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130 Jahre Loge «Drei Ringe» in Santiago

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Am 3. August 1894 wurde die Loge «Drei Ringe» in Santiago feierlich gegründet. Es waren neun deutsche Freimaurer und drei Vertreter der Huelén-Loge anwesend: der Ehrwürdige Meister Arnott und ihre beiden Aufseher, Styles und McGregor, dann der Vertreter der Großloge von Hamburg, die Brüder Chodowiecki, Hartung und Heckmann von der Loge Lessing und die Installationskommission, gebildet vom Großvertreter der Großloge von Massachusetts, Peter Ewing, begleitet von den Brüdern Spencer und Waters, die das Protokoll unterzeichneten und dem neuen Ehrwürdigen Meister Heinrich von der Burg den Hammer überreichten. 

Die Leistungen und Geschehnisse, die zur Gründung führten

Doch bis es zu diesem bedeutsamen Moment kommen konnte, leisteten eine Reihe von Freimaurern Vorarbeit und es kam zu einigen scheinbar unzusammenhängenden Ereignissen: 

Erstens veröffentlichte vor 161 Jahren Bruder James Anderson im Jahr 1723 die «Anderson´s Verfassungen», die der Spekulativen Freimaurerei, die 1717 in London entstanden ist, ihr endgültige Gestalt gaben, um sich danach schnell auf der ganzen Welt zu verbreiten. 

Zweitens hatte vor 76 Jahren, 1818, der Freimaurerbruder Bernardo O’Higgins als Oberster Direktor der neu entstehenden Republik Chile unsere Unabhängigkeit von Spanien erklärt, nach einem blutigen Krieg, in dem die chilenischen Freimaurer jener Zeit eine führende Rolle gespielt hatten. 

Drittens begründeten die Liberalen und Freimaurer, die von da an unser Land regierten, inspiriert von dem berühmten Ökonomen und Philosophen Adam Smith, die Freiheit des Unternehmertums, was zu einer raschen Entwicklung der Wirtschaft unseres Landes führte. 

Viertens bedeutete die industrielle Revolution einen technologischen Fortschritt, insbesondere in den Bereichen Transport und Kommunikation, durch die Eisenbahn, die Dampfschifffahrt und die Telegraphen, und führte bald zu einer unglaublichen Ausweitung des internationalen Handels und zu den ersten Auswirkungen der Globalisierung, wie wir sie heute kennen. Aufgrund des Fortschritts ließen sich zahlreiche ausländische Kaufleute und gut ausgebildete Akademiker und Handwerker aus Nordamerika, England, Frankreich, Deutschland und anderen Ländern hauptsächlich im Hafen von Valparaíso nieder, um Handelsgeschäfte zu tätigen. Unter diesen gab es einige Freimaurer, die dort Logen gründeten und dabei weiter ihre Muttersprache benutzten. So entstanden die Huelén-Lodge (Nordamerikaner), die Etoile du Pacific (Franzosen), die Harmony (Engländer) und die Lessing (Deutsche). Ein weiteres wichtiges, anscheinend davon unabhängiges Ereignis, vor 113 Jahren, 1781, war der Tod des berühmten deutschen Freimaurers Gotthold Ephraim Lessing in Braunschweig.

Unter diesen besonderen Umständen kannten und befreundeten sich in Santiago neun deutsche Freimaurer, die sich hier niedergelassen hatten, und wurden sich bald einig, eine Freimaurerloge zu gründen, die in deutscher Sprache und nach dem Schröderritual arbeiten sollte. Das Schröder-Ritual ist nach Friedrich Ludwig Schröder benannt, der die Freimaurerei reformierte und mit dessen Hilfe ein neues Ritualwerk entstand. Der Schauspieler und Theaterdirektor wurde 1744 in Schwerin geboren. 

Nach verschiedenen informellen Gesprächen trafen sie sich schließlich im Juni 1893 in den Räumen des Club Hípico in der Straße Huérfanos Nr.16, um ihr weiteres Vorgehen zu planen.

