Er war ein schwieriges Kind. Daher schickten seine Eltern den 15-jährigen Paul Acker als Schiffsjungen nach Hamburg. Als Leichtmatrose kam er auf dem Segler Passat 1914 in Iquique an, und von da an wurde sein Lebensweg immer tragischer.
Erst einmal ein wenig Vorgeschichte. Als am 28. Juli 1914, nach der Kriegserklärung Österreichs an Serbien der Erste Weltkrieg ausbrach, war die Welt überrascht. Besonders hart traf der Schlag die zahlreichen europäischen Unternehmen in Chile, die sich nach der Unabhängigkeitserklärung und Öffnung der Häfen in diesem fernen Land am Pazifik niedergelassen hatten, darunter vor allen anderen die deutschen, denn kurz nach Beginn der Feindseligkeiten unterband Großbritannien den Schiffsverkehr mit dem Deutschen Reich.
Zahlreiche deutsche Schiffe, ob Segelschiffe oder Dampfer, erfuhren vom Kriegsausbruch überhaupt erst nach Ankunft in Chile, denn Radio- und Funkanlagen gab es erst seit kurzem und hatten nur die wenigsten. Groß war deshalb die Überraschung vieler Kapitäne und Mannschaften, als sie beim Anlegen in einem chilenischen Hafen erfahren mussten, dass eine Rückreise nach Deutschland vorerst unmöglich sei. Andere Schiffe hatten nach Kriegsausbruch absichtlich einen chilenischen Hafen angelaufen, da den Kapitänen die Haltung Chiles als deutschfreundlich bekannt war.
So geschah es, dass bis Mitte des Jahres 1915 insgesamt 32 Dampfer und 57 Segelschiffe in chilenischen Häfen vor Anker lagen, meist nicht direkt an der Mole, das hätte laufend zu hohe Hafenkosten verursacht, sondern auf Reede oder in nahegelegenen Buchten. Den Mannschaften, es waren mehr als 2.000 Männer, wurde der gleiche harte seemännische Dienst wie auf hoher See abverlangt, unerlaubtes Landgehen oder gar Davonlaufen als Desertation angesehen und hart bestraft. Dass es trotzdem vielen Seeleuten gelang, sich an Land abzusetzen, Anschluss und Arbeit zu finden, gar zu heiraten oder ein Geschäft zu eröffnen, sollte in Chile in den folgenden Jahren unübersehbare Spuren hinterlassen.
Der Wille, nach Deutschland zu entkommen war bei allen vorhanden! Er führte zu waghalsigen Unternehmungen, wie der Heimreise der jungen Seekadetten des Lloyd-Schulschiffes «Herzogin Cecilie», denen es gelang, auf der Mini-Dreimastbark «Tinto» nach Europa zu segeln und trotz Kontrollen durch britische Kriegsschiffe nach Norwegen, das neutral war, durchzukommen.
Paul Acker, Leichtmatrose des Viermastseglers «Passat»
Paul war das jüngste von vier Geschwistern aus dem Städtchen Edenkoben in Rheinland-Pfalz. Beherrscht von einem unruhigen Geist galt er als schwieriges Kind, widersetzte sich den Anordnungen seines Vaters, kränkte seine Eltern, hielt sich nicht an häusliche Ordnung, lief hin und wieder davon, bis sein Vater es für angebracht hielt, seinen Sohn als Schiffsjungen bei der Deutschen Handelsmarine anzumelden. Paul wurde angenommen, begann seinen Dient am 27. August 1912 in Hamburg. Schwer fiel es den Eltern, sich von dem Jungen zu trennen, jedoch unter den gegebenen Umständen war es wohl die beste Lösung.
Als 15-jähriger Schiffsjunge trat Paul Acker seinen Dienst auf einem Segelschiff an, und schon seine erste Reise führte ihn nach Chile. Salpeter wurde damals als Massengut vornehmlich auf Segelschiffe verladen. Hatte er diese erste Reise unter den für einen Schiffsjungen bestimmt nicht leichten Bedingungen überstanden, kam er zur weiteren Ausbildung auf das Schulschiff «Prinz Eitel Friedrich», segelte auf diesem in die Karibische See.
Nun angeheuert als Leichtmatrose schiffte sich Paul auf dem stählernen Viermastsegler «Passat» unter Kapitän Otto Pieper, einem erfahrenen Kap Hoornier ein, einem Schiff, das der Stolz der Reederei Ferdinand Laeisz war. (Am Rande bemerkt: Die «Passat» liegt heute als Museumsschiff in Travemünde und kann besichtigt werden).
Eifrig berichtete Paul Acker seinen Eltern daheim von seinen Reisen und seinen Erlebnissen, schickte Fotos nach Hause, ganz im Gegensatz zu seinem vorherigen ungehörigen Benehmen. Fesselnd beschrieb er die in der Alten Welt unbekannten Häfen und Länder.
Vor Anker in Iquique
Die «Passat» legte am 18. Juni 1914 in Iquique an, hier sollte Salpeter geladen werden. Zuvor hatte man in Valparaíso ihre Ladung aus Europa gelöscht. In Iquique wurden Kapitän und Mannschaft von der Meldung des Beginns des Krieges überrascht, und wenn vielleicht anfangs noch Hoffnung bestand, trotz alledem nach Hamburg zurückkehren zu können, so wurde diese doch bald durch die britische Blockade zunichte gemacht. Das Schiff ging auf Reede vor Anker, die Besatzung an Bord wurde festgehalten, weiter dem strengen Dienst unterworfen, da Gefahr bestand, dass die Männer an Land interniert werden könnten. Heute wissen wir, dass dieses nicht der Fall war, Chile blieb neutral, aber wusste man es damals genau?
