Wie mutige Proteste die Mauer zum Einsturz brachten
Die Zahl der Unzufriedenen in der DDR wuchs Ende der 1980er Jahre an: Zehntausende flüchteten, um in den Westen zu gelangen. Es gab aber auch Ostdeutsche, die bleiben wollten und aufbegehrten: Ohne ihre mutigen Montagsdemonstrationen für «ein offenes Land mit freien Menschen» hätte es den im wahrsten Sinne des Wortes weltbewegenden Mauerfall nicht gegeben.
Der 4. September 1989 war ein bedeutender Tag für die Friedliche Revolution in der DDR: Es gingen rund 1.200 Bürger in Leipzig auf die Straße, um gegen die Diktatur der SED zu protestieren. Damit begannen die Montagsdemonstrationen, der gemeinsame Protest unterschiedlicher DDR-Oppositionsgruppen.
Unter dem Dach der Kirche wächst Freiheitswunsch
Was bewegte die Menschen, plötzlich diesen Mut aufzubringen und Leib und Leben zu riskieren? Nach 28 Jahren hatten sich viele in der DDR an die 1.400 Kilometer lange Befestigung, die mitten durch Deutschland lief, gewöhnt. Westdeutsche, die keine Verwandten im Osten hatten, hatten zur DDR keinen Bezug mehr.
Dennoch wuchs der Wunsch vieler in der DDR, nicht mehr in ihrer Freiheit eingeschränkt zu sein und endlich reisen zu können. Im Juli und August 1989 flohen allein mehr als 50.000 Menschen in den Westen.
Es waren schließlich die wenigen Oppositionellen in der DDR, die sich schon länger nicht mehr mit der Situation zufriedengeben wollten und ihre Freiheitsrechte einforderten, die die Wende bringen sollten. Diese Mitglieder einer Laienbewegung innerhalb der evangelischen Kirche hatten sich bereits seit 1982 in der Leipziger Nikolaikirche jeden Montag zu Friedensgebeten gegen das Wettrüsten in Ost und West getroffen. Auch in anderen evangelischen Gemeinden in Ostdeutschland gab es Bürgerrechtler, die begannen, den friedlichen Protest öffentlich zu üben.
Besonders ab 1988 gingen Ostdeutsche verstärkt zu
Protesten auf die Straße, besonders in Leipzig und Ost-Berlin. Wenn es auch nur einige hundert Menschen waren, die dies wagten, so nahmen doch Millionen Ostdeutscher dies via West-Fernsehen wahr.
Gefälschte Wahlen brachten Fass zum Überlaufen
Wie wirklichkeitsfremd die DDR-Regierung war und wie wenig sie ihre eigenen Bürger kannte, zeigen die vielen «Fehler», die schließlich zum Ende ihres Regimes führten.
Mit den gefälschten Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 erreichte die Staatspartei genau das Gegenteil von dem, was sie wollte, nämlich einen triumphalen Wahlsieg: Es gelang den Oppositionellen in großen Teilen verschiedener Städte, die Wahlergebnisse zu kontrollieren und Fälschungen nachzuweisen. Aus Protest dagegen gab es an jedem 7. der folgenden Monate Proteste, die in die großen Massendemonstrationen des Herbstes 1989 mündeten.
Ebenso wenig hatte die DDR-Führung begriffen, wie bedeutsam die Ankündigung der ungarischen Regierung fünf Tage vor der Wahl für den Eisernen Vorhang sein würde: Ungarn gab bekannt, die Grenzbefestigungen zwischen Ungarn und Österreich abzubauen. Die Außenminister Österreichs und Ungarns durchtrennten schließlich am 27. Juni demonstrativ gemeinsam den Grenzzaun.
Hunderttausende Ostdeutsche machten sich in den Wochen danach auf den Weg «in den Urlaub». Bereits am 7. August hatten 200 ostdeutsche Flüchtlinge in der bundesdeutschen Botschaft in Budapest Zuflucht gesucht. Als erstmals mehr als 700 Flüchtlinge am 19. August 1989 die Grenze bei einem «Paneuropäischen Picknick» in Richtung Österreich überwanden, da ein jahrzehntelang geschlossenes Grenztor zwischen St. Margarethen und Sopron für drei Stunden geöffnet wurde, schuf dies diplomatischen Handlungszwang.
Die erste Montagsdemonstration und ihre Folgen
Diese Ereignisse machten auch den Oppositionellen Mut: Im Unterschied zu den Treffen zum Friedensgebet davor, entrollten sie nach dem Gebet am 4. September 1989 auf dem Vorplatz der Nikolai-Kirche Transparente, auf denen Forderungen standen wie «Für ein offenes Land mit freien Menschen» und «Reisefreiheit statt Massenflucht».
Mitarbeiter der Staatssicherheit in ziviler Kleidung rissen ihnen diese Plakate schließlich aus der Hand – vor den Augen und Kameras der westdeutschen und der internationalen Journalisten, die während der Leipziger Herbstmesse aus der Stadt
berichteten. In mehreren Städten wie Dresden, Halle, Plauen, Potsdam und Schwerin brachten daraufhin die DDR-Bürger zunehmend ihre Kritik an den politischen Verhältnissen zum Ausdruck.
Am 9. Oktober 1989 zogen rund 70.000 Menschen durch die Leipziger Innenstadt. Ihr Ruf «Wir sind das Volk!» wurde zum Slogan für die friedliche Revolution in der DDR. Eine weitere Forderung war «Keine Gewalt!» – niemand konnte damals wissen, ob die DDR-Regierung die Proteste nicht gewaltsam niederschlagen würde. Schließlich musste sie aber unter dem großen Druck der Massen nachgeben.
Auch nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 gingen die Menschen in der DDR noch auf die Straße. Neben der Forderung nach Demokratie begann der Ruf nach einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten lauter zu werden. Bei der Montagsdemonstration am 20. November 1989 war etwa «Deutschland – einig Vaterland» auf Transparenten zu lesen und aus der Parole «Wir sind das Volk» wurde der Ruf «Wir sind ein Volk». Die Proteste endeten am 12. März 1990, kurz vor den ersten und einzigen freien Volkskammerwahlen der DDR – das wichtigste Ziel der Montagsdemonstrationen war erreicht: freie Wahlen in der DDR.
Der Montag als kalendarischer Zufall
Der Leipziger Archivar Achim Beier vom Archiv der Bürgerbewegung Leipzig e.V. schildert in seinem Webprojekt «Mythos Montagsdemonstrationen» wie es dazu kam. Er betont, dass die unterschiedlichsten politischen und sozialen Protestbewegungen in den letzten Jahren in Deutschland den Begriff «Montagsdemonstrationen» aufgegriffen haben, ohne dass ihr Anliegen etwas mit der Friedlichen Revolution von 1989 zu tun hat, beispielsweise die Demonstration der Fürther 1995 gegen das Müllkonzept oder die Leipziger 2003 für die Olympiabewerbung.
Der Begriff Montagsdemonstration habe sich dagegen aus einem Zufall ergeben. Achim Beier schreibt auf der Internetseite www.bpb.de (Bundeszentrale für politische Bildung), dass es «das Ergebnis einer mühsamen Terminfindung» war. Ursprünglich sollte es ein Mittwoch sein: «Doch beim Abgleich der Terminkalender der beiden engagierten Diakone Günter Johannsen und Hans-Joachim Döring blieb nur der Montag als einzig möglicher Tag der Woche. Vielleicht würden wir sonst heute vom „Mittwochs-Mythos“ sprechen.»