Neues Biomarker Labor verringert Lungenhochdruck-Risiko
Die Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf Dr. Juliane Hannemann und Professor Rainer Böger trafen sich in der zweiten Oktoberwoche mit ihren Kollegen der Universität Arturo Prat in Iquique Gemeinsam unternahmen sie im Rahmen des Decipher-Projekts die letzten Schritte, um ein Biomarker-Labor zur Früherkennung von höhenbedingtem Lungenhochdruck an der Universität in Iquique zu etablieren. Der Cóndor befragte die beiden Forscher zu der Kooperation und den wissenschaftlichen Fortschritten in den vergangenen Jahren.
Inwiefern ist diese Kooperation für die Wissenschaft von Nutzen?
In Chile arbeiten viele tausend Personen in den Bergwerken in den Höhenlagen der Anden. Diese Menschen verbringen die Woche an ihrem Arbeitsplatz in bis zu 5.500 Meter Höhe, das Wochenende bei ihren Familien auf Meeresniveau am chilenischen Küstenstreifen. Alle diese Menschen sind über viele Jahre dem ständigen Wechsel zwischen einer schlechten Sauerstoffversorgung des Körpers in Höhenlagen und einer normalen Sauerstoffzufuhr auf Meeresniveau ausgesetzt. Mit 8 bis 10 Prozent ist der Anteil der von Lungenhochdruck Betroffenen unter diesen Arbeitern besonders hoch (im Vergleich: 0,0015 Prozent in Mitteleuropa). Aber auch Sportler, die an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen, wenn sie in extremen Höhenlagen trainieren, müssen mit dem Wechsel der Sauerstoffversorgung ihres Körpers umgehen können.
Die Initiative Decipher Decipher (German Chilean Institute for Research on Pulmonary Hypoxia and its Health Sequelae) wurde Ende 2017 durch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und die Universidad Arturo Prat gegründet und wird seitdem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die wichtigsten Ziele von Decipher sind der Aufbau eines internationalen Forschungsnetzwerks und einer Infrastruktur für die internationale Forschungszusammenarbeit sowie die Ansprache von Interessengruppen und Fördereinrichtungen im Bereich der «pulmonalen Hypoxie». Das heißt, dass Sauerstoffmangel in der Lunge herrscht, was durch große Höhen verursacht werden kann. Die Fördermittel durch das BMBF ermöglichten, dass trotz Covid-Lockdown beide Länder den Kontakt aufrecht halten konnten und die Kooperation durch den formalen Abschluss einer Vereinbarung zwischen den Universitätsleitungen in Iquique und Hamburg fortgesetzt werden konnte.
Für uns ist die Forschung zu dieser Thematik tatsächlich von großer Bedeutung. Auch in Deutschland haben wir Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen, die im Laufe ihres Lebens die Symptomatik eines Lungenhochdrucks entwickeln. Allerdings betrifft dies in Deutschland eher Seniorinnen und Senioren. Forschung, um die Mechanismen, die an der Entstehung eines solchen Lungenhochdrucks beteiligt sind und die die Grundlage für die Verbesserung von Therapien darstellen, ist jedoch mit älteren Personen, die neben dem zu untersuchenden Lungenhochdruck häufig aufgrund des fortgeschrittenen Alters bereits weitere Begleiterkrankungen haben, nur sehr bedingt möglich und sinnvoll.
Aus diesem Grund ist diese langfristige Kooperation auch für uns in Deutschland von essenzieller Bedeutung und wir hoffen, die diesen Erkrankungen zugrundeliegenden Mechanismen besser zu verstehen und die innerhalb von Decipher gewonnenen Forschungsergebnisse nicht nur in Chile, sondern auch in Deutschland für betroffene Personen nutzbar machen zu können. Unter Einbeziehung der Daten aus unserer deutsch-chilenischen Forschungskooperation haben wir gerade eine große Forschungsförderung vom Europäischen Forschungsrat erhalten, um den Aspekt der Lungenkrankheiten intensiver zu analysieren.
Wie funktioniert ein Biomarker-Labor zur Früherkennung von höhenbedingtem Lungenhochdruck? Welche Menschen profitieren davon?
Ein Biomarker ist in der Regel ein Molekül, das – immer oder nur unter bestimmten Bedingungen – im menschlichen Körper vorkommt und dessen Messung zum Beispiel eine Vorhersage zum Risiko der Entstehung einer bestimmten Erkrankung oder eben zum Schweregrad einer bestimmten Erkrankung erlaubt. Im Idealfall kann man also nach Messung des entsprechenden Biomarkers gezielte Maßnahmen zur Prävention oder zur Behandlung treffen.
Gern werden hierfür Moleküle genutzt, die frei im Blut vorkommen, da eine Blutprobe von Patienten leicht zu gewinnen und zu analysieren ist. Ein gut bekanntes Beispiel für einen Blut-Biomarker zur Bestimmung der «Blutfette» ist das LDL-Cholesterin. Ist dieser Wert zu hoch, liegt eine Störung des Fettstoffwechsels vor und werden betroffenen Patienten in der Regel Medikamente aus der Gruppe der Statine verschrieben. Grund für eine Störung des Fettstoffwechsels kann zum Beispiel eine ungesunde Lebensweise sein, aber auch eine erbliche Vorbelastung ist möglich.
