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134 Jahre Zeitungsgeschichte gehen zu Ende

«Argentinisches Tageblatt» wird eingestellt

Das Team des «Argentinischen Tageblatts» im Jahr 2017; dritter von links: Chefredakteur Stefan Kuhn; zweiter von rechts: Herausgeber Juan Alemann, rechts daneben Redakteur Marcus Christoph.

Die deutschsprachige Zeitung «Argentinisches Tageblatt» in Buenos Aires hat ihre Druckausgabe eingestellt. Finanzielle Probleme und personelle Engpässe brachten das Aus für eines der traditionsreichsten Blätter in Argentinien.

«Die Wochenzeitung Argentinisches Tageblatt erscheint heute zum letzten Mal», schreibt Herausgeber Dr. Juan Alemann auf dem Titelblatt am Freitag, 13. Januar. «Der Tod unseres Chefredakteurs Stefan Kuhn stellt uns vor ein unlösbares Problem, nachdem wir ohnehin zu wenig Redakteure hatten.» Stefan Kuhn war Anfang des Jahres an einem Herzinfarkt gestorben. Er wurde 61 Jahre alt. Der gebürtige Baden-Württemberger war 1993 zum Tageblatt gekommen und hatte die Zeitung seit 1996 als Redaktionsleiter geführt.

Initiative und Identifikation

Für die Zeitung war es offenbar schwer geworden, deutschsprachige Journalisten für die Mitarbeit zu gewinnen und zu halten. «Es ist nie gelungen, eine personelle Kontinuität zu erreichen. Das hat mich persönlich zermürbt», erklärt Redakteur Marcus Christoph auf Anfrage gegenüber dem «Cóndor». Neue Kollegen kamen – und gingen dann auch wieder schnell. Der Verlag habe nur Arbeitsverträge auf drei Monate ausgestellt und alles andere als üppige Gehälter gezahlt, erklärt der Norddeutsche, der seit 2009 beim Tageblatt tätig ist. «Wer soll sich dafür begeistern?»

Doch waren es gerade Begeisterung und eine gehörige Portion Idealismus, die das Fortbestehen des Periodikums sicherten. «Die Zeitung konnte in den letzten Jahren nur überleben, weil das Personal, das auf ein Dutzend Personen geschrumpft war, aktiv mitarbeitete», schreibt Juan Alemann. «Sie empfanden das Argentinische Tageblatt als ihre Zeitung, und jeder machte seine Arbeit mit viel eigener Initiative.»

Besonders Stefan Kuhn habe sich mit der Zeitung identifiziert und empfand eine große Verantwortung gegenüber dem Blatt, so Marcus Christoph in seinem Nachruf auf den verstorbenen Chefredakteur. «Als er vor zwei Jahren nach schwerer Herz-OP aufwachte, war seine erste Sorge, wie es um die Redaktion bestellt sei. Und auch im vergangenen Dezember, als er für mehrere Tage zu einer Untersuchung im Krankenhaus war, hatte er seinen Laptop dabei, um von dort seinen Teil zur Redaktionsarbeit beizutragen. Bis kurz vor seinem Tod galten seine Gedanken dem Gelingen der Zeitung.»

Ein düsteres Bild dagegen bei den Anzeigen. Das Werbeaufkommen sei stark zurückgegangen, viele große deutsche Firmen hätten sich zurückgezogen, so Juan Alemann. «Manche Firmen sind nicht mehr da, andere haben nicht-deutsche Geschäftsführer, die kein Deutsch sprechen. Deutsche Unternehmen sind zu multinationalen geworden, und der Erhalt einer deutschsprachigen Zeitung interessiert sie nicht. Ohne die großzügige Unterstützung von Cencosud (Supermärkte Jumbo, Disco und VEA) hätten wir schon vor Jahren aufgeben müssen. Wir sind dem langjährigen Vorsitzenden des Konzerns, Horst Paulmann, zutiefst dankbar.»

Neben dem Personalproblem und der fehlenden wirtschaftlichen Grundlage sei zudem die Auflage stark geschrumpft und rechtfertige die Zeitung kaum noch. In den deutschen Schulen in Argentinien sei die Zahl der Schüler, die mit Deutsch als Muttersprache eingestuft wurden, sehr zurückgegangen. Die Schüler sprächen unter sich vorwiegend Spanisch. Auch habe das Englische, das in diesen Einrichtungen als Drittsprache gelehrt wird, Deutsch zunehmend verdrängt.

