Die Inszenierung des großen italienischen Regisseurs Giorgio Strehler hatte im Jahr 1965 bei den Salzburger Festspielen ihre Premiere. Dirigent war der 29-jährige Zubin Mehta, der damals am Anfang einer vielversprechenden Pultstarkarriere war. 2017 brachte die Mailänder Scala zum 20. Todestag Strehlers die gleiche Produktion heraus. Am Pult stand wieder Zubin Mehta, jetzt in seinem 81. Lebensjahr. Als Solisten verpflichtete die Scala vorwiegend junge Stimmen, die ein eiheitliches Ensemble bilden und den hohen Anforderungen Mozarts gerecht werden.
Strehlers minimalistische Inszenierung bedient sich knapper, aber dafür umso wirksamer Mittel, wie etwa die Silhouette eines Schiffes, das den Horizont überquert. Der Hintergrund ist hell gehalten, da ein Großteil der Handlung im Vordergrund wie ein bewegter Scherenschnitt, als Schattenspiel, vor sich geht, wodurch ein fabelhafter optischer Effekt erzielt wird. Ein einzigartiger Höhepunkt entsteht während des Quartetts «Ach, Belmonte…», das den zweiten Akt schließt. Die vier Hauptdarsteller agieren an der Rampe als schwarz umrissene Gestalten. Ein bewegtes Schattenspiel von unbeschreiblicher Schönheit.
Die Personenregie ist bis ins letzte Detail choreographiert, wobei die edlen Bewegungen der Aristokraten und die eher unfeine Körpersprache der Türken sich deutlich von-
einander unterscheiden. Die guten Manieren gehen so weit, dass zum Ende der Arien die Sänger sich elegant verbeugen, noch bevor das Publikum reagiert. Kein Wunder, dass dann manchmal nur Höflichkeitsapplaus kommt. Peinlich, peinlich.
Mozarts «Entführung» ist ein spritziges Singspiel, eine Komödie, die den Mitwirkenden einen fixen Rhythmus abverlangt. So wirken die zahlreichen unmotivierten Pausen in den gesprochenen Dialogen irritierend, weil sie den Spielfluss aufhalten. Wäre so etwas passiert, wenn Strehler diese Inszenierung geleitet hätte?
Die musikalische Aufbereitung ist dagegen makellos. Altmeister Mehta holt aus dem Scala-Orchester besten Mozart-Klang heraus und sämtiche Solisten werden ihren fordernden Rollen durchaus gerecht. Lenneke Ruiten besitzt einen silberglänzenden Sopran, der die Gefühle von «Traurigkeit ward mir zum Lose» ebenso zum Ausdruck bringt wie die Spitzentöne von «Martern aller Arten». Sabine Devieilhe ist eine irre Komödiantin, die bereits mit ihrer Auftrittsarie «Durch Zärtklichkeit und Schmeicheln» Eindruck macht und heute als Koloratursängerin ersten Ranges gehandelt wird. Mauro Peter, zurzeit der Aufführung ganze 30 Jahre alt, versteht es, seinen lyrischen Tenor wirkungsvoll einzusetzen. Sein «Ich baue ganz auf deine Stärke» ist Mozartgesang vom Feinsten. Ebenso Maximilian Schmitt, der seine Bravour-Arie «Frisch zum Kampfe» effektvoll meistert. Tobias Kehrer ist ein stimmlich wie schauspielerisch aufgedrehter Osmin. Sein «O wie will ich triumphieren» ist vortrefflich.
Ein Opernabend zum Genießen, trotz der erwähnten Einwände. Kein Bonusmaterial!
Wolfgang Amadeus Mozart:
«Die Entführung aus dem Serail», Italien, Deutschland, 2019.
Musikalische Leitung: Zubin Mehta.
Regie: Giorgio Strehler, Mattia Testi.
Fernsehregie: Daniela Vismara.
Ton: Massimiliano Carraro, Antonio Franzese.
Mit :Cornelius Obonya (Bassa Selim), Lenneke Ruiten (Konstanze), Sabine Devieilhe (Blonde), Mauro Peter (Belmonte), Maximilian Schmitt (Pedrillo), Tobias Kehrer (Osmin) u. a.
Spieldauer: 155 Min.
Bild ***
Ton ***
Darbietung ****
Extras *