klopfen, wenn die Person hinter der Tür keine Anstalten machte, sich seinen Anliegen mit dem gebotenen Elan zuzuwenden.

Für die baden-württember-gischen Beziehungen zu Chile war er geradezu ein Glücksfall. In seinem Stuttgarter Konsulat wurden nicht nur die nahezu tausend in Baden-Württemberg lebenden Chilenen betreut, sondern wurden auch Anregungen zu Delegationsreisen hochrangiger Politiker aus Chile und aus dem Ländle geliefert. Neben dem Ministerpräsidenten Erwin Teufel statteten Wissenschaftsminister Klaus von Trotha und sein Nachfolger Peter Frankenberg sowie Bildungsministerin Annette Schavan und zahlreiche andere Landespolitiker Chile Besuche ab. Die derzeitige Wissenschaftsministerin Teresia Bauer setzt diese Tradition erfreulicherweise fort. Alle besuchten sie auch das 2001 mit einer Anschubfinanzierung des Landes Baden-Württemberg gegründete Heidelberg Center Lateinamerika, das seit 2009 eines von fünf weltweit vom Auswärtigen Amt geförderten Exzellenzzentren in Forschung und Lehre ist. Dort konnten sie unter anderem auch den holländischen Kronleuchter in der Eingangshalle bewundern, den Georg Kieferle gestiftet hat. 

Bei fast all diesen Begegnungen war Georg Kieferle an den Vorbereitungen beteiligt und meist auch persönlich zugegen. Er liebte seine Reisen nach Chile, wo er «tolle Menschen und schöne Frauen» vorfand. Überhaupt war Reisen für ihn eine erfolgsträchtige Weiterbildungsmaßnahme. So führte er einem in Santiago lebenden Deutschen vor Augen, der sich abfällig über die «Geldverschwendung» von Chile-Reisen der baden-württembergischen Landtagsabgeordneten geäußert hatte, vor Augen, dass dies im Gegenteil «gut angelegtes Geld» sei. «Denn so sehen und lernen die Abgeordneten etwas von der Welt und sitzen nicht nur im Landtag in Stuttgart oder in der Berliner Landesvertretung herum, wo sie ihr Rothaus Bier trinken.» Schöne Geschenke für seine liebe Frau und seine Kinder und Enkel einzukaufen, war für ihn auch in Santiago eine Pflichtübung: «Man muss immer etwas mitbringen, sonst darf man nicht mehr fort!»

Am 24.10. ist Georg Kieferle in einem Stuttgarter Krankenhaus gestorben und zu seiner letzten Reise aufgebrochen. Wer diesen großzügigen, humorvollen und liebenswerten Mann kannte, wird ihn sehr vermissen.

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