Jahrhundert-Mephisto im Schatten dunkler Mächte
Johann Wolfgang von Goethes Mephistopheles-Figur in der Tragödie «Faust» war ihm auf dem Leib geschrieben. Kein anderer deutschsprachiger Schauspieler hat diese Rolle so einfallsreich und vielschichtig gestaltet. Ironischerweise erkennt der Leser Gustav Gründgens im Roman «Mephisto» von Klaus Mann als abstoßende Hauptfigur. Und das mit gutem Grund.
Als im Mai 1958 im Hamburger Deutschen Schauspielhaus Goethes «Faust II» in der Inszenierung von Gustaf Gründgens Premiere hatte, stellt der angesehene Theaterkritiker Siegfried Melchinger «eine Wiederlegung der Legende von der Unaufführbarkeit des ,Faust II’» fest. «Was zahllose Kommentatoren, bestätigt von vielen unglücklichen Inszenierungsversuchen, für unmöglich gehalten hatten», fährt Melchinger fort, «hier wurde es Ereignis. ,Faust’, der Tragödie erster und zweiter Teil, erwies sich nicht nur unsterblich als Dichtung, sondern von gegenwärtiger Wirkung als Theaterstück.» Die Beschäftigung mit Goethes «Faust» stellte in Gründgens Karriere den Gipfel dar.
Erste Engagements nahm der junge Schauspieler an Provinztheatern an. 1925 begann er eine Zusammenarbeit mit den Geschwistern Erika und Klaus Mann, den Kindern des Schriftstellers Thomas Mann. Gründgens führte in Klaus’ Stück «Anja und Esther» Regie, Erika und Pamela Wedekind spielten die Hauptrollen. 1926 heirateten Erika Mann und Gustaf Gründgens. Die Gruppe inszenierte später Klaus Manns zweiten Theaterversuch, die «Revue zu Vieren». Das Stück behandelt das Vorhaben der vier Figuren, die geistigen Tendenzen ihrer Generation aufzunehmen und als «kolossale Revue» zu präsentieren. Gründgens wollte sich jedoch nicht mit dem seiner Meinung nach selbstgefälligen Schauspiel bloßstellen, da er inzwischen an großen Bühnen in Berlin und Hamburg auftrat. Er übernahm nicht die ihm zugedachte Rolle, sondern führte lediglich Regie. 1929 ließ er sich von Erika scheiden. Die Distanzierung von den Manns sollte später für Gründgens bittere Folgen haben, als er zum Ärger der Geschwister im Schatten des Nationalsozialismus Karriere machte.
«Die Zeit ist aus den Fugen»
Gustaf Gründgens war nicht nur hochbegabt, sondern auch eine umtriebige Künstlernatur. Ende der 1920er Jahre spielte er bereits in Filmen mit und hatte als Opernregisseur großen Erfolg. 1932 debütierte er am Preußischen Staatstheater Berlin als Mephistopheles in Goethes «Faust», fortan seine Paraderolle.
Bereits 1934, kaum ein Jahr nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, erfolgte Gründgens Ernennung zum Intendanten des Staatlichen Schauspielhauses in Berlin und zum Staatsschauspieler. Zwei Jahre später erregte er in der Rolle von Shakespeares Hamlet Aufsehen, als er den Prinzen als einsamen Verstandesmensch darstellte, der einer skrupellosen Staatsmacht ausgeliefert war. Parteifunktionäre glaubten in der Betonung von Sätzen wie «Die Zeit ist aus den Fugen» und «Dänemark ist ein Gefängnis» deutlich eine gewollte Voreingenommenheit herauszuhören. Das offizielle Parteiblatt «Völkischer Beobachter» veröffentlichte mehrere heftige Angriffe auf Gründgens, worauf dieser sich zur Flucht in die Schweiz entschloss. Er kehrte jedoch bald wieder nach Berlin zurück, wo Hermann Göring ihn zum preußischen Staatsrat ernannte. Hiermit war er vor einer möglichen Verhaftung sicher, da diese nur von Göring in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident hätte befohlen werden können.
Gustaf Gründgens war in der Tat bis 1945 Generalintendant des Preußischen Staatstheaters. Allerdings meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, nachdem Joseph Goebbels im Februar 1943 den «totalen Krieg» verkündet hatte. Er wurde in die besetzten Niederlande beordert, bis Göring ihn ein Jahr später zurückrufen ließ und das Propagandaministerium ihn auf die «Gottbegnadetenliste» setzte, womit er vom Wehrdienst befreit war.
Diffamierender Roman
Die Blitzkarriere des hochbegabten Schauspielers und Regisseurs im Nationalsozialismus war für Klaus Mann, der 1933 ins Exil ging, ein Dorn im Auge. Gründgens ehemaliger Schwager war über seinen Opportunismus empört. Im Jahr 1936 machte er seiner Wut Luft, indem er in Amsterdam den Roman «Mephisto» veröffentlichte. In der Hauptfigur Hendrik Höfgen ist Gründgens eindeutig erkennbar. Skrupel- und rücksichtslos heckt er seinen Aufstieg im NS-Staat aus, wo er zum «Affen der Macht» und zum «Clown zur Zerstreuung der Mörder» wird. Der Roman wurde 1981 unter der Regie von István Szabó mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt.
Es wäre indessen unsachlich, Gründgens Verhalten während der Hitlerzeit einzig als das eines schamlosen Karrieristen zu bezeichnen. Es ist zum Beispiel belegt, dass er Juden Schutz gewährte. Seinen Mitarbeiter Erich Zacharias beschirmte er, bis dieser sich zur Flucht entschloss. Gründgens begleitete ihn bis zur Grenze, worauf Zacharias nach Chile reiste. In Santiago war er etliche Jahre, bis zu seinem Tod, als Leiter des Servicio Audiovisual Alemán (SAA) der Deutschen Botschaft tätig. Ebenso setzte er sich für den kommunistischen Schauspieler Ernst Busch ein, der während des Krieges wegen «Vorbereitung zum Hochverrat» mit dem Tod bestraft werden sollte. Die von Gründgens engagierten Anwälte verhinderten die Vollstreckung des Urteils.
Nach dem Krieg musste Gustaf Gründgens sich einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Etliche Theaterleute sagten für ihn aus, worauf er freigelassen wurde und seine Karriere fortsetzen konnte.
Seinen größten Erfolg erzielte er als Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg mit der Inszenierung von Goethes «Faust», in dem er wiederum die Rolle des Mephistopheles übernahm. Die Produktion wurde im Jahr 1960 farbig verfilmt und gilt als wertvollster künstlerischer Nachlass des Mimen.
Im Jahr 1963 unternahm er eine Weltreise. Am 7. Oktober starb er in Manila (Philippinen) unter nicht geklärten Umständen. Auf dem Nachttisch im Hotelzimmer lag ein Umschlag, auf den er geschrieben hatte: «Ich habe, glaube ich, zu viel Schlafmittel genommen, mir ist ein bisschen komisch, lass mich ausschlafen.»