Diskussion über Impfen nach Masernausbrüchen

Soll ich mein Kind impfen? In Deutschland sind viele Eltern durch Debatten im Netz oder in der Kita verunsichert. Einige Fakten für den Durchblick.
Berlin (dpa) – Impfen als Pflicht? Die Diskussion darüber hat sich auch an Masernausbrüchen in Schulen entzündet. Dort sind manchmal zu wenige Kinder immunisiert. Geht es ums Impfen, wird es schnell emotional. Argumente von Impfbefürworten treffen auf Äußerungen von Impfgegnern. Was stimmt und was stimmt nicht? Ein Faktencheck zur Europäischen Impfwoche vom 24. bis zum 30. April.
BEHAUPTUNG: Es gibt immer mehr Impfgegner.
BEWERTUNG: Das stimmt nicht.
FAKTEN: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung untersucht regelmäßig die Einstellung zum Impfen. Die jüngste Befragung von 2016 zeigt, dass der Anteil der Impfbefürworter gestiegen ist – von 69 Prozent im Jahr 2014 auf 77 Prozent 2016. Der Anteil der Befragten mit Vorbehalten gegen Impfungen ist dagegen deutlich gesunken, von 25 Prozent 2014 auf 18 Prozent 2016.
BEHAUPTUNG: Wenn man sich impfen lässt, kann die Krankheit erst Recht ausbrechen.
BEWERTUNG: Das ist falsch – mit extrem seltenen Ausnahmen.
FAKTEN: «Die meisten Impfstoffe heute sind Impfstoffe, in denen nur noch Teile des Erregers vorkommen», erläutert Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). In diesen Mitteln seien also keine vermehrungsfähigen Erreger, die Krankheiten auslösen könnten. Im Unterschied dazu gebe es Lebendimpfstoffe, die abgeschwächte Varianten eines Erregers enthielten. Beispiele dafür sind Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln und Gelbfieber. «Diese Erreger können sich begrenzt vermehren», sagt Cichutek. «Aber sie können die entsprechende Infektionskrankheit nicht mehr auslösen.»
Es gibt aber Ausnahmen: Im Ausland könne es auf drei bis vier Millionen mit Polio-Lebendimpfstoff – der in Deutschland nicht mehr gegeben wird – immunisierte Menschen im Schnitt bei einem Menschen zu Rückmutationen kommen, sagt Cichutek. Das heißt, dass dieser Mensch wirklich durch die Impfung Polio (Kinderlähmung) bekommt. Dieses sehr seltene Risiko werde aber toleriert, um Polio weltweit ausrotten zu können.
Bei den Masern gibt es zudem eine Besonderheit. So bekämen etwa 5 bis 15 Prozent der Geimpften besonders nach der ersten Masern-Immunisierung sogenannte «Impfmasern» mit mäßigem Fieber, flüchtigem Ausschlag und Symptomen im Bereich der Atemwege. Impfmasern seien aber nicht ansteckend und verursachten nur milde Symptome, die von selbst abklingen.
BEHAUPTUNG: Sein Kind impfen zu lassen, hilft der Gesellschaft.
BEWERTUNG: Das stimmt.
FAKTEN: Der Gemeinschaftsschutz, die sogenannte Herdenimmunität, ist nach Angaben auf den Internetseiten des Robert Koch-Instituts ein wichtiger Vorteil beim Impfen. Ein Mensch schütze mit der Impfung nicht nur sich selbst, sondern indirekt auch die anderen. Wenn ausreichend viele Menschen geimpft seien, könne sich ein Erreger nicht mehr in der Bevölkerung verbreiten. Erst dann seien auch Säuglinge oder Schwangere geschützt, die zum Beispiel nicht gegen Masern geimpft werden können.
BEHAUPTUNG: Impfungen können Autismus, Allergien und Plötzlichen Kindstod verursachen.
BEWERTUNG: Das ist falsch.
FAKTEN: «Das Gerücht,
insbesondere die Masernimpfung könne Autismus verursachen, geht auf eine
Untersuchung an nur zwölf
Kindern zurück», sagt Klaus Cichutek. Die Studie eines britischen Arztes sei
jedoch methodisch so fehlerhaft gewesen, dass das Fachmagazin «The Lancet» die
Veröffentlichung aus dem Jahr 1998 im Jahr 2011 zurückgezogen habe. Der Autor
hat seine Zulassung als Arzt in Großbritannien verloren.
Das gelte auch für Allergien. Als ein Beleg dafür gilt unter anderem, dass es in der DDR trotz Impfpflicht kaum Allergien gab. Es gebe sogar Hinweise darauf, dass Impfungen das Risiko für die Allergie-Entwicklung verringern können.
Auch beim Plötzlichen Kindstod (SIDS) wurde kein Zusammenhang mit Impfungen nachgewiesen. Vielmehr gingen diese Todesfälle in Deutschland trotz neuer Kombinationsimpfungen zurück.
BEHAUPTUNG: Eine Impfung belastet das Immunsystem von kleinen Kindern viel zu stark, weil es noch nicht voll ausgereift ist.
BEWERTUNG: Das ist falsch.
FAKTEN: «Das Immunsystem von kleinen Kindern ist dafür ausgerüstet, sich mit Krankheitserregern auseinanderzusetzen», sagt Klaus Cichutek. Das Immunsystem des Menschen entwickele sich durch Training. «Dieses Training sollte so früh wie möglich beginnen, und zwar mit einem ungefährlichen Trainingspartner», ergänzt er. Impfstoffe zählten dazu. Echte Krankheitserreger seien ohne ein trainiertes Immunsystem sehr gefährlich, zum Teil lebensgefährlich.
BEHAUPTUNG: Gegen Polio braucht man keine Impfung, weil es die Krankheit nicht mehr gibt.
BEWERTUNG: Das stimmt nicht.
FAKTEN: Polio (Kinderlähmung) gilt in Deutschland nach der großen Schluckimpfungskampagne ab 1962 heute als ausgerottet. Die letzte in Deutschland erworbene Poliomyelitis wurde nach den Daten des Robert Koch-Instituts 1990 erfasst. Die letzten beiden importierten Fälle (aus Ägypten und Indien) wurden 1992 registriert. Trotz des weltweiten starken Rückgangs der Poliomyelitis könne aber eine Einschleppung von Polioviren nach Deutschland nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die Impfung sei solange notwendig, bis nirgendwo auf der Welt mehr Polioviren zirkulierten.
Heute wird in Deutschland keine Schluckimpfung mit Lebendimpfstoff mehr gegeben, sondern inaktiver Impfstoff gespritzt. Damit gibt es kein Risiko einer Erkrankung durch diesen Impfstoff. In Ländern mit hohem Polio-Risiko setzt die Weltgesundheitsorganisation WHO jedoch nach wie vor auf die Schluckimpfung.
BEHAUPTUNG: Masern muss man durchmachen, das stärkt auch den Körper.
BEWERTUNG: Das ist falsch.
FAKTEN: Masern sind keinesfalls harmlos. Ein Drittel bis zur Hälfte der Fälle, die bisher an das Robert Koch-Institut gemeldet wurden, mussten im Krankenhaus behandelt werden. Denn Masernviren unterdrücken die Immunabwehr, so dass andere Krankheitserreger zum Zug kommen und zum Beispiel eine Lungenentzündung verursachen können. Pro Jahr werden in Deutschland laut Gesundheitsberichterstattung durchschnittlich vier bis sieben Todesfälle registriert, die auf eine Maserninfektion zurückzuführen sind. Vor Einführung der Impfung wurden in Deutschland um die 100 Todesfälle pro Jahr registriert.