Der harte, nach Ansicht der Besatzungsmitglieder unsinnige Dienst an Bord, der sich auf die Reparatur der Segel, Rostklopfen, wiederholten Neuanstrich, Abkratzen des «Bartes» aus Muscheln, Tang und anderem Seegewächs, der sich nach längerer Liegezeit am Schiffskörper ansetzte und vieles andere mehr, widersprach dem Wunsch des Leichtmatrosen Paul Acker: Er wollte nach Hause.
Es gelang ihm, sich in einer Nacht von Bord zu schleichen, das Boot eines Fischers nahm ihn mit. Dann strich er durch das nächtliche Iquique, erwischte einen Zug der Salpeterbahn, sprang auf einen Waggon und versteckte sich hinter Strohballen bis der Zug Pozo Almonte erreichte. Von dort schlug sich Paul zur Salpeter-Oficina Peña Chica des peruanischen Unternehmers Gildemeister durch, wo er unter dem falschen Namen Zimmermann eine Anstellung als Schmied fand. Aber auch hier befürchtete er, an die chilenischen Behörden ausgeliefert zu werden, was eine Rückführung an Bord der «Passat» nach sich gezogen hätte, also Strafe wegen Desertion und noch härtere Arbeit.
Doch Paul gab die Rückkehr nach Deutschland nicht auf. Nach vier Monaten kehrte er der Peña Chica den Rücken, in einer wahren Odyssee als blinder Passagier in der Eisenbahn, teils zu Fuß durch die Wüste und wieder als blinder Passagier oder Seemann gelangte er in die Vereinigten Staaten, die sich allerdings inzwischen unter die Feindstaaten gegen das Deutsche Reich eingereiht hatten. Er wurde interniert, ein Versuch, nach Mexiko zu entkommen scheiterte, Gefangenschaft in den USA folgte, dann Rückführung nach Deutschland nach Kriegsende.
Endlich nach sechs Jahren Trennung konnten die Eltern Acker ihren Sohn Paul daheim in Edenkoben in ihre Arme schließen. Es schien, als ob die Erfahrung der vergangenen Jahre den unruhigen Geist in seinem Körper verdrängt habe, doch groß war die Enttäuschung, als nach wenigen Wochen Paul eröffnete, ihn zöge es wieder auf die See. Nach einem Jahr kehrte er jedoch von dieser Reise zurück und ließ sich in Hamburg nieder.
Das Ende in Hamburg wurde zur Tragödie
Angekommen in Hamburg heiratete Paul Anker, ohne Beruf, mittellos, auf die finanzielle Hilfe seiner Eltern angewiesen. Stets ohne ein geregeltes Einkommen litt die Ehe von Beginn an unter Geldnöten, blieb kinderlos und wurde nach sechs Jahren geschieden. Pauls Vater sah sich erneut gezwungen, für seinen Sohn tief in die Tasche zu greifen.
Aber es sollte schlimmer kommen. Sein unbeständiger Geist trieb ihn weiter, er versuchte sich in mehreren Berufen ohne Erfolg, es trieb ihn tiefer und tiefer. Nach Verlauf weniger Jahre begegnete er einer jungen Frau von 18 Jahren und äußerste die Absicht, sich mit ihr zu verloben, was natürlich auf den Widerstand beider Elternteile stieß.
Die Beziehung endete in einer Tragödie. Unerwartet erhielt Pauls Vater plötzlich ein Telegramm des ihm noch nicht bekannten Vaters der jungen Frau: «Großes Unglück. Kommen unbedingt erforderlich.» Mit dem nächsten Zug fuhr Wilhelm Acker nach Hamburg, fand dort die junge Frau und ihre Mutter tot, beide erschossen im Bett, das Bett mit Blumen bestreut.
Paul Acker beging Selbstmord, erschoss sich am 30. August 1930 in seinem Heimatort Edenkoben. Seinen Lieben hinterließ er einen Abschiedsbrief, in dem sich folgende Zeilen fanden: «Ich weiß, Ihr werdet mir nie verzeihen und daran tut Ihr recht. Ich konnte meine zweite Seele mit dem besten Willen nicht niederkämpfen. Der Böse siegte immer wieder. Nun hat’s ein Ende und Ihr braucht nicht mehr in Sorge zu leben.»
Auf Spurensuche
Der Urenkel des Vaters von Paul Acker, Joachim Schatz aus Edenkoben (Rheinland-Pfalz), hatte es sich zum Ziel gesetzt, nach den Spuren seines verstorbenen Verwandten zu suchen. Im Jahre 1998 bereiste er Nordchile, besuchte Stätten, die sein Großonkel in seinen Berichten erwähnt hatte und fertigte darüber einen ausführlichen Bericht an. Ihm verdankt der Autor eine weitaus ausführliche Schilderung über Paul Acker und die Fotos, die er von der längst aufgegebenen Salpeter-Oficina Peña Chica aufgenommen hat.
Quellen und Fotos: Hans Joachim Schatz, Edenkoben, Rheinland-Pfalz; Sammlung Hans Joachim Schatz, Edenkoben, Guillermo Burgos: Veleros Franceses y Alemanes en la Ruta del Salitre, Ed.Ricaaventura 2015