Erste Station von Präsident Gabriel Borics Europareise vom 10. bis 18. Juni war Deutschland. Nach Präsident Sebastián Piñera im Jahr 2018 ist Boric der erste chilenische Präsident, der Deutschland besucht. Anschließend bereiste er Schweden, die Schweiz und Frankreich.
(sik) Gabriel Boric wurde in Berlin am 10. Juni von Bundeskanzler Olaf Scholz und von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen. Dieses Land «ist ein sehr wichtiger Partner für Chile», erklärte Boric bei seiner Ankunft. Deutschland ist Chiles fünftwichtigster Handelspartner nach China, den USA, Brasilien und Argentinien. Chiles Hauptexportprodukt nach Deutschland ist Kupfer, Hauptimportprodukte sind Flugzeuge, Autos und Medikamente.
«Wir haben eine sehr intensive Agenda in Bezug auf Investitionen, Lithium, grünen Wasserstoff, Menschenrechte und Kultur», erklärte Präsident Boric. Er wurde begleitet von einer Delega-
tion von Verbandsvertretern, Parlamentariern, Unternehmern, Wissenschaftlern sowie Verkehrsminister Juan Carlos Muñoz, Wirtschaftsminister Nicolás Grau, Luis Cordero, Minister für Justiz und Menschenrechte, Aisén Etcheverry, Ministerin für Wissenschaft, Technologie, Wissen und Innovation, und Energieminister Diego Pardow.
Kooperation bei Klima und Lithium
In der Pressekonferenz am 10. Juni im Kanzleramt in Berlin unterstrichen Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Boric ihre gemeinsamen Werte. Beide Regierungen wollten den Klimawandel bekämpfen und die Handelsbeziehungen stärken.
Boric betonte, dass anders als über weite Strecken des 20. Jahrhunderts sei Lateinamerika heute ein «Partner auf Augenhöhe» und nicht mehr nur eine Region, die der Unterstützung der Industrienationen bedürfe. Dies sei die Voraussetzung dafür, gemeinsam die »großen Herausforderungen auf der Welt, insbesondere den Klimawandel» anzugehen.
Deutschland, das besonders am Lithium in Chile interessiert ist, finanziert mit mehreren Millionen Euro Forschungsprojekte im Bereich der erneuerbaren Energien, die in Chile von deutschen Forschungsinstituten in Kooperation mit chilenischen Universitäten umgesetzt werden. Chile hofft auf mehr Einnahmen und Beschäftigung durch eine Wertschöpfungskette im Land. Boric sprach von über einer Milliarde Euro, die deutsche Unternehmen in Chile investieren, und erwartet, dass sich diese Zahl nach seinem Besuch weiter erhöht.
Gedenkstätte durch Enteignung der Opfer
Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte in Berlin, dass er die Entscheidung von Präsident Boric unterstütze, einen Teil des Landes der heutigen Villa Baviera zu enteignen, um einen Ort der Erinnerung und ein Dokumentationszentrum für die Opfer auf dem Gelände der Colonia Dignidad zu errichten. Gabriel Boric hatte in seinem öffentlichen Rechenschaftsbericht vom 1. Juni verkündet, dass das Haus des ehemaligen Sektenführers Paul Schäfer sowie das Restaurant, das Verwaltungsgebäude, das Hotel, das Kartoffellager, das Krankenhaus und das Pförtnerhaus der Villa Baviera enteignet werden sollen.
Auf Scholz Zustimmung rechnen könne außerdem das «Projekt des chilenischen Natio-nalarchivs» zu den Verbrechen während der Militärdiktatur. Präsident Boric erklärte, dass Deutschland «einen bedeutenden und direkten Beitrag zum Aufbau des Archivs und des historischen Gedenkzentrums leisten sowie die Arbeit zur Wiedergutmachung der Opfer fortsetzen und unterstützen wird».
In Berlin ging Boric auf die Frage ein, wie die jetzigen Eigentümer des Grundstücks der ehemaligen Colonia Dignidad, darunter die Opfer, die sich mit der Villa Baviera eine Existenz aufgebaut haben, entschädigt werden sollen. Er antwortete, dass für die Enteignung entsprechend des chilenischen Rechts die Gerichte zuständig seien. «Uns interessiert vor allem, dass die dort begangenen Verbrechen hier nie wieder begangen werden dürfen, dass es ein Zentrum der historischen Erinnerung geben muss, dass es eine Wiedergutmachung für die Opfer geben muss.»
Wirtschaftsforum sowie Friedens- und Bildungsgipfel
Präsident Gabriel Boric leitete das Wirtschaftsforum «Chile-Deutschland: Strategische Partner für globale Herausforderungen», das sich mit erneuerbarer Energie, Lithium und nachhaltigen Technologien befasste. Er nahm am chilenisch-deutschen Innovationsgipfel teil und besuchte die Europäische Südsternwarte in München. Boric strebt an, die Beziehungen zwischen Chile und Deutschland in der Forschung der Astronomie weiter zu stärken.
In der Schweiz nimmt der Präsident am Wochenende
15. und 16. Juni am Friedensgipfel für die Ukraine auf dem Bürgenstock in der Nähe der Schweizer Stadt Luzern teil. Seine Europareise schließt er mit einem Arbeitsbesuch in Paris ab. Dort nimmt er am SDG4 (Sustainable Development Goal) teil, dessen Thema der Beitrag der Bildung zum Gipfel der Zukunft im September ist.
Gemeinsamer Vorsitz beim Klimaclub
Anlässlich des Besuchs von Boric verfassten er und Bundeskanzler Olaf Scholz einen Gastbeitrag, der am 10. Juni im Handelsblatt und im Mercurio veröffentlicht wurde. Beide Länder teilen sich den Vorsitz des von Scholz initiierten Klimaclubs, der mit 38 Mitgliedern rund 60 Prozent der Weltwirtschaft repräsentiere. Ziel sei «eine bessere Abstimmung» zwischen allen Ländern.
Eine der Herausforderungen sei es «die Emissionen des internationalen Industriesektors zu senken, ohne die wirtschaftliche Entwicklung zu gefährden». Boric und Scholz sind der Überzeugung, dass bei richtigen politischen Rahmenbedingungen «die Industriedekarbonisierung das Geschäftsmodell der Zukunft» sei. Daraus schließen sie: «Daher müssen wir in Schwellenländern wie Chile eine Stufe der industriellen Entwicklung überspringen und direkt auf die grüne Industrie setzen. In Industrieländern wie Deutschland müssen wir wiederum Teile der industriellen Basis erneuern.»