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domingo, 26. enero 2025
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Die Bedeutung Chinas für Lateinamerika und für Chiles Wirtschaft

China verstärkt zusehends seinen Einfluss auch in Lateinamerika. Dabei wächst nicht nur die Abhängigkeit von der Volksrepublik als Handelspartner. Auch geostrategische Interessen, wie die neue Seidenstraße zeigt, spielen für die zweitbedeutendste Wirtschaftsmacht auf der Welt eine große Rolle. Wie kam es dazu, auch in Lateinamerika und Chile? Antworten darauf gibt die China- und Wirtschaftsexpertin Stefanie Schmitt im Cóndor-Interview.

Zur Person
Dr. Stefanie Schmitt, Leiterin des Auslandsbüro von Germany Trade & Invest (GTAI) für Chile, Uruguay und Paraguay, arbeitete für die GTAI 19 Jahre in Asien, davon 16 in China, und ist seit 2021 in Chile.

Wie hat sich China zahlenmäßig als Handelspartner in Lateinamerika und Chile– auch im Vergleich zu Deutschland – entwickelt?

China ist in den letzten beiden Jahrzehnten für eine Vielzahl lateinamerikanischer Länder – auch für Chile – zum wichtigsten Außenhandelspartner geworden. Dabei ist das Handelsverhältnis zwischen China und Lateinamerika ziemlich ungleich – sowohl quantitativ als auch qualitativ.

Quantitativ: Für fünf Länder ist die Volksrepublik zum bedeutendsten Handelspartner avanciert: Neben Chile, wie schon erwähnt, sind das Bolivien, Brasilien, Panama und Peru. In vielen weiteren Ländern hat sie stark an Boden gut gemacht. Umgekehrt ist der Verkauf chinesischer Produkte in die Region aus Sicht der Volksrepublik zwar wachsend, aber nach wie vor überschaubar. Laut Comtrade entfielen 2023 lediglich 7,2 Prozent des Exportvolumens Chinas auf den Subkontinent. Mit 9,5 Prozent fallen die Importe etwas mehr ins Gewicht.

Die Grafik zeigt den Anteil ausgewählter Länder/Wirtschaftsräume am kaufkraftbereinigten globalen Bruttoinlandsprodukt.

Und qualitativ: China kauft vor allem Rohstoffe und Lebensmittel. In umgekehrter Richtung fächert sich die Exportpalette dagegen auf: Südamerikanische Verbraucherinnen und Verbraucher tragen nicht nur immer mehr Kleidung oder Schuhe «Made in China». Zudem freuen sie sich über günstige PCs und Handys von Huawei oder Lenovo, während über die Straßen immer mehr chinesische Autos rollen. Und viele Kunden und Kundinnen dürften nicht einmal immer wissen, dass sie einen chinesischen Artikel nutzen Ich war letzthin sehr überrascht, dass ein Bekannter von mir, ein an sich gebildeter junger Mann, nicht wusste, dass Lenovo eine chinesische Marke ist.

Denn China kann nicht nur billig. China macht außerdem mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis nicht nur der lokalen Industrie Konkurrenz, sondern zunehmend auch Anbietern aus Industrieländern – allen voran den USA, deren Importanteil in die Region seit 2000 ziemlich gesunken ist und im Moment zwischen 30 und 35 Prozent schwankt. 

Auch deutsche Unternehmen bekommen die chinesische Konkurrenz zu spüren, zum Beispiel im Automobilbau. Der deutsche Handel mit Lateinamerika macht deutlich unter 5 Prozent aus und sinkt. Wobei diese Entwicklung nicht selten auch mangelndem Engagement vor Ort geschuldet ist. Denn vielleicht mit Ausnahme von Mexiko und Brasilien läuft die ganze Region für den deutschen Außenhandel unter «ferner liefen». Ich persönlich finde das sehr schade. Da ist noch viel Luft nach oben – speziell auch in Chile – und deshalb bin ich ja auch hier. 

Was sind Chinas Interessen? Was macht China so stark?

China hat seit der Öffnung des Landes Anfang der 1980er Jahre einen atemberaubenden Aufschwung als Wirtschaftsnation genommen – quasi von Null kommend auf Rang zwei. Jetzt ist das Ziel der Politik auf Rang eins aufzurücken. Hierfür bedarf es der Sicherung der Rohstoffzufuhr und der Nahrungsmittelversorgung seiner anspruchsvoller «essenden» Bevölkerung – und hierfür tut sich China überall in der Welt, wo es dem Land opportun erscheint, um: in anderen Teilen Asiens, in Australien, in Afrika, in Europa und natürlich auch in den Amerikas.

