Ein mysteriöses Rauschen erfüllt die Welt
Ein Rauschen ist in der Welt. Mal liegt es als ein stilles, sanftes Sausen in der Luft, mal kommt es als ein Flattern und Brausen daher. Das Rauschen ist seinem Wesen nach uneindeutig. Handelt es sich um die Gegenwart des göttlichen Geistes? – Der deutsche evangelische Theologe Jörg Lauster hat versucht, etwas einzufangen, das wie der Wind nicht sichtbar, fassbar und doch gegenwärtig ist: den Heiligen Geist. Mehr noch. Als eine Biographie bezeichnet der Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München sein Werk. So als ob sich die Lebensgeschichte von etwas Abstraktem wiedergeben ließe.
Natürlich beginnt der Werdegang am Anfang. Dort schuf Gott bekanntlich Himmel und Erde. Bereits im zweiten Satz der Bibel heißt es: «Und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.» Der Allmächtige zeigt sich noch nicht, er spricht noch nicht, aber sein Geist ist geheimnisvoll und rätselhaft präsent. «Schweben» bedeute im Hebräischen auch der Flügelschlag eines Adlers. Im Schöpfungsbericht werde der hebräische Begriff ruach im Sinne von «Atem des Lebens» verwendet, wobei die Bedeutungen von Geist, Atem und Wind ineinanderfließen. Ruach verkörpere die unsichtbare, belebende göttliche Kraft, die Neues erschaffen, Totes wiederbeleben und alles verwandeln kann.
Hinter dieser poetischen Verdichtung stecke immer auch das menschliche Bemühen, Unvorstellbares und religiöse Welterfahrungen in einen erzählbaren Mythos zu gießen. Mit dem Heiligen Geist habe sich zudem die Hoffnung verbunden, dass Gott unsichtbar in unserer Welt anwesend ist und die Weltgeschichte quasi aus dem Hintergrund lenkt.
Materialisierung des Heiligen Geistes
«Gott ist Geist», zitiert das Johannes-Evangelium den Gründer des Christentums. Und alle anderen Evangelien teilen die Überzeugung, dass Jesus selbst Träger des göttlichen Geistes ist. Dessen Inkarnation wird bei Lukas von einem Engel mit den Worten an Maria angekündigt, dass der Heilige Geist über sie kommen werde und folglich auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt wird.
Der Heilige Geist ist nun nicht mehr etwas völlig Abstraktes, fern der Menschen Außenstehendes, sondern kann verliehen werden. Über die Taufe Jesu heißt es: «Und der Heilige Geist fuhr hernieder auf ihn in leiblicher Gestalt wie eine Taube.» Dass der Geist durch das Wasser der Taufe zu Menschen gelangen kann, sei schon eine bemerkenswerte Materialisierung des Geistes, bemerkt Jörg Lauster. Beim zweiten großen Ritus des Christentums, dem Abendmahl, kann der Geist nun sogar schon mit der Nahrung aufgenommen werden.
Im Lauf der Jahrhunderte schreiben die Christen dem Heiligen Geist immer mehr Eigenschaften zu. Für den thüringischen Theologen und Philosophen des Spätmittelalters, Meister Eckhardt, stellt sich die Frage nach dem Warum des Lebens nicht mehr. Der Heilige Geist sei in der Seele bereits angelegt, so der Mystiker, und verwandelt das individuelle Leben der Menschen, spendet Gelassenheit, Trost und Freiheit.
Insbesondere der Begriff Freiheit hatte für die Renaissance höchste Bedeutung: Frei ist der Mensch, weil er ein Ebenbild Gottes ist, denn Gottes Geist wirkt im Geist des Menschen. In der menschlichen Selbst- und Weltgestaltung entfaltet sich der göttliche Geist. Für Kant, Herder und Hegel ist die Selbstverwirklichung des Menschen hin zum Guten möglich, weil der göttliche Geist wie eine lockende Stimme aus einer anderen Welt ihn dazu bewegt.
Zu viel Begeisterung ist allerdings auch nicht gut. Geißlerzüge, Kreuzzüge oder Judenverfolgungen führt Jörg Lauster als Musterbeispiele fehlgeleiteten religiösen Eifers an. Eine Überdosis Enthusiasmus könne offenbar Fanatismus auslösen. Der englische Philosoph John Locke warnte denn auch davor, sich nicht zu sehr auf das innere Licht des Geistes zu berufen. Denn man könne dabei nie klar zwischen «dem Blendwerk des Teufels und den Eingebungen des Heiligen Geistes unterscheiden».
Der Masterplan für die Weltgeschichte
Laut Hegel ist der Geist der Motor des Weltganzen. Der Prozess seiner Entfaltung laufe als ein historischer Fortschritt ab, der im Staat seine Vollendung finde. Trotz aller Irrungen und Verwirrungen folge die Menschheit doch letztendlich dem Mandat eines göttlichen Masterplans und steure einem bestimmten Ziel entgegen.
Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs sah der französische Schriftsteller, Philosoph und Religionskritiker Albert Camus das völlig anders. Geschichte stellt für ihn nur noch ein sinnloses, grausames Gemetzel dar. In einem desaströsen Jahrhundert weicht der selig machende Fortschrittsglaube dem Pessimismus. Angesichts der Absurdität des Lebens kommt dem Einzelkämpfer Mensch das Schicksal zu, sich gegen die Sinnlosigkeit mutig aufzulehnen und dem Ganzen einen Hauch von Sinn zu verleihen.
