Es gibt viele Gründe, warum ich alle Jahre wieder Weihnachten hier in Chile mit gemischten Gefühlen erlebe.
Ich bin in Deutschland aufgewachsen und mit 25 Jahren nach Chile gekommen. Ich muss gestehen, dass ich mich gefühlsmäßig nie daran gewöhnen konnte, Weihnachten im Sommer zu genießen. Die Symbolik und Mystik aus dem Norden stimmen hier einfach nicht. Kerzen am Adventskranz anzünden bei Sonnenschein. Am Weihnachtsabend künstlich die Kirche verdunkeln, damit Stille-Nacht-Heilige Nacht-Stimmung aufkommt. Echte Kerzen biegen sich schmelzend in der Hitze. Weihnachtsgebäck backen und «O Tannenbaum, o Tannenbaum» und «Leise rieselt der Schnee» singen oder anhören müssen, wenn die Rosen blühen und die Himbeeren reif werden. Der Weihnachtsrummel mit Schnee in den Kaufhausschaufenstern verschlimmert das noch.
Als Pfarrer muss man nun aber das Beste draus machen. In erster Linie zur Freude der Kinder: «Ihr Kinderlein kommet.» Meine schönsten Weihnachtserinnerungen sind verbunden mit Frutillar.
Dort wurde ich von Kindergärtnerinnen der Deutschen Schule eingeladen, den Weihnachtsmann zu spielen. Schon vorher in Osorno hatte mal jemand gesagt, ich könnte doch gut den Weihnachtsmann spielen, ich bräuchte mir nur den Bart wachsen lassen. Damals dachte ich: So weit kommt’s noch – der Pastor spielt den Weihnachtsmann. Nun kam es so weit! Es war eine einzigartige Erfahrung. Unvergesslich die Kinderaugen, die einen voller Staunen und Erwartung anblicken. Was die Kinder da alles fragen und wissen wollen: Woher ich käme? Wo ich den Schlitten und die Zwerge gelassen hätte? Und was man dann alles mit gemischten Gefühlen erfinden muss! Bei einem Jungen dachte ich: «Der wird mich erkennen hinter dem aufgeklebten Bart.» Aber nein: Die Illusion und das Wunschdenken waren stärker. Wie so oft im Leben. Ein Glück.
Zum Heiligen Abend bauten wir mit den Kindern aus dem Religionsunterricht einen Stall mit Alerceschindeln im Altarraum auf. Der wurde mit Strohballen gefüllt, worauf sich die Engel beim Krippenspiel niederlassen konnten. Ein Junge auf der Kanzel rief als Kaiser Augustus, dass alle Welt sich schätzen ließe. In einem Jahr hielt ich Einzug als Nikolaus verkleidet, der alle möglichen Geschenke, die angeschleppt worden waren, anpries. Hohoho. Dann, während die Gemeinde ein Lied sang, zog ich mich um und erschien mit Talar als normaler Pastor – die Konkurrenz zum Weihnachtsmann. Der zu erklären versuchte, dass das schönste und wichtigste Geschenk das Kind in der Krippe sei, in Windeln gewickelt, von den Engeln besungen, von Maria und Josef mit Freuden angestrahlt und von den Hirten angebetet. Das will in unseren Herzen wohnen und uns im Leben begleiten, erleuchten und trösten.
Ob die Anwesenden damals diese Weihnachtsgottesdienste genauso genossen haben wie ich? Sicher saßen sie da mit gemischten Gefühlen, vor allem weil da auch echte Kerzen angezündet waren! Aber ein Eimer Wasser stand bereit und der alte Herr Lindemann hielt strenge Wache für den Fall eines ausbrechenden Weihnachtsfeuers. Für mich schöne Erinnerungen mit guten Gefühlen.
Aber es regen sich tief in mir, unabhängig von der chilenischen Weihnacht noch grundsätzlichere gemischte Gefühle. Da bohrt die zweifelnde Frage, ob die christliche Weihnachtsbotschaft von der rettenden Menschenliebe Gottes und dem «Frieden auf Erden» heute noch glaubhaft sei. Aber: War die Welt und Menschheit je viel anders? Trotz allem will ich nicht loslassen von dem, «was uns die Alten sungen»:
«Bewundert, o Menschen, dies große Geheimnis:
Der höchste Beherrscher erscheinet der Welt.»
(Bachkantate zum 1.Advent).
«Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.»
(Jochen Klepper)
Ich wünsche uns allen eine frohe und geisterfullte Weihnachten!