Energiewende erfordert erheblich mehr Einsatz
Die vergangenen neun Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Hat die globale Klimadiplomatie versagt? Es gibt auch Erfolge, meinen Wissenschaftler. Das bei der Klimakonferenz 2023 vereinbarte Ziel zur Verdreifachung der Kapazität erneuerbarer Energien bis 2030 sei aber nur mit wesentlich mehr Anstrengungen erreichbar. In Chile sind die Erfolge im Bereich der erneuerbaren Energien auch für deutsche Akteure gefährdet.
(sik) Vor 30 Jahren, am 21. März 1994, hatten sich rund 200 Staaten auf das wichtigste Abkommen im Kampf gegen die Erderwärmung geeinigt, die Klimarahmenkonvention. Festgeschrieben wurde in der Konvention der Vereinten Nationen das Ziel, die Erderwärmung zu verlangsamen und ihre Folgen wie Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Stürme und Überschwemmungen abzumildern.
«Quantensprünge für mehr
Klimaschutz»
Doch die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen rund um den Globus sind immer weiter gestiegen. Und das im Pariser Abkommen von 2015 angepeilte Ziel, die Aufheizung des Planeten möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, ist kaum noch zu schaffen. Die vergangenen neun Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, und 2023 das mit Abstand wärmste.
Ist der Prozess gescheitert? «Keineswegs», meint Klimaforscher Niklas Höhne, Mitgründer des New Climate Institute in Berlin. «Vor 30 Jahren dachten wir noch, wir steuern auf bis zu 5 Grad Erderwärmung zum Ende des Jahrhunderts zu, vor zehn Jahren lagen die Schätzungen bei 3,5 Grad. Heute sind es eher 2,5 und im optimistischen Fall sogar leicht unter 2 Grad. Das ist ein großer Erfolg.»
Auch Christoph Bals von der Umweltorganisation Germanwatch sagt: «Gerade bei den größten Emittenten, also China, USA, Indien und der EU, haben wir in den letzten drei Jahren Quantensprünge für mehr Klimaschutz erlebt. Die Investitionen für erneuerbare Energien, Batterien, Elektromobilität und Wärmepumpen wachsen exponentiell in den G20-Staaten, wo 80 Prozent der Emissionen freigesetzt werden.»
Höhne unterstreicht ebenfalls: «Chinas Exporte beeinflussen auch andere Länder, China produziert 80 Prozent der weltweit verkauften Solarzellen und 60 Prozent der weltweit verkauften Elektroautos.»
Mehr Speicher, Arbeitskräfte und Kooperationen
Dennoch ist das bei der Klimakonferenz im vergangenen Jahr vereinbarte Ziel zur Verdreifachung der Kapazität erneuerbarer Energien bis 2030 nur mit wesentlich mehr Anstrengungen erreichbar. Zu diesem Schluss kommt die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (Irena), die am 19. März einen entsprechenden Bericht in Berlin vorlegte. Im Durchschnitt müssten demnach bis dahin beinahe 1.100 Gigawatt (GW) an zusätzlicher Kapazität jährlich installiert werden – mehr als doppelt so viel wie im Rekordjahr 2023 mit 473 GW hinzugekommen ist. Nötig seien jährliche Investitionen in Höhe von 1,55 Billionen US-Dollar. Die weltweit installierte Kapazität lag nach vorläufigen Irena-Zahlen im vergangenen Jahr bei 3.870 GW.
Laut Angaben der Irena sind zur Erreichung des Ziels eine verbesserte Infrastruktur der Netze und Energiespeicher, entsprechende politische Weichenstellungen und schlankere Genehmigungsverfahren sowie mehr Fachkräfte und Finanzmittel und eine engere internationale Zusammenarbeit notwendig. «Unsere Daten belegen, dass der Fortschritt weiterhin nicht ausreicht und die Energiewende weiter nicht auf Kurs ist», erklärte Irena-Generaldirektor Francesco La Camera.
Insbesondere Entwicklungsländer hinkten hinterher. So entfielen auf 120 von ihnen laut Irena nur 15 Prozent der globalen Investitionen in erneuerbare Energien, auf das südlich der Sahara gelegene Afrika entfiel demnach weniger als 1,5 Prozent, obwohl dort die am schlechtesten mit Energie versorgten Bevölkerungen leben. Zugleich habe es weltweit Subventionen von 1,3 Billionen US-Dollar für klimaschädliche fossile Energien gegeben.
«Starke Signale und Maßnahmen» in Chile gefordert
Grundsätzlich schreitet der Ausbau der erneuerbaren Energien auch in Chile mit großen Schritten voran. Bereits 2022 ist zum ersten Mal mehr Strom aus erneuerbaren als aus fossilen Energieträgern erzeugt worden.
Auch das deutsche Unternehmen wpd, das seit 2009 in Chile im Bereich Windparks tätig ist (siehe Cóndor vom 1. Dezember 2023), gibt bekannt, eine diversifizierte Wachstumsstrategie zu planen. Diese sieht die Entwicklung von eigenen Projekten und die Übernahme von Drittunternehmen vor. Die neuen Projekte bedeuten eine Investition von 1,5 Milliarden US-Dollar in Wind-, Solar- und ergänzende Speichersysteme für 1.000 MW bis 2026. Darüber hinaus prüft das Unternehmen eine zusätzliche Investition von rund einer Milliarde US-Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren für die Entwicklung eines grünen Wasserstoffprojekts in der Region Magallanes.
Dies hänge jedoch vom Vorhandensein der erforderlichen Übertragungsleitungen mit ausreichenden Kapazitäten sowie einer Aktualisierung der Strommarktregulierung ab, damit Unternehmen, die zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien setzen, angemessen vergütet werden. Ebenso wie Jaime Toledo, Präsident der Asociación Chilena de Energías Renovables y Almacenamiento, sieht Lutz Kindermann, Geschäftsführer der wpd, die Existenz von vielen Wind- und Solarstromerzeugern in Chile momentan als gefährdet an.
Kindermann unterstützt daher die Reforminitiativen der Regierung, stellt aber gleichzeitig fest: «Diese Maßnahmen reichen nicht aus. Kurzfristig sind starke Signale und Maßnahmen erforderlich, um das Vertrauen von Investoren und internationalen Banken durch klare Regeln und Rechtssicherheit wiederzugewinnen. Andernfalls läuft Chile Gefahr, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren und damit die Ziele, die sich das Land in Bezug auf die Energiewende und die Dekarbonisierung gesetzt hat, nicht zu erreichen.»
Lutz Kindermann begleitete die Delegation des Ausschusses für Klimaschutz und Energie aus Deutschland, die vom 3. bis 9. März in Chile war. Dabei sei einerseits das große Potential Chiles für den grünen Wasserstoff deutlich geworden, aber auch die schwierige Situation, die durch «die bestehenden Regelungen keine Investitionen zulässt».
Quellen: dpa, gtai, wpd