Doch der Heilige Geist ist nicht kleinzukriegen, immer wieder bahnt er sich seinen Weg ins öffentliche Geschehen. In Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer, Martin Luther King, Nelson Mandela und Mutter Teresa sieht Jörg Lauster «Lichtgestalten», die er als prominente Beispiele für die Geistesgegenwart in Personen betrachtet.
Das Phänomen, den Geist Gottes in Personen zu ehren, ist nicht neu, sondern Teil des jüdischen Erbes, das das Christentum übernommen hat. Skepsis sei zwar angebracht, so Lauster, denn schnell können daraus unreflektierte Heiligenverehrung und ein kritikloser Personenkult erwachsen. Aber der Autor will sich die Lichtgestalten nicht von zynischen Kritikern schlecht machen lassen. Und er kontert: Ist nicht die Lust an der Dekonstruktion bisweilen selbst ein Zeichen von trostloser Geistigkeit?
Pfingstler – vom Heiligen Geist ergriffen
Das Pfingstchristentum wiederum sah es nicht ein, weshalb der Heilige Geist nur eine exklusive Erfahrung sein sollte, die einem kleinen geschlossenen VIP-Club vorbehalten war. Das plötzliche «Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm», von dem das Neue Testament berichtet, als der Heilige Geist auf die Apostel und Jünger herabkam, wiederholte sich im September 1906 in Los Angeles in der Azusa-Gemeinde. Aus Erfahrungsberichten ist überliefert, wie sich Besucherinnen und Besucher plötzlich vom Heiligen Geist ergriffen und durchströmt fühlten. Lauster: «Die Botschaft von der Erweckung und Wiederbelebung des Christentums durch den Heiligen Geist kannte keine Schranken. Schwarze, Weiße, Latinos und amerikanische Ureinwohner, sie alle waren aufgerufen, Pfingsten miteinander zu erleben.»
Die Pfingstbewegung ist heute weltweit verbreitet. In Chile sind ungefähr 16 Prozent der Bevölkerung Pfingstler. Andere protestantischen Denominationen wie Lutheraner, Methodisten, Presbyterianer und Baptisten stellen laut Jörg Lauster sehr kleine Minderheiten dar. «Öffentlicher Protestantismus ist in Chile weitgehend pfingstlicher Protestantismus.» Global betrachtet in Zahlen gemessen ist sie die erfolgreichste Geistbewegung in der Geschichte des Christentums. Schätzungsweise eine halbe Milliarde Menschen sind heute dem Pfingstchristentum zuzurechnen.
Der Erfolg dieser Bewegung speise sich zum Teil aus der religiösen Sehnsucht nach der unmittelbaren Vergegenwärtigung des Heiligen Geistes. Dieser wirkt demnach in den Herzen und bedarf dazu keiner äußeren Mittel wie Bibel, Sakramente oder Kirche. Martin Luther verurteilte diese Bewegung als «Schwärmerei», denn er befürchtete eine Auflösung der Kirche.
Die pfingstchristliche Religionspraxis konzentriert sich vielmehr auf ein intensives Erlebnis: Religiöse Anwandlungen wie Rasen, sonderbares und unverständliches Reden und anderweitige ekstatische Ausnahmesituationen sowie Heilungserfahrungen werden auf die Wirksamkeit des Geistes zurückgeführt, der in die Menschen hineinfährt.
Trinitätslehre und das Ende
Jörg Lauster widmet sich in einem Kapitel der Trinitätslehre, eine «der erstaunlichsten theologischen Leistungen der Christenheit», so der Autor. Die Frage, wie sich Gott in drei Erscheinungsweisen – der Vater, der Sohn und der Heilige Geist – aufteilt und dennoch eine unauflösbare Einheit darstellt, bietet viel Raum für spekulative Fachsimpelei. Aber für zweifelnde Nicht-Theologen stellt sich bei der gesamten Lektüre dieses Buches dann doch die unvermeidliche Frage: Was ist denn nun der Heilige Geist? Wieso kann Gott nicht direkt wirken? Weshalb braucht es diesen diffusen Sammelbegriff eines mysteriösen Rauschens in der Welt?
Vielleicht, weil einige Menschen einfach daran glauben wollen. Alles wird einmal zu Ende gehen. Während die Naturwissenschaften mehrere Ausgangsszenarien für unsere Erde und das Universum präsentieren, können Christen mit einer Vollendungshoffnung auf Vergänglichkeit und Endlichkeit blicken. Denn der Heilige Geist lasse Menschen in einer höheren Ordnung aufgehoben wissen und sie erahnen, dass mit dieser Welt etwas gemeint ist.
Diese sinnstiftende Hoffnung steht konträr zu Charles Darwin, der bei seinen naturwissenschaftlichen Forschungen über die Entwicklung des Lebens darin weder eine Richtung noch gar Absicht erkennen konnte. Und wo kein Ziel, da auch kein Geist. Was bleibt, ist der naturalistische Materialismus und Friedrich Nietzsches Klage über die trostlose menschliche Überheblichkeit, die mittels Erkenntnisvermögen vergeblich versucht, die eigene universelle Bedeutungslosigkeit und einsame Weltverlassenheit zu kaschieren.
Zuversichtlich dagegen derjenige, der sich nach einem Geist sehnt, der ihn tröstet, innerlich erfüllt und inspiriert sowie Würde und Lebensmut stiftet. In dieser Hinsicht ist Jörg Lausters Buch ein selig machendes Programm, durch dessen Seiten der frische Wind braust. Und man darf gespannt sein, ob sich nun ein Autor traut, auch eine Biographie vom Gegenspieler des Heiligen Geistes vorzulegen, der in Goethes «Faust» bekundetet: «Ich bin der Geist, der stets verneint.»