Wie es zu dem Namen kam

Anwesend waren der Hamburger Kaufmann Heinrich von der Burg, 42 Jahre alt; der Ingenieur Josef Sitzenstätter, ebenfalls 42, geboren in Budapest; Professor Wilhelm Litten, 43, geboren in Bublitz in Pommern; die Hamburger Kaufleute Hermann Seckel, 46, und Andreas Oehrens, 62, der Apotheker Friedrich Meyer, 35, geboren in Großwesenberg in Holstein; dann, der Schneider Andreas Heek, 39, ursprünglich aus Berlin, und schließlich die Kaufleute August Günther, 36, aus Mecklenburg und August Voigt, 42, geboren in Kassel. Nachdem sie es sich rund um einen Tisch bequem gemacht und bereits einen Plan entwickelt hatten, können wir vermuten, dass zwischen ihnen folgendes Gespräch geführt wurde:

«Welchen Namen geben wir eigentlich unserer neuen Loge?», hätte wahrscheinlich der Bruder von der Burg gefragt, der das Gespräch zu führen schien.

«Am liebsten hätte ich sie einfach Lessing genannt», war vielleicht die Antwort von Professor Litten. «Ich glaube, dass dieser Bruder einer der herausragendsten Vertreter der deutschen Aufklärung war und mit der Zeit zum geistigen Wegbereiter des neuen Selbstbewusstseins wurde, das im Bürgertum zu seiner Zeit aufkam.»

«Das hast du sehr gut gesagt, Wilhelm», hätte sicherlich Ingenieur Josef Sitzenstätter kommentiert und betont: «Er hat sein Leben lang die Gedankenfreiheit der christlichen Gläubigen verteidigt und war ganz und gar dagegen, die Bibel wörtlich zu verstehen.»

«Und nicht nur das», unterbrach ihn wahrscheinlich August Günther. «Als guter Sohn der Aufklärung glaubte er mit ganzem Herzen an ein Christentum der Vernunft, etwas zutiefst Freimaurerisches.»

«Aber dieser Name ist leider nicht möglich, liebe Brüder, und ihr wisst es», unterbrach wohl Heinrich und erklärte: «Die Deutschen aus Valparaíso waren uns mit dem Namen voraus, wir müssen nach einer Alternative suchen.»

«Ja, das ist wahr, aber ich denke, dass unser Name auf jeden Fall die erhabenen Werte Lessings beinhalten muss», würde Bruder Friedrich vielleicht gesagt haben und hinzugefügt: «Es muss immer die Vernunft unser Wegweiser sein. Außerdem müssen wir an unsere Fähigkeit glauben, unsere Ziele verwirklichen zu können, damit wir auch unsere Verantwortung als Bürger wahrnehmen und uns endlich vom Adel befreien, worauf Lessing beharrlich bestanden hat.»

«Unser Name muss eine dauerhafte Verpflichtung gegenüber den Werten der Freundschaft und der Wahrheit widerspiegeln», würde vielleicht Andreas Oehrens gesagt haben.

«Ich habe es…», hätte dann Bruder August Voigt nach einigem Nachdenken ausgerufen: «„Drei Ringe“! Dies ist die außerordentliche Parabel, die Meister Lessing in seinem ersten Drama „Nathan der Weise“ beschrieben hat. Diese vereint vollkommen alle diese Werte, die wir zuvor erwähnt haben. Sie  stellt die Toleranz in den Mittelpunkt und zeigt, dass eine einzige und eindeutige Wahrheit nicht existiert.»

«Gefällt mir», würde Heinrich selbstbewußt antworten, «“Loge Drei Ringe“ – das klingt gut!»

«Nicht nur gut, mein Freund, es klingt hervorragend», würde ihn Ingenieur Sitzenstätter unterstützen.

«Wer dafür ist, hebe seine Hand», hätte Bruder Heinrich dann gesagt, wogegen niemand etwas einzuwenden hatte und alle ihre Arme hochstreckten.

Und so wurde die Entscheidung getroffen, und die neue Loge trägt einen Namen, der, ohne öffentlich bekannt zu werden, für alle Freimaurer auf der Welt von überragender Bedeutung sein würde, so wie für alle ihre Mitglieder eine Quelle des Stolzes.

Lessings Parabel 

In dieser besonderen Parabel, die der neuen Loge ihren Namen gegeben hat, besaß eine Familie einen magischen Ring, der ihren Besitzer in den Augen Gottes und der Menschen tugendhaft machte. Dieser Ring wurde von Generation zu Generation von Eltern an Kinder weitergegeben, bis er in die Hände eines Vaters gelangte, der drei Söhne hatte, die er gleichermaßen liebte und denen er versprach, den Ring zu vererben. Da er ihn nur einem vermachen konnte, ließ er zwei exakte Nachbildungen machen, die vom Original nicht zu unterscheiden waren. Die gab er in seinem Sterbebett jedem seiner drei Söhne. 

