Wirtschaftsingenieur und Vater von sechs Pflegekindern
«Viel mehr zurückbekommen als gegeben»
Eine Fernsehsendung hat das Leben des schweizerstämmigen Juan Pablo Berlinger, seiner Frau Alma und ihrer drei Kinder Martin, Sofia und Lucas verändert: Als das Ehepaar 2017 hörte, dass in Chile dringend Pflegeeltern für Kinder, die nicht bei ihren eigenen Eltern leben konnten, gesucht werden, entschieden sich beide, sich selbst zur Verfügung zu stellen. Inzwischen haben sie im Laufe der Jahre sechs Pflegekinder aufgenommen – die für sie bis heute ein Teil ihrer fünfköpfigen Familie sind.
Von Kind an hat Juan Pablo ein ungewöhnliches Leben geführt: «Ich bin als erstes meiner sechs Geschwister in Viña del Mar geboren und fast alle zwei Jahre mit meinen Eltern umgezogen. Mein Vater war Diplomat.»
Sein Vater stammt aus der Schweiz und seine Mutter ist eine gebürtige Chilenin. Daher ist Spanisch seine Muttersprache. Es war sein Schweizer Großvater, der in den 1930er Jahren nach Chile kam und als Bergbauingenieur in der Mine im Norden Chiles arbeitete. Dort lernte er seine chilenische Großmutter kennen. Das Ehepaar zog zunächst wieder in die Schweiz, wo Juan Pablos Vater geboren wurde, kehrte aber nach einigen Jahren wieder nach Chile zurück.
Sein Vater begann eine Laufbahn im chilenischen Auswärtigen Dienst und wurde in vielen Botschaften eingesetzt. Nach Juan Pablos Geburt in Viña del Mar kamen nach und nach seine sechs Geschwister auf die Welt, als einziges Mädchen seine Schwester Maria Elena in München. Juan Pablo ging daher in Peking und in Honduras auf die deutsche Schule. Insgesamt verbrachte er acht Jahre in Deutschland, wo er erst in München eine Grundschule und dann in Berlin ein Gymnasium besuchte. Dort machte er sein Abitur.
«Natürlich habe ich als Erster von sieben Kindern immer Verantwortung übernehmen müssen», erzählt er. «Inzwischen habe ich aber meine Mutter überholt», meint er lachend und hält neun Foto-Alben mit Baby- und Kinderfotos hoch. «Das sind unsere neun Kinder», erklärt er.
Was hat ihn und seine Frau Alma bewogen, diese ungewöhnliche Aufgabe zu übernehmen? «Es wurde uns durch die Fernsehsendung vor sieben Jahren klar, dass es für diese Kinder, die immer aus schwierigen Verhältnissen stammen, sehr wichtig war, dass sie für die Übergangszeit bis zur Adoption oder eventuellen Rückkehr in die leibliche Familie, in einer Pflegefamilie leben konnten», erklärt er. «Doch viele Menschen haben aus verschiedenen Gründen Angst davor. Auch wir sind der Meinung, dass unsere Familie keine perfekte Familie ist – die gibt es nicht. Doch für die Zukunft dieser Kinder ist eine Familie besser als gar keine Familie.»
Seine Frau und er waren zu dem Schluss gekommen, dass «wir so viel durch unser Land erreicht und bekommen haben, es uns so gut geht, dass wir der chilenischen Gesellschaft etwas zurückgeben wollten». Auch ihre eigenen Kinder, die damals neun, zehn und zwölf Jahre alt waren, wurden in die Entscheidung mit einbezogen.
Juan Pablo ist als Informatiker für die Firma Enel tätig. Er studierte Ingeniería Civil an der Universidad Adolfo Ibáñez, seine Frau Alma an der Universidad Federico Santa Maria den gleichen Studiengang. Bereits bei der Aufnahme ihres ersten Pflegekinds, des zweimonatigen Diego, wurde klar, dass Pablos Frau nicht beide Aufgaben gleichzeitig bewältigen kann: einen Ganztagsjob und die Betreuung eines Babys. Daher gab sie ihre Arbeit auf.
Inzwischen hat die Familie insgesamt sechs Pflegekinder für eine Zeit von vier Monaten bis anderthalb Jahren bei sich aufgenommen. Ein Grund dafür ist die relativ lange Zeit, die zukünftige Adoptiveltern bei der Beantragung brauchen, da der bürokratische Prozess sich sehr lange hinziehen kann. Vier ihrer Pflegekinder kamen zu Adoptionseltern, zwei zurück zu ihren leiblichen Eltern. «Das Schwierigste war für uns dann immer, das Kind, das uns wie eine eigene Tochter oder ein eigener Sohn ans Herz gewachsen war, gehen zu lassen», erklärt Juan Pablo. Was er auch nicht erwartet hatte: «Wir haben als Pflegeeltern viel mehr zurückbekommen, als wir gegeben haben.» Eine unerwartet schöne Erfahrung sei zum Beispiel gewesen, dass sie von den Eltern in der Schule seiner Kinder in vielerlei Hinsicht unterstützt worden seien.
Mit allen sechs Pflegekindern stehen sie in einem guten Kontakt, von zwei Kindern sind sie sogar die Taufpaten geworden: «Mindestens einmal im Jahren treffen wir uns mit ihnen.»
Inzwischen engagieren sich Juan Pablo Berlinger und seine Frau bei der Fundación Chilena de la Adopción (www.fadop.cl). «Wir beraten Eltern oder helfen ihnen in schwierigen Situationen.» Es kommt auch vor, dass sie einer Familie ein Pflegekind über das Wochenende abnehmen, damit diese sich erholen kann.
Seit fünf Jahren ist der Wirtschaftsingenieur auch Mitglied der Loge Drei Ringe: «Wir sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Ansichten – und das ist gut so: Auf diese Art und Weise kann man sich weiterentwickeln.» Bei Diskussionen sagen alle offen ihre Meinung: «Es wird auch ehrliche Kritik geäußert. Das finde ich sehr wichtig und habe ich auch auf deutschen Schulen gelernt.» Besonders schön findet er dann das nachträgliche «Brudermahl»: «Beim Essen und Trinken kommt dann auch nach einer kontroversen Diskussion wieder eine entspannte Stimmung auf.»