Die deutschen Vereine und Kirchen bestünden zwar weiter, hätten jedoch einen starken lokalen Charakter. Juan Alemann: «Es geht hier in die gleiche Richtung, die deutsche Vereine in den Vereinigten Staaten durchgemacht haben, wo sie rein US-amerikanisch sind und nur auf den deutschen Ursprung zurückblicken.»

Die Existenz des Tageblatts habe immer auf Einwanderungswellen gefußt, die der Zeitung Leser brachten. Doch seit den 1960er Jahren sei dieser Zufluss aus dem deutschsprachigen Europa verebbt. Diese Entwicklung habe auch das «Argentinische Tageblatt» zu spüren bekommen.

Mit der Schließung einer der ältesten deutschsprachigen Publikationen geht ein weiteres Stück deutscher Medien in Lateinamerika verloren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatten auch die «Paraguay-Rundschau» sowie die «Brasil-Post» ihr Erscheinen eingestellt. Derzeit ist der «Cóndor» in Chile die einzige verbleibende, auf Deutsch gedruckte Zeitung in Südamerika.

Titelseite der letzten Ausgabe des «Argentinischen Tageblatts» am Freitag, den 13. Januar 2023

Fortsetzung mit digitaler Zeitung?

Dabei sind sinkende Auflagen und wegbrechende Werbeeinnahmen kein Phänomen nur auf diesem Subkontinent. In Deutschland hat sich die Gesamtzahl der verkauften Zeitungen seit dem Jahr 2000 auf 14,2 Millionen Exemplare im Jahr 2020 halbiert. Bei den Anzeigen brach von 2010 bis 2020 die Hälfte aller Einnahmen weg. Digitale Angebote – das sogenannte E-Paper – konnten diesen Schwund bisher nicht auffangen. Laut dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) entsprachen E-Paper und weitere digitale Umsätze gut zehn Prozent der Gesamteinnahmen bei den Zeitungen im Jahr 2020.

Die als umgangssprachlich «Zeitungssterben» bezeichnete Entwicklung hat in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu zahlreichen Insolvenzen, Schließungen und Fusionen mit fortschreitender Pressekonzentration geführt. Doch technische Neuerungen sind nicht nur mit Gefahren, sondern auch Chancen verbunden. Juan Alemann erinnert daran, dass einst der Bleisatz verschwand und von der moderneren Technologie des Offset-Drucks abgelöst wurde. «Dies hat die Herstellung der Zeitung stark verbilligt. Die technologische Revolution hat unsere Druckerei zunichte gemacht, aber der Zeitung verholfen, weiter zu bestehen.»

Könnte also das Digitale sogar die Rettung sein? Laut Marcus Christoph habe es der Verleger Juan Alemann offengelassen, ob andere das Tageblatt als reine elektronische Ausgabe weiterpublizieren möchten. Die hohen Druckkosten der Printausgabe fielen dabei weg. Allerdings bräuchte es immer noch engagierte Journalisten, die trotz widriger Umstände redaktionelle Inhalte zusammenstellen und publizieren.

Der mittlerweile 95-jährige Juan Alemann weiß das nur zu gut: «Das Ende des Argentinischen Tageblatts hat eigentlich schon 1992 begonnen, als wir, mein Bruder Roberto und ich, uns überlegten, ob es nicht vernünftiger wäre, auch die Zeitung zu schließen. Doch die Liebe zum Tageblatt und die Verpflichtung, die wir gegenüber der deutschsprachigen Gemeinschaft empfanden, bewog uns, weiterzumachen, auch unter schwierigen Umständen, die mit der Zeit dann komplizierter wurden.» (Siehe die Geschichte des «Argentinischen Tageblatts» auf Seite 2 dieses Cóndor.).

Arne Dettmann absolvierte 2003 ein Praktikum beim Argentinischen Tageblatt und war von 2005 bis 2011 Redakteur und von 2011 bis 2018 Redaktionsleiter beim Cóndor.

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