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Flucht nach Mendoza und Rückeroberung Chiles

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Die chilenische Unabhängigkeit (Teil 5)

Von Erwin Ramdohr

Nach der «Schlacht von Rancagua» wurde besonders für die Liberalen und Freimaurer, die seit 1810 an der Macht gewesen waren, der Verbleib in Chile gefährlich. Zwischen dem 2. und dem 5. Oktober 1814 flüchteten viele «Patriotas» mit ihren Familien aus Santiago nach Mendoza ins benachbarte Argentinien. Die wenigsten verfügten für die Reise über Pferde, Maultiere oder Esel, sodass viele von ihnen die Kordillere zu Fuß überschreiten mussten: Ganze Familien verschiedener Generationen, inklusive ihrer Dienerschaft. Unter den Flüchtlingen befanden sich die wichtigsten Machthaber der vergangenen Jahre wie O’Higgins, Carrera, Gaspar Marín, Bernardo Vera y Pintado, Camilo Henríquez und viele andere. Im Monat Oktober lag in den Bergen noch immer Schnee. Maultiere mussten der Gruppe den Weg bahnen, damit der Marsch überhaupt voran ging. Es waren schwere Tage. 

Währenddessen war Mariano Osorio feierlich in Santiago einmarschiert, und die «Realistas» hatten ihn mit höchsten Ehren empfangen. Osorio hatte allen seine guten Absichten erklärt, sogar den Revolutionären, die nicht nach Mendoza fortgezogen waren. Doch er hielt sein Versprechen nicht. Binnen kurzer Zeit ließ er die restlichen Liberalen gefangen nehmen und zur Insel Juan Fernández bringen. Unter ihnen waren die älteren Freiheitskämpfer wie José Antonio Rojas, Juan Egaña, Manuel de Salas, Joaquín Larraín, Ignacio de la Carrera – der Vater der drei Carrera Brüder – und noch viele mehr. 

Das Leben auf der Insel war hart. Die Hütten, in denen die einstigen Machthaber hausen mussten, waren voller Ratten und Ungeziefer. Es regnete fast jeden Tag. Ihr Essen mussten sie sich aus wenigen Nahrungsmitteln selbst zubereiten. Zudem behandelten die Soldaten sie grausam. Viele erkrankten, einige starben. 

Das neue Leben in Mendoza

Zu dieser Zeit war Oberst José de San Martín, ein argentinischer Offizier, der viele Jahre in Spanien gelebt hatte, seit einigen Monaten Gouverneur der argentinischen Provinz Cuyo. Er war 1812 in seine Heimat zurückgekehrt und hatte sich sogleich dem Unabhängigkeitskampf verpflichtet. Als Freimaurer empfing er seine chilenischen Brüder nach der Tragödie von Rancagua mit offenen Armen, stellte ihnen Häuser zur Verfügung und unterstützte sie, wo er konnte. Die gesamte Bevölkerung Mendozas nahm die chilenischen Liberalen in jenen schweren Tagen herzlich auf.

Auch José Miguel Carrera und seine Brüder gelangten nach Mendoza. Carrera wollte sich als chilenischer Präsident und Kommandant des chilenischen Heeres präsentieren, was ihm San Martín – der von den Ereignissen in Chile unterrichtet war – nicht durchgehen ließ. Er schickte die drei Brüder alsbald nach Buenos Aires, wo über ihr Schicksal entschieden werden sollte.

Bald danach gründeten die argentinischen und chilenischen Freimaurer die «Logia Lautaro» in Mendoza. Alle hohen Militärs traten ihr bei, unter ihnen San Martín, O’Higgins, Irisarri, Freire, de las Heras, Argomedo, Godoy Cruz, Álvarez Condarco und viele andere. Sie beschlossen den Plan von San Martín zu unterstützen, Chile zurückzuerobern und danach auf dem Seeweg mit einer Armee den Vizekönig von Lima zu bekämpfen. Das Unternehmen verlangte große Einsatzbereitschaft und viel Enthusiasmus, an dem es den Männern glücklicherweise nicht mangelte. Alle wollten dabei sein, und jeder einzelne von ihnen bekam eine eigene Aufgabe von San Martín zugeteilt.

