Das Nobelpreiskomitee gab am 7. Oktober bekannt, dass dieses Jahr der deutsche Astrophysiker Reinhard Genzel den Physik-Nobelpreis erhält. Im Cóndor-Interview erklärt Dr. Andreas Kaufer, Direktor der Europäischen Südsternwarte (Eso), inwiefern die Eso-Instrumente eine Rolle bei den Forschungsarbeiten zum Schwarzen Loch spielten und wie die Forscher über die Kontinente hinweg miteinander arbeiten.
Wie war die Reaktion bei Ihnen bei der Europäische Südsternwarte, der Eso, auf die Nachricht des Physiknobelpreises für Reinhard Genzel und die anderen beiden Wissenschaftler?
Erst einmal waren wir total überrascht, als die Nachricht aus Stockholm kam. Der Physiknobelpreis ging ja gerade erst letztes Jahr an zwei Astronomen für die Entdeckung des ersten Planeten, der eine andere Sonne umkreist. Die beiden Preisträger von 2019, Didier Queloz und Michel Mayor, sind übrigens auch intensive Benutzer der Eso-Teleskope in Chile und haben mit ihnen viele weitere extrasolare Planeten entdeckt. Es ist unüblich, dass der Nobelpreis zweimal hintereinander in das gleiche Fachgebiet geht. Umso mehr haben wir uns für Professor Reinhard Genzel und sein Team gefreut, dass er den Preis für den Nachweis eines supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße erhält.
Wir bei der Eso haben dieses fundamentale Ergebnis bereits seit vielen Jahren als nobelpreisträchtig eingestuft. Natürlich sind wir sehr stolz, dass die meisten Beobachtungen, die zu diesem Ergebnis und nun dem Nobelpreis geführt haben, mit Eso-Teleskopen hier in Chile gemacht wurden. Die Aufgabe der Eso ist es ja, den Astronomen die besten Teleskope und Instrumente an den besten Standorten in der Welt für ihre Forschung zur Verfügung zu stellen. Wenn ein Wissenschaftler dann mit unseren Geräten einen solchen Preis gewinnt, ist das die beste Bestätigung für uns, dass wir gute Arbeit geleistet haben.
Können Sie etwas zu dem Thema der Schwarzen Löcher sagen, für das der Nobelpreis vergeben wurde?
Schwarze Löcher waren für lange Zeit rein theoretische Objekte, deren Existenz zwar vorhergesagt, aber nicht nachgewiesen werden konnte. Da sie ja kein Licht aussenden – daher der Name – entziehen sie sich der direkten Beobachtung und können nur indirekt über die Auswirkung auf ihre Umgebung nachgewiesen werden. Der stärkste Effekt eines Schwarzen Loches ist die Anziehungskraft aufgrund seiner Masse. So wie die Anziehungskraft unserer Sonne die Planeten einschließlich der Erde auf stabilen Umlaufbahnen hält, kreisen Objekte auch um ein Schwarzes Loch. Genzel und sein Team haben in den letzten 30 Jahren die Umlaufbahnen von einer Handvoll Sternen, die das Zentrum unserer Milchstraße umkreisen, genauestens vermessen. Dadurch konnten sie die Masse des zentralen Objektes, das man nicht sehen kann, auf das etwa Viermillionenfache der Masse unserer Sonne bestimmen.
Da einige der Sterne auf ihrer Umlaufbahn dem zentralen Objekt sehr nahekommen und das Objekt daher sehr klein sein muss, kommt nur ein Schwarzes Loch als Kandidat für das Objekt in Frage. Durch solch hochpräzisen Messungen und dieses Ausschlussverfahren hat Reinhard Genzel nachgewiesen, dass es sich bei dem Objekt im Zentrum unserer Milchstraße um ein sehr massereiches Schwarzes Loch handeln muss. Mit dieser Entdeckung hat er auch ein natürliches Labor gefunden, in dem die Naturgesetze in der Nähe eines so extremen Objekts getestet werden können – allen voran die Allgemeine Relativitätstheorie. Darauf konzentriert sich übrigens die Arbeit von Reinhard Genzel in den letzten Jahren seit seiner Entdeckung.
Wie war die Vorgehensweise von Reinhard Genzel? Wie genau muss man sich seine Arbeit vorstellen?
Reinhard Genzel ist der Prototyp eines klassischen Experimentalphysikers: Hat er eine wissenschaftliche Frage, überlegt er sich ein Experiment, mit dem er die Frage beantworten kann. Im Fall von astronomischen Fragen können wir ja normalerweise nicht einfach mal hinfahren und das Experiment vor Ort machen, sondern müssen die Messungen von der Erde aus mit unseren Teleskopen machen. Das Besondere an Genzels Ansatz ist, dass er sich zusammen mit seinem Team dazu genau das Instrument baut, das er für seine Messungen braucht und es dann zu unseren Teleskopen bringt, um das eigentliche Experiment durchzuführen. Im Fall des Experiments zu dem unbekannten Objekt im Zentrum unserer Milchstraße, das ja über 30 Jahre gedauert hat, waren es mehrere Instrumente, die in den 1990er Jahren erst zu dem damals besten Teleskop auf der Südhalbkugel am La-Silla-Observatorium und seit Anfang des neuen Jahrtausends an die Riesenteleskope der Eso am Paranal-Observatorium gebracht wurden. Über die Jahre wurden die benutzten Teleskope immer größer und die Instrumente besser, so dass die Qualität und Genauigkeit der Messungen immer höher wurden. Das neueste Instrument mit dem passenden Namen «Gravity» kann heute die Positionen der Sterne auf ihrer Umlaufbahn um das Schwarze Loch 100-mal genauer bestimmen, als vor 30 Jahren das erste Instrument namens «Sharp».
