Viermastbark «Peking» holte einst Salpeter aus Chile
Im vergangenen Jahr kehrte die «Peking» nach Hamburg zurück. Der Verein «Freunde der Viermastbark Peking» führt derzeit Besucher über den restaurierten Segler. Der Vereinsvorsitzende Mathias Kahl hat eine besondere Verbindung zu dem Schiff: Sein Vater begann 1928 seine dreijährige Ausbildung an Bord.
Karl Peter Friedrich Kahl war im Mai 1928 erst 15 Jahre alt, doch eine Schonzeit hatte die Hamburger Reederei Ferdinand Laeisz für ihn und 41 weitere Kadetten nicht vorgesehen. «Bei Windstärke 9 musste mein Vater in die Masten emporklettern und dort in 51 Meter Höhe die Segel bergen», erzählt Mathias Kahl. Die aufgepeitschte See schüttelte das Segelschiff gehörig durch, aber die eigentliche Feuerprobe stand noch bevor. Bei der Umrundung des gefürchteten Kap Hoorns rollten 15 bis 20 Meter hohe Wellen heran. «Mein Vater berichtete mir, wie die Brecher über das Deck schossen und er bis zur Brusthöhe im Wasser stand.» Zwei Matrosen wurden dabei von Bord gespült und nimmer mehr gesehen.
Dennoch betont Mathias Kahl, dass die Reederei alles andere als ein Club von Seelenverkäufern war. «Laeisz strebte beim Bau der Schiffe höchste Sicherheit und Qualität an. Auf eine besonders gut ausgebildete Mannschaft wurde viel Wert gelegt.» So führten die Schiffseigner die so simple und doch geniale Erfindung der handbetriebenen Jarvis-Brasswinden ein, mit denen die Segelstellung justiert wurde. «Diese Innovation bedeutete eine enorme Erleichterung für die Crew.»
Ein bequemer Törn wie auf einem modernen Kreuzfahrtschiff wurde es trotzdem nicht. Es sei vorgekommen, dass die Matrosen drei Wochen lang nur in nassen Klamotten herumliefen und so auch in ihren Kojen schliefen. Die Kohle an Bord wurde nur für den Kapitänssalon und die Kombüse verfeuert, eine Heizung für die Mannschaft war nicht drin. Dafür allerdings eine schallende Ohrfeige vom Kapitän höchstpersönlich: «Mein Vater hatte eine falsche Leine ergriffen. Und da knallte es dann gehörig, dass er aufs Deck flog.»
Kapitän Jürgen Jürs war ein Seewolf, wie er im Buche steht. Geboren 1881 in Elmshorn bei Hamburg, entstammte er einer alten Segler- und Schipperfamilie. Ganze 66-mal umrundete er die stürmische Südspitze Südamerikas, 50-mal davon als Kapitän. So auch 1929 mit der «Peking». Die Fahrt wurde damals von dem US-amerikanischen Segler und Autor Irving McClure Johnson auf Zelluloid gebannt. Der Film gibt heute einen faszinierenden Einblick in das Leben an Bord – und dessen Strapazen.
«Mein Vater erzählte mir, dass das Essen manchmal so schmeckte, als hätte man das Deck geschrubbt und daraus etwas gekocht.» Kühlschränke oder gar Tiefkühltruhen gab es jedenfalls nicht; und ohne Strom konnte daher nur unverderblicher Proviant mitgenommen werden. Die Besatzung hielt zwar vier Schweine und ein paar Hühner an Bord, doch die waren nur für Sonn- und Feiertage zum Verzehr vorgesehen. Die Reise von Hamburg nach Chile zog sich aber 90 bis 100 Tage hin. Es half also alles nichts: Durchhalten hieß die Devise.
Dann war es endlich geschafft. Die «Peking» lief in den Hafen von Valparaíso ein. Hier schafften die Männer die Importwaren wie Industriestoffe, Kohle und Steinway-Klavierflügel an Land. Anschließend hieß es Kurs auf Antofagasta, Iquique oder Arica, um Salpeter aufzunehmen. Boote transportierten die 80 bis 100 Kilo schweren Säcke zum Schiff, das in der Bucht auf Reede lag. Mit Hilfe von Flaschenzügen – in der Seemannsprache als Talje bezeichnet – hievten die Matrosen das Natriumnitrat an Bord. Insgesamt 5.000 Tonnen passten in den Bauch des Frachtenseglers. Bis zu zwei Monaten konnte sich die Verlade-Aktion hinziehen.
Unter Deck stapelte die Mannschaft die schweren Säcke zu kleinen Pyramiden auf. Zusätzlich sollten Schweißlatten verhindern, dass Schwitzwasser nicht mit der Ladung in Berührung kam, sondern zwischen Bordwand und Schweißlatten hinunter in die Bilge floss. Erst einmal in Hamburg wieder angekommen, mussten dann aber doch oft Vorschlag- oder gar Presslufthammer ran: In der feuchten Luft hatte sich der Chilesalpeter zu steinharten Klumpen verklebt.