Bernardo O’Higgins und José de San Martín schlossen in jenen Tagen eine enge Freundschaft, die ihr ganzes Leben andauern sollte. O‘Higgins wurde mit dem Bau des großen Lagers für das Regiment der Wiedereroberung beauftragt, was er in kürzester Zeit mit der Hilfe von vielen «Patriotas» aus Cuyo fertig stellte. Sobald San Martín Mendoza einmal verlassen musste, ließ er sich von seinem Freund O‘Higgins in der Kommandantur des Heeres vertreten.

San Martíns gut durchdachter Plan

San Martín war ein guter Regent. Er ordnete die Verwaltung der Provinz, ihre Sicherheit und ihre Finanzen neu, um seinen Plan verwirklichen zu können. Er musste ein Heer von mindestens 5.000 Männern aufstellen, um die Kordillere zu überqueren und die Spanier in Chile zu besiegen. Das erforderte einen gut geplanten Einsatz, denn es mussten Waffen angefertigt und tausende Pferde, Maultiere und anderes Vieh zusammengetrieben und versorgt werden. Die Versorgung eines Heeres solchen Ausmaßes war keine leichte Angelegenheit: Uniformen, Schuhe, Zelte und Nahrungsmittel der Soldaten – all das musste in enormen Mengen zusammengetragen werden.

San Martín war zudem nicht nur mit der Versorgung und dem Aufbau des Heeres beschäftigt. Er musste zeitgleich mit seinen liberalen Logen-Brüdern die militärische Strategie ausarbeiten und den Feldzug nach Chile planen. Zunächst sandte San Martín deshalb eine kleine Gruppe von Männern nach Chile, um einerseits die militärischen Absichten des Feindes auszukundschaften und andererseits die chilenische Bevölkerung darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie bald vom Joch der «Realistas» befreit werden würde. Manuel Rodríguez – ein chilenischer Anwalt und Freund Carreras – war derjenige, der in dieser Angelegenheit am meisten leistete, um zuerst Osorio und dann Marcó del Pont mit List zu täuschen.

Auch engagierte San Martín Schreiber, die Briefe verfassten, die er nach Chile an verschiedene «Realistas» senden ließ, um die Behörden irrezuführen. In den Briefen wurde die Lage so dargestellt, dass die Spanier schließlich glaubten, sie hätten nichts zu befürchten.

Die Vorbereitung des Heeres und die Entwicklung der Eroberungsstrategie dauerte volle zwei Jahre. Alles musste sorgfältig geplant werden. Um die Versorgung des Heeres während des Feldzugs nach Chile zu sichern, mussten 600 Rinder zusammengetrieben werden. Tausende Esel und Maultiere trugen vier Tonnen «Charqui», also getrocknetes Fleisch, außerdem drei Tonnen Zwieback, 1.133 Fässer Wein, zehn Fässer Schnaps für kalte Nächte, dazu noch drei Fässer Rum neben unzähligen anderen Dingen.

San Martín ließ Marcó del Pont im Glauben, dass das Heer den «Paso El Planchón» in der Gegend von San Fernando nach Chile kreuzen würde, sodass dieser die Höchstzahl seiner Soldaten dorthin mobilisiert hatte. Aber der argentinische Oberst hatte intelligenterweise sein Heer geteilt, und die verschiedenen Divisionen marschierten gleichzeitig durch mehrere Pässe der Kordillere ein. San Martín selbst, O’Higgins, de las Heras und Freire waren die Befehlshaber der verschiedenen Truppen.

Die entscheidende Schlacht von Chacabuco

Die Überquerung der Anden musste aufgrund der klimatischen Bedingungen im Hochsommer stattfinden. Ende Januar 1817 schließlich waren alle Divisionen unterwegs und in weniger als 14 Tagen erreichten die Heere der liberalen Kämpfer Chile, ohne auf eine große Gegenwehr seitens der Spanier zu stoßen. Der spanische Gouverneur war getäuscht worden. Er hatte sein Heer im Land verstreut, sodass eine effektive Verteidigung gegen die Angreifer schwierig war. Am 12. Februar ereignete sich die entscheidende Schlacht zu Füßen der Chacabuco-Bergkette im nahen Norden Santiagos. Die «Patriotas» siegten rasch über die «Realistas». Am Ende des Tages schrieb San Martín an seinen Regierungsdirektor in Buenos Aires: «Eine Division von 1.800 Mann vom spanischen Heer wurde in den Tälern von Chacabuco heute Nachmittag von meinem Heer vernichtet. 600 Gefangene, unter ihnen 30 Offiziere, 450 Tote und eine Flagge, sind das Resultat dieses glücklichen Tages.»

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