Ähnlich verhält es sich in unserem Fall. Die von uns gemessenen Blutmarker geben Aufschluss über den Stoffwechselweg eines kleinen Moleküls (Stickstoffmonoxid). Dieser Stoffwechselweg ist ganz erheblich mit der Fähigkeit des Körpers, sich an große Höhen anzupassen, verbunden. Die Ergebnisse unserer Forschung konnten sehr schön zeigen, dass die Messung des Biomarkers ADMA (Asymmetric Dimethylarginin) und seiner Stoffwechselprodukte Aufschluss gibt, wie gut die Anpassung an die Höhe funktionieren wird und ob ein erhöhtes Risiko für die Entstehung eines Lungenhochdrucks besteht.
Interessant ist die regelmäßige Messung des Biomarkers vor allem für Personen, die sich – zum Beispiel aus beruflichen Gründen – regelmäßig oder für einen längeren Zeitraum in großen Höhen aufhalten. Eine regelmäßige Messung des Biomarkers kann so auch frühzeitig Aufschluss über eine Veränderung, eine ungünstige Entwicklung geben. Ist der Biomarker zu hoch, kann man über die regelmäßige Einnahme eines spezifischen Nahrungsergänzungsmittels vorbeugend eingreifen und so langfristig etwas Gutes für seine Gesundheit tun. Unter anderem prüfen wir gerade mit unseren Kollegen in Iquique, ob die Einnahme eines solchen spezifischen Nahrungsergänzungsmittels es ermöglicht, sich trotz erhöhten Risikos für Lungenhochdruck (aufgrund des Decipher-Labortests) längerfristig in großen Höhen aufzuhalten, ohne krank zu werden.
Wie hat sich das Projekt seit Beginn der Förderung durch das BMBF entwickelt?
Das BMBF hatte uns zunächst Mittel für den Zeitraum von Oktober 2017 bis September 2019 bewilligt, um im Rahmen einer «Pilotphase» evaluieren zu können, ob unser Kooperationsansatz erfolgversprechend sein würde. In dieser Zeit haben wir vor allem die unmittelbare Zusammenarbeit mit den Kollegen in Iquique gefestigt. Nachdem das BMBF dann eine Projektverlängerung um weitere drei Jahre zugesagt hatte, ging es insbesondere darum, die Kooperation unabhängig von unserem persönlichen Engagement zu machen, sprich eine institutionelle Verbindung der beiden Universitäten zu verankern. Dies gelang bereits Ende 2019 mit der Unterzeichnung eines Koopera-
tionsvertrages durch die damalige Rektorin der Universidad Arturo Prat und den damaligen Dekan des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf – der Dekan war eigens hierfür mit uns nach Iquique geflogen.
Danach ging es nahezu ausschließlich um die Bewältigung der Herausforderungen der Corona-Pandemie und des Lockdowns, der unsere Forschungskooperation massiv gefährdete. Nach dem Ende des Lockdowns gelang es uns, eine Gruppe internationaler Spitzenforscher zu einem internationalen Symposium nach Iquique zu bringen; bei diesem Anlass wurde Herrn Professor Böger im Oktober 2023 die Ehrendoktorwürde der Universidad Arturo Prat verliehen.
Auch das BMBF betrachtete unser Projekt aufgrund der außergewöhnlich guten Umsetzung der selbstgesteckten Kooperationsziele als eines der deutschen «Leuchtturm-Projekte» und lud Frau PD Dr. Hannemann ein, zusätzliche Fördergelder für ein weiteres Jahr zu beantragen. Mit diesen Mitteln setzten wir den Ausbau unserer Kooperationsstruktur fort und können nun zum einen auf die Etablierung eines funktionierenden Biomarker-Labor zur Bestimmung des Risikos des höhenbedingten Lungenhochdrucks in Iquique zurückblicken als auch auf den Ausbau des Decipher-Forschungsnetzwerkes, dem inzwischen weitere universitäre und kommerzielle Partner in Chile (Universidad Antofagasta, Codelco Mining), Argentinien, Kolumbien und Spanien angeschlossen sind. Das sind gute Voraussetzungen dafür, dass dieser Forschungszweig auch in Zukunft spannende neue Erkenntnisse generieren wird.
Wie hat Ihr Besuch in Iquique im Oktober zur weiteren Zusammenarbeit beigetragen?
Wir haben viel Zeit damit verbracht, mit den Kollegen und Kooperationspartnern die Daten der aktuellen Studien zu besprechen, Pläne für neue Projekte zu konkretisieren. Wir hatten außerdem ausführliche Gespräche mit dem Innovation Director der Universität Arturo Prat, um die Pläne für die Kommerzialisierung der innerhalb von Decipher gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu konkretisieren. Auch ein Treffen mit dem Rektor der Universität stand auf dem Programm, mit dem wir die weiteren Pläne und die Möglichkeiten der Universität, um Decipher und das Biomarker-Labor langfristig zu unterstützen, diskutieren konnten.
Als besonderen Programmpunkt hatten die Kollegen für uns einen Ausflug zu einem anderen Prestige-Projekt der Universität vorbereitet. Wir durften die Kelterei und die Weinfelder der Universität besuchen, auf denen alte Weinsorten verbessert und neue Sorten gezüchtet werden, um diese an die extremen Lebensbedingungen in der Atacama-Wüste anzupassen.Wir können sagen, der Vino del Desierto der Universidad Arturo Prat ist ein besonderer, sehr schmackhafter Wein.
Die Fragen stellte Silvia Kählert.