Von Walter Krumbach
Die Serie des US-amerikanischen Fernsehanbieters HBO schildert in fünf Folgen die Atomkatastrophe von Tschernobyl und die darauffolgenden Geschehnisse: angefangen mit den verzweifelten Löschversuchen der Feuerwehrleute, bis zu den Warnungen der Wissenschaftler, dem Unvermögen der Techniker, den Unglücksfall unter Kontrolle zu bekommen und den Bemühungen der Politiker, das Unheil möglichst geheimzuhalten oder zumindest zu verharmlosen.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der Experte Waleri Legassow, Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, der das Untersuchungskomitee leitet, das nach dem Desaster gegründet wird. Legassow (Jared Harris) trifft unmittelbar nach dem Unglück die ersten Entscheidungen, um weitere Explosionen zu vermeiden, hält die Regierung über die Situation auf dem Laufenden, fordert die sofortige Evakuierung der benachbarten Stadt Prypjat und berichtet in Wien der Internationalen Atomorganisation über die Geschehnisse. Er sagt im Prozess gegen die Verantwortlichen des Kraftwerks aus, wobei er sich nicht nur mit Wiener Referat selbst widerspricht, sondern auch Fakten preisgibt, die für die Regierung politisch untragbar sind. Dies hat zur Folge, dass seine Aussagen nicht in den Medien veröffentlicht werden. Der KGB nimmt ihn fest, untersagt ihm, mit irgendjemandem über Tschernobyl zu sprechen, seine Leistungen werden nicht anerkannt und – schlimmer noch – er erhält lebenslängliches Arbeitsverbot. Genau zwei Jahre nach der Explosion nimmt Legassow sich das Leben.
Der Film schildert nüchtern und präzise die Entwicklung der Tatsachen, wobei die komplexen technischen Details nicht außer Acht gelassen werden. Das Drehbuch setzt den Akzent auf die Unvereinbarkeit von wissenschaftlichen Fakten und politischer Korrektheit. Regisseur Renck spart nicht an Bildern von unerhörter Rohheit, die zudem handwerklich meisterhaft verarbeitet worden sind und dadurch quälend realistisch wirken. Damit suggeriert das Szenenbild Authentizität, die darüber hinaus von der Blu-Ray-Disc in kalten Farben und knallharten Hell-Dunkel-Kontrasten wiedergegeben wird. Der Surround-Ton ist ganz auf Breitwand angelegt, nutzt dabei das Maximale seiner Möglicheiten, wobei er zum Beispiel dem Basslautsprecher tiefste Frequenzen abverlangt.
Wir wissen zwar nicht, ob die Schilderung vollkommen wahrheitsgetreu ist – nach der Erstausstrahlung gab es viel Lob, indes auch (besonders aus bestimmten russischen Kreisen) harsche Kritik – aber das stichhaltige Drehbuch, die naturalistische Inszenierung und die überragenden schauspielerischen Leistungen stufen die Serie unter ihresgleichen ohne Zweifel als Meisterwerk ein.
Die spärlich beigefügten Extras beziehen sich hauptsächlich auf die Produktion der Serie. Regisseur Johan Renck versichert, dass er nicht an Action, sondern an Psychologie interessiert sei, die drei Hauptdarsteller Jared Harris, Stellan Skarsgård und Emily Watson geben Interviews, in denen sie ihre Figuren erkunden. Eine Dokumentation über das historische Ereignis Tschernobyl sucht man vergebens.
«Chernobyl», USA, Vereinigtes Königreich 2019. Regie: Johan Renck. Produktion: Sanne Wohlenberg. Drehbuch: Craig Mazin. Musik: Hildur Guðnadóttir. Kamera: Jakob Ihre. Ton: Vincent Pipponier. Schnitt: Jinx Godfrey, Simon Smith. Mit: Jared Harris, Stellan Skarsgård, Emily Watson, Jessie Buckley, Adam Nagaitis u. a. Spieldauer: Fünf Folgen von je 58 bis 72 Min.
Bild ****
Ton *****
Darbietung *****
Extras **