China ist dabei sehr stark darin, sich an strategisch für das Land wichtigen Themen – etwa Rindfleisch und Soja im Bereich Nahrungsmittel und Kupfer oder Eisenerz im Bereich Rohstoffe – zu positionieren. Neuerdings gefragt sind Materialien, die für die Energiewende gebraucht werden wie Lithium aus Chile – Tianqi Lithium ist Minderheitsanteilseigner an SQM – und Argentinien, wo chinesische Firmen an mehreren Projekten beteiligt sind, oder etwa Balsa-Holz aus Ecuador zur Herstellung von Rotorblättern für Windräder. 

Und China ist stark darin, sich darüber hinaus gezielt nach oben und unten in der Wertschöpfungskette auszudifferenzieren. Speziell geht es um den Zugriff auf die für den Transport von Rohstoffen nach China wichtige Infrastruktur wie Häfen. In Peru wurde im November der Tiefwasserhafen Chancay eröffnet Wie ich gelesen habe, hat Cosco Shipping Ports mit seinen lokalen Partnern bisher rund 1,3 Milliarden US-Dollar investiert. Wenn Chancay fertig ist, dann können da Schiffe in XXL-Größe landen – also 18.000 Standard-Container-Schiffe, wie sie nicht durch den Panama-Kanal passen. Dann wird es für China deutlich leichter, in Lateinamerika einzukaufen und zu verkaufen. Insbesondere verkürzt es den Transportweg nach Brasilien. Damit wird Chancay zum wichtigsten Pazifikhafen Südamerikas werden und eine logistische Schlüsselrolle für die Seidenstraße in der Region spielen. 

Aber Chancay hat natürlich auch eine geopolitische Komponente, denn Chancay ist bei weitem nicht der einzige Hafen, in den China bisher investiert hat. Nach dem Council of Foreign Relations sind chinesische Staatsfirmen aktuell an 93 Häfen in 64 Ländern (ohne China) beteiligt, zum Beispiel auch an Häfen an beiden Enden des Panama-Kanals, in Colón und Balboa. Stellen Sie sich mal vor, China würde den aus irgendeinem Grund einmal blockieren wollen? Denn das ist eine weitere große Stärke: In China denkt man sehr langfristig. Anders ausgedrückt: In China denkt man in Generationen, nicht in Quartalsberichten. Dazu muss man wissen: Etwa drei Viertel aller Investitionen Chinas in Lateinamerika entfallen auf Staatsunternehmen und als Staat kann ich natürlich anders kalkulieren – wobei man nie vergessen sollte: Auch der chinesische Staat hat auf Dauer nichts zu verschenken. Dessen ungeachtet gibt es natürlich auch wichtige Privatfirmen wie Huawei und Didi, die beide ja auch in Chile aktiv sind. 

Die Abhängigkeit von China nimmt zu: Das momentan schwache Wachstum in China wirkt sich auch für die von ihm abhängigen Länder aus.

Dabei gelingt nicht alles, was chinesische Firmen «anfassen». Beispielsweise musste der Erdölkonzern Sinopec 2021 seine vom US-Unternehmen Occidental Petroleum in Argentinien elf Jahre zuvor für 2,45 Milliarden US-Dollar erworbenen Beteiligungen mit großem Verlust für 240 Millionen US-Dollar abstoßen.  Oder es werden Investitionspläne publiziert, die dann doch nicht umgesetzt werden. In Chile etwa der vor ein paar Jahren sehr euphorisch begrüßte Bau einer Impfstoffanlage durch Sinovac, die jetzt offenbar doch nicht kommt. 

Doch insgesamt haben sich Chinas Firmen mit ihrer langfristigen Planung gut positioniert. 

Wo und in welchen Sektoren hat sich China besonders engagiert?

Laut Red Académica de América Latina y Caribe flossen seit dem Jahr 2000 rund 193 Milliarden US-Dollar an chinesischen Direktinvestitionen in die Region Lateinamerika/Karibik. China ist also, auch wenn  es noch andere Länder gibt wie die USA oder die Europäische Union, die mehr in Lateinamerika investiert haben, nicht mehr wegzudenken. 

Hauptziel für chinesische Direktinvestitionen in der Region ist Brasilien als größte Volkswirtschaft in Latam – und das einzige Land in der Region, das auch für China nach dem Global Investment Tracker Stand Juli 2024 zu den Top-10-Destinationen zählt. Für den Zeitraum 2005 bis Juni 2024 stand Brasilien auf Rang drei in der chinesischen Präferenzliste nach den USA und Großbritannien (zum Vergleich: Deutschland Rang sieben). 

