«Die ganzheitliche Förderung steht im Vordergrund»
Walter Stooss ist seit März 2020 Schulleiter der Schweizer Schule in Santiago. Diese wird von 679 Schülern besucht, die von 73 Lehrern, darunter 27 Schweizer, unterrichtet werden. Was den Schweizer Pädagogen gleich bei seiner Ankunft und dann die nächsten zwei Jahre beschäftigen sollte, war die Pandemie.
Wie sind Sie und die Schule mit der Corona-Pandemie ab 2020 umgegangen?
Da ich durch eine meiner Vorgängerinnen an der Schweizer Schule in Santiago, die inzwischen in Rom Schulleiterin war, erfahren hatte, dass sie aufgrund der Corona-Pandemie ihre Schule geschlossen hatte, habe ich zumindest ebenfalls damit rechnen müssen. Daher habe ich gleich bei meiner Ankunft mit den Lehrern eine Plattform für digitales Unterrichten ausgewählt, Classroom, und wir haben die Maßnahmen für den Fall der Fälle getroffen.
Ein Probelauf war schon geplant, aber einige Tage vorher mussten wir bereits die Schule schließen. In solch einer Situation war es notwendig, dass wir unseren eigenen Weg finden. Es war ein gesamtschulisches Thema, in das alle miteinbezogen wurden. Zum Glück hatten wir auch unter den Eltern Fachleute, Ärzte und Biologen. Die wichtigste Entscheidung in dieser Zeit war: Wenn die Regierung es erlaubt, dann bieten wir Unterricht an. Natürlich konnten Eltern, die aus verschiedenen Gründen Bedenken hatten, ihre Kinder zuhause lassen.
Denn Online-Unterrichten ist kein gleichwertiger Ersatz von Präsenz-Unterricht: Es fehlen dabei die entscheidenden Dinge, wie der soziale Kontakt oder etwa die Gruppenarbeit.
Trotzdem sehe ich grundsätzlich diese Zeit als große Chance an, in der wir viel gelernt haben. Auch die Schüler: Sie haben erfahren, dass es nicht selbstverständlich ist, in die Schule gehen zu können – Schule ist zwar anstrengend, aber gar keine Schule ist langweilig! Nach wie vor kommen unsere Schüler gerne in die Schule.
Was zeichnet das Schulkonzept aus?
Die ganzheitliche Förderung steht im Vordergrund. Die Kinder sollen nicht nur Mathe, Naturwissenschaften oder Deutsch lernen, sondern ein breites Angebot haben, um ihre Fähigkeiten und Interessen zu erkennen und weiterzuentwickeln. Darum wird an der Schweizer Schule auch Sport, Musik, Kochen, Werken und Handarbeiten angeboten. In den Nachmittagskursen, den Extensiones, kann auch an Volley- und Basketball, Theater- und Ballettkursen oder auch an Gartenbaukursen sowie Kursen für Modellflugzeugbau und angewandter Mathematik teilgenommen werden. Die Schüler sollen merken: Lernen ist etwas Angenehmes!
Entsprechend des Schweizer Pädagogen Pestalozzi gilt bei uns, dass «Kopf, Herz, Hand» einbezogen werden. Das Ziel ist nicht mehr nur, die Rückkehr in die Schweiz zu erleichtern und die Weitergabe von «Swissness» zu vermitteln, sondern es ist uns auch ganz wichtig, Kultur und Werte weiterzugeben.
In den Leitlinien zu unseren Werten heißt es daher zum Zusammenleben: Gemeinschaft stärken, Geborgenheit schaffen. Dazu gehört unter anderem eine offene Gesprächskultur, die Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern und Eltern sowie den Bezug zur Schweiz durch gelebtes Brauchtum herzustellen.
Wie bringen sich Eltern und Schüler in die Schule ein?
Wir haben eine sehr enge und engagierte Schulgemeinschaft!
Die Eltern organisieren regelmäßige Gruppentreffen untereinander: Fußball- und Volleyball-Treffen von Vätern und Müttern, aber auch Yoga-Brunch mit Eltern und Kindern, den Rama-Ski oder die Pfadfinder.
Wir Lehrer ziehen mit dem Centro de Padre an einem Strick und versuchen gemeinsam Lösungen zu finden, was uns besonders in der Zeit der Pandemie zugutekam.
Inwiefern spielt die deutsche Sprache heute noch eine Rolle im Unterricht?
Die deutsche Sprache war und bleibt im Zentrum des pädagogischen Konzepts.
Darum setzen wir unseren Schwerpunkt des Erlernens der deutschen Sprache bereits im Vorkindergarten beziehungsweise im Kindergarten: Wenn die kleinen Kinder schon mit der deutschen Sprache aufwachsen, dann haben sie auch keine Probleme mehr damit, wenn sie in die sechste Klasse kommen.
Die Sprache und Kultur fördern wir auch durch das Angebot von einer Schweiz-Reise und einem Schüleraustausch. Für alle Schüler findet in der elften Klasse die zweiwöchige Reise in die Schweiz statt, in der Orte im ganzen Land besucht werden.
Dann organisieren wir auf freiwilliger Basis einen Schüleraustausch, bei dem die teilnehmenden Jugendlichen in Familien in der Schweiz leben und die Schule vor Ort besuchen. Unsere Erfahrung ist: Die Schüler kehren reifer zurück und trauen sich oftmals nach der Matura, in der Schweiz zu studieren.
Was ist für die Zukunft der Schule geplant?
Was die Infrastruktur angeht, ist die Schule organisch gewachsen, zuletzt wurde die Turnhalle erweitert und modernisiert. Damit sind wir im Moment zufrieden und es ist nichts Größeres vorgesehen.
Unsere strategische Planung haben wir 2022 abgeschlossen, an der Umsetzung, zum Beispiel an einem Masterplan, wird gearbeitet. Grundsätzlich geht unser Blick nach vorne: Wie wollen wir zum 100-jährigen Jubiläum dastehen?
Am 2. August werden wir gemeinsam mit dem Schweizer Club unser 85-jähriges Jubiläum und unseren Schweizer Nationalfeiertag feiern.
Die Fragen stellte Silvia Kählert