Rechte im Aufwind
Die Bürger von 27 EU-Staaten haben gewählt, davon 61 Millionen Deutsche. Was bedeutet das gute Ergebnis der rechten Parteien und die Ampel-Pleite für Kanzler Olaf Scholz? Was passiert nach den Ost-Landtagswahlen? Geben jetzt Le Pen, Meloni und Co in der EU den Ton an? Fragen, die sich nach den Europawahlen stellen.
Berlin/Brüssel (dpa) – Nach der Europawahl feiern vor allem die rechten Parteien. So sind etwa in Österreich und Frankreich die Rechtspopulisten stärkste Kraft geworden. Auch in Deutschland verbuchte die AfD Gewinne und landete im Osten sogar auf Platz eins. Die Ampel-Koalition unter Führung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) fuhr eine Pleite ein – kein gutes Omen für die Landtagswahlen im Herbst in drei ostdeutschen Bundesländern.
Die Union steigert sich leicht auf 30,0 Prozent (2019: 28,9). Die AfD erreicht mit 15,9 ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung (2019: 11) – es fällt allerdings niedriger aus als zwischenzeitliche Umfragewerte. In Ostdeutschland ist die Partei mit großem Abstand stärkste Kraft. Die SPD, die im Wahlkampf auch auf Kanzler Olaf Scholz als Zugpferd setzte, fällt auf 13,9 Prozent (15,8) – ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl überhaupt. Die Grünen rutschen ab auf 11,9 Prozent (20,5). Nur leicht verliert die FDP, die auf 5,2 Prozent (5,4) kommt.
Die Linke landet bei mageren 2,7 Prozent (5,5) – ihr schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen. Die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht erreicht aus dem Stand 6,2 Prozent. Die Freien Wähler kommen auf 2,7 Prozent (2,2), die Partei Volt liegt bei 2,6 Prozent (0,7).
Bei der Europawahl in Deutschland gilt anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen keine Sperrklausel, also etwa eine Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 64,8 Prozent einen neuen Höchstwert seit der Wiedervereinigung. 2019 waren es 61,4 Prozent, damals lag Deutschland auf Platz 5 im Vergleich der 27 EU-Staaten Erstmals durften in Deutschland bei einer Europawahl auch 16- und 17-Jährige abstimmen.
Nach Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ein AfD-Ministerpräsident?
Wenn die AfD Ergebnisse holt wie jetzt bei der Europawahl, könnte sie knapp an dieses Ziel herankommen – und ganz ausgeschlossen ist es zumindest in Sachsen nicht. Würden die Landtagswahlergebnisse im Freistaat so ähnlich ausfallen wie jetzt bei der Europawahl, könnte es theoretisch passieren, dass nur AfD, CDU und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in den Landtag einziehen und alle anderen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Würden nun CDU und BSW auch noch weniger Sitze als die AfD erringen, was beim Blick auf das Europawahlergebnis ebenfalls nicht ausgeschlossen scheint, könnten sie regieren.
Was bedeutet das Wahlergebnis für Scholz und die Ampel?
Der französische Präsident Emmanuel Macron machte am Wahlabend kurzen Prozess. Nur eine Stunde nach Verkündung der krachenden Wahlniederlage seines Mitte-Blocks gegen die Rechtsnationale Marine Le Pen kündigte er kurzerhand eine Neuwahl des Parlaments an, die schon in rund drei Wochen stattfinden soll. «Ich kann also am Ende dieses Tages nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre», sagte er.
Wäre das auch eine Möglichkeit für Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit seiner SPD das bisher schlechteste Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl eingefahren hat? Die Union fordert von ihm bereits, die Vertrauensfrage zu stellen. Und dafür gäbe es auch ein historisches Vorbild: 2005 machte der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder nach einer Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen genau das, um eine Neuwahl des Bundestags zu erwirken.
SPD-Chef Lars Klingbeil lässt bereits durchblicken, dass seine Partei nun eine härtere Gangart in der Koalition einschlagen wird. Vielleicht dann ja auch mal auf Kosten des Kanzlers. «Unsere Leute wollen uns kämpfen sehen», sagte Klingbeil am Wahlabend.
Wird CDU-Chef Friedrich Merz jetzt Kanzlerkandidat?
Das ist noch offen. Zurücklehnen kann sich Merz jedenfalls nicht. Schon lange wird dem 68-jährigen Merz beispielsweise vorgeworfen, er komme weder bei Jüngeren noch bei Frauen gut an.
Laut einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vom Sonntag liegt die AfD in der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen mit 17 Prozent gleichauf mit der Union, die von den Jungen nur gut halb so viele Stimmen wie insgesamt bekommt.
In der K-Frage, die CDU und CSU nach den Landtagswahlen im September entscheiden wollen, haben die Wahlanalysen für Merz ebenfalls nicht wirklich Erfreuliches parat. So sind laut Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vom Sonntag zwar 66 Prozent der Bürger mit der Bundesregierung unzufrieden – aber nur 30 Prozent meinen, dass CDU/CSU die Sache besser machen würde. Weder Merz noch CSU-Chef Markus Söder können sich demnach zudem beim Ansehen klar von Scholz absetzen.
Geben jetzt Le Pen, Meloni und Co den Ton an?
Nein. Der Kurs der EU wird in erster Linie vom Europäischen Rat vorgegeben und dort ändert sich durch die Europawahl erst einmal nichts. Im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, stellen die Parteien des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP derzeit 13 Mitglieder und sind damit mit Abstand das größte Lager.
Im Europaparlament bleibt die EVP ebenfalls deutlich stärkste politische Kraft. Selbst wenn sich alle rechten Parteien zusammenschließen würden, kämen sie voraussichtlich auf weniger als 200 der künftig 720 Sitze und wären damit von einer Mehrheit weit entfernt. Das bedeutet, dass EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen rein rechnerisch nicht auf Stimmen aus dem Rechtsaußen-Lager angewiesen ist, um sich ein zweites Mal zur Präsidentin der EU-Kommission wählen zu lassen.
Foto: dpa