Laut Red Académica entfielen zwischen 2020 und 2023 rund 34 Prozent aller chinesischen Direktinvestitionen auf die größte lateinamerikanische Volkswirtschaft. Allerdings mit im Vergleich zu den Vorjahren abnehmender Tendenz. Dagegen haben speziell Argentinien (23 Prozent), Mexiko (15 Prozent), Peru (11 Prozent) und Chile (9, 7Prozent) an Bedeutung für China zugelegt. 

Gegenwärtig fließen die chinesischen Direktinvestitionen nicht mehr ganz so üppig. Das hat nicht zuletzt mit der schlechten Konjunkturlage in der Volksrepublik zu tun.

Rund zwei Drittel aller chinesischen Investitionen verteilen sich auf die Bereiche Energie beziehungsweise Rohstoffe und Berg-bau. Besonders stark ist China in Wind- und Solarparks und als Betreiber von Stromnetzen bzw. in der Stromversorgung – Chile ist da ja auch ein Paradebeispiel mit chinesischen Engagements in Solarparks, Überlandleitungen und der Stromversorgung. Den Transportsektor habe ich mit Häfen ja schon angesprochen. Hier in Chile sind chinesische Firmen aktiv beim Bau von Autobahn-
trassen oder bei der Metro Linie 7. 

Was bedeutet das für die Wirtschaft und Politik in Lateinamerika beziehungsweise Chile?  

Das ist eine schwierige Frage. Es gibt in Lateinamerika – je nach Land natürlich in unterschiedlicher Größenordnung – eine Lücke zwischen zum Beispiel notwendigen oder gewünschten Infrastrukturvorhaben oder Indus-
trieprojekten und den tatsächlich realisierten Investitionen. Und je größer diese Lücke, umso willkommener sind Investitionen aus der Volksrepublik. Zumal China bei Interesse nicht viel herumredet, sondern tatsächlich auch Geld in die Hand nimmt und ein Projekt durchzieht. Ob immer unter Beachtung der wünschenswerten oder vorgeschriebenen sozialen oder ökologischen Standards oder in nachhaltiger Qualität sei jetzt einmal dahingestellt. Nur fest steht auch: Wenn andere potenzielle Investoren nicht «in die Pötte kommen oder durch Abwesenheit glänzen» – dann ist das eben die Konsequenz.

Und ich sage nicht, man soll mit China keine Geschäfte abschließen oder keine Investitionen akzeptieren. Man sollte sich aber bewusst machen, dass es sich um ein Land handelt, das nicht so neutral ist, wie es auftritt, sondern eine sehr ideologische Grundlinie verfolgt. Deshalb gilt es darauf zu achten, dass die im Land gesetzten Regeln eingehalten werden und dass man «immer auch noch eine zweite Option behält», um sich nicht in zu starke Abhängigkeiten zu begeben. Das machen übrigens die Chinesen in China nicht anders – man versucht immer, von mehreren Anbietern zu kaufen und die Investi-
tionsauflagen, die ausländischen Direktinvestoren dort gemacht wurden, waren und sind schon sehr einschneidend – und alle mit dem Ziel, die lokale Wirtschaft möglichst voranzubringen.

Ich glaube, die Bedeutung Chinas in Lateinamerika beziehungsweise die sich dahinter verbergende Interessenlage wird nach wie vor vielfach unterschätzt – sowohl hier vor Ort als auch beispielsweise in Europa oder in Deutschland. Insbesondere auch, weil häufig übersehen wird, dass Chinas Engagement nicht nur wirtschaftlicher Natur ist, sondern dass China auch  –  subversiv, strategisch und auf den verschiedensten Ebenen – geopolitische Interessen verfolgt 

Ich nehme mich da nicht aus, und dabei stecke ich mitten in der Materie. Als ich zum Beispiel, damals habe ich noch für die GTAI in Beijing gearbeitet, 2017 in Beijing auf dem ersten Belt-and-Road-Forum – landläufig Seidenstraßenforum  –  dabei sein durfte, da habe ich mich noch gewundert, dass neben den Präsidenten «klassischer» Seidenstraßen-Länder wie Kirgistan, Usbekistan oder auch Russland, auch Präsidentin Michelle Bachelet aus Chile und Mauricio Macri aus Argentinien anwesend waren. Irgendwo war da in meinem Kopf noch das romantische Bild von Kamelen, die mit kostbaren Stoffballen und Gewürzen auf sandigen Dünen im gleißenden Sonnenlicht dahinziehen. Ja, jetzt bin ich etwas schlauer mit Blick auf Chinas Interessen in Lateinamerika. Mit anderen Worten: «Der lange Arm Chinas lässt hier auch mich nicht los.»

Die Fragen stellte Silvia Kählert.

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