Reinhard Genzel und sein Team waren all die Jahre regelmäßige Besucher an unseren Observatorien. Sie kommen immer noch gerne selbst, um an den Messkampagnen teilzunehmen und das Beste aus den Instrumenten herauszuholen. Die Daten selbst werden natürlich heutzutage digital nach Europa übermittelt und müssen erst aufwendig analysiert werden, um die eigentlichen Ergebnisse zu erhalten.
Wie viele Menschen arbeiten insgesamt bei der Eso? Hat sich die Zahl der Mitarbeiter in den letzten Jahren verändert?
Bei der Eso arbeiten heute etwa 700 Mitarbeiter, davon etwa 250 in Chile, der Rest im Eso-Hauptquartier in Garching bei München. Vor allem die Entwicklung, der Bau und die Inbetriebnahme des «Very Large Telescope» – vier Riesenteleskope mit Hauptspiegeln von mehr als acht Meter Durchmesser auf dem «Cerro Paranal» im Norden Chiles – hat in den 1990er Jahren zu einem großen Zuwachs an Mitarbeitern bei der Eso geführt. Ein weiterer Entwicklungsschritt war dann Esos Beteiligung am Alma-Observatorium, das wir mit unseren Partnern aus Nordamerika und Ostasien gebaut haben und nun gemeinsam in Chile betreiben.
Was zeichnet die Arbeit von Physikern bei solchen Forschungsarbeiten wie die von Reinhard Genzel aus? Müssen Sie auch nachts arbeiten?
Es ist sehr interessant, dass die letzten beiden Physiknobelpreise in der Astronomie auf langjährigen Studien basieren. Sowohl die Entdeckung der extrasolaren Planeten, als auch die Vermessung des Schwarzen Loches im Zentrum unserer Milchstraße waren Arbeiten, die sich über Jahre und Jahrzehnte erstreckt haben. In beiden Fällen ist es eine eigentlich simple, aber auch geniale Idee, deren Umsetzung dann aber viel Arbeit, Fleiß, Sorgfalt und auch einer gewissen Hartnäckigkeit bedurfte, um zum Erfolg zu führen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die beiden Preisträger aus der Schweiz und Deutschland kommen.
Inzwischen sind die Teleskope, Instrumente und Beobachtungsmethoden in der Astronomie sehr komplex und auch teuer geworden, so dass solche Forschungsaktivitäten nur in engster Kollaboration zwischen Eso und Genzels Team und mit einer Kontinuität über viele Jahre hinweg erfolgreich durchgeführt werden können. Dadurch fühlen wir uns bei der Eso als Teil dieses Teams und empfinden Genzels Erfolg auch als gemeinsamen Erfolg.
Und ja, Nachtarbeit ist natürlich Teil des Lebens eines Astronomen. Ein Astronom der Eso hier in Chile verbringt mehr als 100 Nächte im Jahr am Observatorium, um für seine Kollegen die Beobachtungen an den Teleskopen durchzuführen.
Was wird die Arbeit der Eso in Zukunft bestimmen? Was wird das neue Teleskop bringen?
Das nächste große Projekt der Eso hier in Chile ist der Bau eines 40-Meter-Teleskops auf dem «Cerro Armazones» – nicht weit vom «Cerro Paranal» entfernt. Dieses «Extremely Large Telescope» stellt einen weiteren Quantensprung in der Entwicklung von astronomischen Großteleskopen dar. Es wird 5-mal schärfere Bilder machen können und 25-mal empfindlicher als die größten heutigen Teleskope sein. Das eröffnet natürlich ungeahnte neue Möglichkeiten für die Erforschung des Weltalls und wird ohne Zweifel zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse und Überraschungen führen. Vor allem das hohe Auflösungsvermögen wird es erlauben, die nähere Umgebung des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie genauer zu untersuchen. Professor Genzel hat da sicher schon ein paar Ideen. Eine vieldiskutierte Möglichkeit ist aber auch, mit dem neuen Teleskop Hinweise für Leben auf einem der vielen bereits gefundenen extrasolaren Planeten zu entdecken. Das wäre dann sicher einen weiteren Nobelpreis wert..
Die Fragen stellte Silvia Kählert.
Zur Person:
Dr. Andreas Kaufer ist Direktor der Europäischen Südsternwarte (Eso). Er leitet den Betrieb der La-Silla- und Paranal-Observatorien in Chile. Außerdem ist er verantwortlich für den europäischen Beitrag zum Betrieb des Alma-Observatoriums. Er lebt seit 1999 in Chile.