Als der Vater tot war, begannen die Erben schnell zu streiten, wer den authentischen Ring besaß. Da sie sich am Ende nicht einigen konnten, baten sie einen weisen Richter darum, den Streit zu schlichten. Dieser konnte das Problem aber auch nicht richtig lösen. Zuletzt aber befahl er ihnen, immer ein tugendhaftes Leben zu führen, damit die Macht des Ringes immer erhalten bliebe.

Nathan der Weise erklärt uns, dass die drei Ringe die drei großen monotheistischen Religionen repräsentieren sollten, und kommt zu dem Schluss, dass in dieser Welt jeder behauptet, dass seine die einzige wahre Religion ist und dabei übersieht, dass in Wirklichkeit alle drei gleichermaßen wahr sind, genauso wie die drei Ringe authentisch, solange jeder Gläubige immer die guten Gebote seines Glaubens befolgt.

Persönlichkeit entwickeln, Deutsch bewahren und Freundschaften pflegen

Bei demselben Treffen wurde Bruder Heinrich von der Burg zum Präsidenten gewählt, um die notwendigen Maßnahmen durchzuführen, zu denen auch die Anfrage gehörte, die an die Hamburger Großloge geschickt werden sollte, um unter ihrer Schirmherrschaft arbeiten zu können. Fast ein Jahr später, im Juni 1894, trafen die Logialmöbel aus Deutschland ein, und in demselben Monat brachte der Dampfer Potosí endlich die Gründungsurkunde. Damit konnte die neue Loge ihre Arbeit aufnehmen, was dann am 3. August 1894 auch geschah, womit auch die freimaurerische Existenz der Loge unter der Leitung ihrer ersten Beamten beginnen konnte: Ehrwürdiger Meister wurde Heinrich von der Burg, Erster Aufseher Josef Sitzenstätter, Zweiter Aufseher Friedrich Wilhelm Litten, zum Ersten Schaffner wurde Andreas Julius Oehrens und zum Zweiter Schaffner Albert Heek ernannt. Die Aufgabe des Sekretärs erhielt Friedrich Adolf Meyer.

Heute feiern wir also 130 Jahre unseres Bestehens, und unsere Brüder bemühen sich immer noch, die deutsche Sprache und die deutsche Kultur in unserem Land am Leben zu halten, so wie unsere Gründungsväter sie bewahren wollten. Bis zum heutigen Tag wurden in der Loge 438 Mitglieder aufgenommen. Unter den ersten 200 Brüdern kamen 75 Prozent aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz und 25 Prozent waren gebürtige Chilenen. Mit der Zeit änderte sich dies, und heutezutage sind es nur noch 20 Prozent in Europa geborene und 80 Prozent hiesige Brüder.

Andererseits ist es interessant zu wissen, dass die Brüder, dem Register zufolge, sehr unterschiedliche Berufe oder Tätigkeiten ausgeübt haben, darunter Kaufleute (32 Prozent), Ingenieure (15 Prozent), Ärzte (6 Prozent), Techniker (5 Prozent) und Lehrer (5 Prozent). Dann gab es, in absteigender Reihenfolge, Rechtsanwälte, Kaufleute, Apotheker und Landwirte (jeweils 3 Prozent), Bankangestellte, Armeeoffiziere, Kaufleute und Architekten (jeweils 2 Prozent) und außerdem Brauer, Pastoren, Zollagenten, Tierärzte, Buchhalter und Juweliere (jeweils 1 Prozent). Dazu gesellten sich noch drei Sekretäre des deutschen Konsulats, zwei Bäcker, zwei Künstler, zwei Drucker, zwei Philosophen, zwei Geologen, ein Schneider, ein Ökonom, ein Gastwirt, ein Schriftsteller, ein Schuhfabrikant, ein Klavierhersteller, ein Mathematiker, ein Physiker, ein Fotograf, ein Handlungsreisender, ein Gastwirt, ein Orchesterdirigent, ein Versicherungsvertreter, ein Bauunternehmer, ein Übersetzer und sogar ein Pilot.

Und sie alle hatten den großen Wunsch gemeinsam, sich als Menschen sowohl intellektuell als auch moralisch zu vervollkommnen und darüber hinaus Teil einer Institution zu sein, die unter ihren Mitgliedern echte Freundschaften über Generationen hinweg pflegt. Männer jeden Alters, vereint durch die gleichen Ideale, begegnen sich in unserer Lodge gleichberechtigt und mit größtem Respekt.

Lange lebe die Loge «Drei Ringe Nr. 92» in Santiago!

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