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viernes, 20. septiembre 2024
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Interview mit Isabel Arends

Der Kondor – «kraftvoller Kettensprenger und Freiheitsbringer»

Zur Person

Isabel Arends ist promovierte Kunsthistorikerin und Autorin zahlreicher Publikationen zur Backsteingotik und zum Synagogenbau deutscher Architekten sowie zu Kulturgeschichte, zu Ethnomedizin und Lebenskunst. Henry Sloman (1848-1931), der Bauherr des Chilehauses in Hamburg, heute Unesco-Weltkulturerbe, ist ihr Urgroßvater, der als Unternehmer in Chile, vor allem durch Salpeter-Abbau, zu Reichtum und Ansehen gelangte. Isabel Arends lebt und arbeitet in Berlin-Charlottenburg.

Isabel Arends hat sich nicht nur als Urenkelin von Henry Sloman, sondern vor allem auch als Historikerin, Literatin und mit dem Blick einer Trauma-Therapeutin mit dem Chilehaus auseinandergesetzt. Anlässlich der Geburtstagsausgabe des Cóndor befragten wir sie zu ihrer persönlichen Sicht auf das Chilehaus, zur Symbolik des Kondors und zu den besonderen Verbindungen zwischen Chile und Deutschland.

Bis Sie 18 Jahre alt waren, war das Chilehaus im Besitz Ihrer Familie. Was hat dieses Haus für eine Bedeutung für Sie?

Es hatte etwas Geheimnisvolles. Meine Eltern vermieden, viel über das Haus zu erzählen, vielleicht weil sie Heimweh nach Hamburg hatten. Ich war ein neugieriges Kind und wollte Antworten. Jetzt habe ich zehn Jahre zu dem Haus und der Familie geforscht und einige Antworten gefunden. Anderes ist so gut in den Tiefen der Geschichte versteckt und wurde bewusst so lange verschwiegen, dass es schwierig ist, diese Geheimnisse ans Licht zu bringen. So wie die Geschichte von Richard Sloman, dem jüngeren Bruder von Henry Sloman, der in Pica eine Frau der Atacameños heiratete – ein gesellschaftlicher Skandal damals. Richard kam bei einem Arbeiteraufstand ums Leben. Die genauen Umstände konnten nie geklärt werden.

Die Besonderheit des Hauses, die ihm seinen Namen gegeben hat, sind die chilenischen Tiere und Pflanzen, die die Fassade außen, aber auch das Innere schmücken. Diese Weltoffenheit schlug keine zehn Jahre nach dem Bau des Gebäudes mit der Machtergreifung Hitlers in Deutschland in das Gegenteil um. 

Welche symbolischen Bedeutungen hat für Sie der Kondor in Bezug auf das Chilehaus und grundsätzlich?

Der Kondor ist der König des Himmels, er ist Götterbote, Lichtbringer und immer Träger der Botschaften der großen Mutter, der Patchá Mama. Die Spanier machten ihn zum Wappentier mit Krone. In der jungen Republik Chile finden wir den Kondor auf Münzen als kraftvollen Kettensprenger und Freiheitsbringer. Zur Zeit des Baus des Chilehauses war er das Äquivalent zum deutschen Adler, dem Symbol des Kaiserreiches.

In meinen Forschungen fand ich viele alte Texte über den Kondor, die ich begann zu sammeln. Später dann, als ich den Vogel unter biologischen Gesichtspunkten studierte, bemerkte ich, dass einiges über den Kondor und sein spezifisches Verhalten in Vergessenheit geraten ist. Vielleicht, weil der Bestand so stark dezimiert wurde und die Tiere ihr Verhalten änderten. Mich faszinierten ihre klugen Jagdmethoden. Ich habe das Beste der alten Quellen in meine Kurzgeschichten eingebaut, um es dem Vergessen zu entreißen.

Sie haben sich auch mit der Geschichte der ersten Deutschen beschäftigt, die nach Chile ausgewandert sind. Auch wegen dieser deutschen Einwanderer kam es später zur Gründung des Cóndor. Wie sehen Sie diese Epoche und die Menschen, die den Schritt auf einen für sie noch weitgehend unbekannten Kontinent wagten? 

Viele der besten Wissenschaftler, die sich in der Demokratiebewegung 1848/49 in Deutschland engagiert hatten, mussten ins Exil fliehen. Im restaurativen Deutschland drohte Haft. Das ist ein weitgehend vergessener Aderlass der damaligen Bildungselite. Sie flohen gerne nach Chile, denn das Land galt als freie Republik. Hier verwirklichten sie ihren Traum der Demokratie für kurze Zeit.

Das waren außergewöhnliche Deutsche wie Prof. Rudolph Amandus Philippi (1808-1904). Er gilt heute als einer der Gründerväter der Wissenschaften in Südamerika und machte das Nationalmuseum für Naturgeschichte in Santiago zum damals bedeutendsten in Südamerika. Humboldt schätzte ihn sehr. Philippis Forschungen, obwohl auch in Deutsch verfasst, wurden im kaiserzeitlichen Deutschland gerne und absichtlich übersehen. Einen von Philippis Studenten, dem berühmten Carl Ochsenius verdanken wir das so wichtige Buch «Chile: Land und Leute», erschienen im Jahr 1884. Ein kleines Juwel und ein sehr gutes Zeitzeugnis!

Gibt es eine Person, die Ihrer Meinung nach die Verbindung von Chile und Deutschland und die Bereicherung, die dies für beide Seiten hatte und bis heute hat, besonders gut dokumentiert und aufzeigt?

Ja. Der Arzt Carl Eduard Martin (1838-1907) ist für mich so ein Beispiel. Er praktizierte in Berlin, Jena und Chile und publizierte vielbeachtete Bücher. Er hatte diesen besonderen achtsamen und studierenden Blick auf Menschen, ihre Lebensweise, die kulturelle Geschichte Chiles, forschte aber auch zur Tierwelt Chiles. Die Brüder Philippi warben um ihn und er war einige Zeit in Llanquihue, später in Puerto Montt tätig. Die verstreut lebenden deutschen Siedler forderten dem Arzt viele beschwerliche Reisen ab. Bei Notfällen musste er gefährliche, nächtliche Ritte durch den Urwald, oft bei Unwetter, auf sich nehmen. Überall half er gerne, auch ohne Bezahlung. Er leitete später mehrere Krankenhäuser und kehrte einige Male zurück nach Deutschland, fand aber als Arzt hier nicht das Glück, das er aus seiner Tätigkeit in Chile kannte und kehrte zurück. Er hinterließ uns eine großartige Beschreibung Chiles auf über 800 Seiten. Ein wertvolles Zeitdokument, das zu den sogenannten Forgotten Books zählt.

Es sind diese Menschen wie Dr. Martin, die Brücken der Menschlichkeit zwischen Europa und Chile schlugen, die mich faszinieren. Sie brachten die Glanzlichter der frühen liberalen Republik Chiles zurück nach Deutschland und dies beflügelte die demokratisch gesinnten Freigeister in der Weimarer Republik.

Frau Dr. Arends, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Silvia Kählert.

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