Seitdem die «Peking» 1911 bei der Hamburger Schiffswerft Blohm + Voss vom Stapel gelaufen war, hatte sie 34 solcher Rundreisen absolviert. Nur ein einziges Mal transportierte sie nicht Natronsalpeter, sondern Getreide aus Argentinien nach Europa. Die Viermastbark zählte zu den sogenannten Flying P-Linern, deren Namen alle mit «P» begannen wie die «Passat», «Pamir», «Pommern», «Padua» oder «Priwall», und die wegen ihrer Sicherheit und des hohen Tempos berühmt wurden.
Als die «Peking» 1914 wieder einmal in Valparaíso Anker warf und in Europa der Erste Weltkrieg ausbrach, beschlagnahmten die Alliierten den Windjammer zusammen mit 57 weiteren Großseglern vor der chilenischen Küste. Nach einer fünfjährigen Internierung ging das Schiff als Reparationsleistung im Versailler Vertrag nach Italien. Die Reederei F. Laeisz kauft die «Peking» schließlich zurück, doch die Tage des Salpeterhandels mit Chile waren endgültig gezählt. Mit dem Haber-Bosch-Verfahren ließ sich Ammoniak und damit Düngemittel mittlerweile synthetisch und im großen Stil industriell herstellen. Die Briten erwarben die «Peking» 1932 und nutzten sie unter dem neuen Namen «Arethusa» als stationäres Schul- und Internatsschiff auf dem Fluss Medway.
Vier Jahrzehnte vergingen. Eine Rückführung lehnte die Stadt Hamburg 1974 aus Angst vor zu hohen Restaurierungskosten ab. Und so ging die Odyssee der einstigen «Peking» weiter: 1975 landete sie als Museumsschiff im Hafen von New York. Aber den neuen Besitzern ging das Geld aus, um das alte Traditionsschiff am Laufen zu halten, das sich bereits in einem jämmerlichen Zustand befand. Letzter Hafen Schrottplatz?
Seit 2002 setzte sich die Stiftung Hamburg Maritim für eine Rückholung ein. Auch der 2013 gegründete Verein «Freunde der Viermastbark Peking» kämpfte um den einzig noch verfügbaren Flying P-Liner. Das schier Unmögliche gelingt 2015: Der Deutsche Bundestag bewilligt 120 Millionen Euro. Die «Peking» wird 2017 nach Deutschland zurückgeholt, aufwendig restauriert und läuft September 2020 in einer «triumphalen Heimkehr», so das Hamburger Abendblatt, in ihren Heimathafen ein. Hier soll mit dem Geld auch ein zukünftiges Deutsches Hafenmuseum entstehen, natürlich mit der «Peking» als Vorzeige-Exponat.
Derzeit reparieren Handwerker noch einige marode Stellen an Bord, doch schon jetzt ergatterten Besucher begehrte Tickets für einstündige Führungen, die bis Ende Oktober ausgebucht sind. Die extra geschulten Tour Guides kommen vom Verein «Freunde der Viermastbark Peking», der insgesamt 450 Mitglieder zählt. «Uns alle verbindet eine Liebe zur Seefahrt und zu diesen wunderschönen Schiffen», erklärt Angelika Kahl das Engagement der maritimen Vereinigung. Selbst Menschen aus Süddeutschland würden sich für den 115 Meter langen Segler begeistern.
Für den Vereinsvorsitzenden Mathias Kahl kommt noch eine sehr persönliche Note hinzu. «Mein Vater hat seine Zeit auf der „Peking“ nie bereut. Er machte anschließend sein Kapitänspatent.» Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm, Matthias Kahl arbeitete 42 Jahren als Kaufmann in der Schifffahrt, unter anderem bei Hamburg-Süd, davon fünf Jahre in Brasilien. Die Cóndor-Leser ruft er an dieser Stelle auf, ihm mehr über die chilenische Seite der «Peking» zu berichten. «Da fehlen uns leider noch viele Informationen. Und für die Ausstellung hätten wir sehr gerne einen oder mehrere echte Salpetersäcke im Laderaum.»
Der E-Mail-Kontakt: info@peking-freunde.de
Angelika und Mathias Kahl engagieren sich im Verein «Freunde der Viermastbark Peking» für den legendären Flying P-Liner. Neben dem Ehepaar steht ein Schiffsmodell des alten Seglers. Foto: Arne Dettmann Im Laderaum stapelten sich einst die 80 bis 100 Kilo schweren Salpetersäcke. Foto: Sinje Hasheider Blick in die Unterdecks der Viermastbark «Peking». Foto: SHMH, Sinje Hasheider