Tagebuch der Julie Teichmann als Buch erschienen
Eine junge Deutsch-Chilenin fährt zur ärztlichen Behandlung nach Deutschland. Die kunstsinnige Frau hat dabei Gelegenheit, Opern und Konzerte zu besuchen, Verwandte zu kontaktieren und Künstler der ersten Garnitur wie Franz Liszt kennenzulernen.
Julie Marie Mercedes Helmerich wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Tochter des Kaufmanns Julius Helmerich und Maria Elisabeth, geborene Werkmeister, in Valdivia geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde sie die Stieftochter des Freiherrn Raimund von Stillfried und Rattonitz, ab 1857 der zweite Mann ihrer Mutter Maria.
Julie war mit Adolf Teichmann verheiratet, der in Valparaíso Geschäftsführer der Droguería Fabian & Compañía war. Im Jahr 1882 unternahm die 27-Jährige eine Europareise, um in Berlin ein Nervenleiden zu behandeln, Verwandte zu besuchen und mit der europäischen Kulturszene Fühlung zu nehmen.
Café Bauer in Berlin und die Damen in Montevideo
Während der Reise führte sie ein Tagebuch, in dem sie ihre Eindrücke über Ortschaften, Personen und ihre Erlebnisse festhielt. Günter Kotzor hat diese Aufzeichnungen als Buch herausgegeben und mit Kommentaren versehen. Seine Erläuterungen tragen in wesentlichem Maß zum Textverständnis bei, da die Autorin geographische Gegebenheiten wie die Ortschaften, die sie während der Reise durchquert oder die Pflanzen und Bäume, die sie beobachtet, nicht näher beschreibt. Als sie zum Beispiel erwähnt, dass sie kurz nach ihrer Ankunft in Berlin im Café Bauer zu Mittag isst, vervollständigt Kotzor die Beschreibung des Lokals, indem er darauf hinweist, dass es opulent mit Wandbildern von Anton von Werner mit «Darstellungen aus altrömischer Zeit» ausgestattet war, und dass für die Gäste um die 700 Zeitungen in 18 Sprachen auslagen.
Julies Augenmerk richtet sich auf die fremden Menschen, mit denen sie Gelegenheit hat, Kontakt aufzunehmen. In Montevideo zum Beispiel fällt ihr auf, dass die Damen «anders wie unsere» (sind), sie «haben große Füße, ganz andere Art, sich zu kleiden und eine sehr stolze Haltung».
Die Reise geht von Valparaíso in Richtung Süden, über Punta Arenas zu den Falkland-Inseln, um in Montevideo und Rio de Janeiro vor Anker zu gehen, von wo aus die «Menes» über den Atlantik Kurs auf Europa nimmt.
Premiere von «Parsifal» in Bayreuth
Nachdem das Schiff in England und Frankreich angelegt hatte, erreicht es Hamburg, wo Julie Teichmann aussteigt. Alsbald fährt sie mit der Eisenbahn nach Berlin, um sich untersuchen zu lassen. Sie unterzieht sich einer Operation. Worum es dabei geht, verrät sie allerdings nicht, beschreibt aber eingehend ihre Genesung. Später fährt sie zur Kur nach Bad Elster, besucht verschiedene Ortschaften und geht oft in Konzerte.
Im Juli 1882 besucht sie die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth. Dabei hat Julie Gelegenheit, Wagners Schwiegervater, den Komponisten und Klaviervirtuosen Franz Liszt kennenzulernen: «Zuerst war es mir unfasslich, dass ich wirklich mit dem großen Künstler selbst sprach, nach und nach wurde ich ruhiger. Schade, dass so viel Besuch kam, da ich nur so wenig mit ihm sprechen konnte.» Im Festspielhaus erlebt sie die Premiere von Wagners letzter Oper «Parsifal», die sie tief beeindruckt: «Wunderbar schöne Orchestermusik, große Künstler und schöne Dekorationen! Besonders nach dem ersten Akt war ich entzückt, hingerissen! Ich finde es direkt lächerlich, Wagner so herunter zu machen, wie seine Feinde es tun.»
Julies Leben nach der Reise
Im März 1883 trifft sie in Paris ihren Mann. Adolf Teichmann ist ihr nachgereist und begleitet sie fortan. Das Tagebuch endet am 31. Mai in Italien. Der Herausgeber hat jedoch einen Bericht von dem mit Teichmanns befreundeten Geschäftsmann Theodor Blech angefügt, der die Rückreise nach Valparaíso beschreibt.
Adolf Teichmann stirbt 1893. Fünf Jahre danach heiratet Julie in München in zweiter Ehe den Arzt Erwin von Dessauer, 1900 wird die gemeinsame Tochter Gerta geboren. Julie stirbt 85-jährig im November 1939 in München.
«Von Chile nach Europa – das Reisetagebuch der Julie Teichmann» vermittelt einen überaus informativen Einblick in die Lebensart der Hauptfigur und ihrer Mitmenschen – Freunde, Verwandte, Ärzte und Künstler. Dies ist nicht nur ihren Aufzeichnungen zu verdanken, die sich durch ihre Spontaneität und Leichtigkeit charakterisieren und dadurch unterhaltsam zu lesen sind. Ein besonderes Verdienst daran hat sicherlich der Herausgeber Günter Kotzor, der Julies Text laufend kommentiert und Zusatzinformationen beisteuert, die auf eine aufwendige Recherche schließen lassen.
Mehr Informationen über das Buch und darüber, wie man es erwerben kann, findet man auf der Internetseite:
www.kobook.de