Mit Wörterbuch und Werkzeug
Von Hans Ruoff
Das Credo des Museo Taller im Barrio Yungay heißt: Hier gibt es nicht nur etwas zu sehen, hier kann man auch selbst etwas machen.
«Die Räder müssen fest auf der Achse sitzen, aber die Achse selbst muss Spiel haben» – nie hätte ich gedacht, dass ich diesen Satz einmal auf Spanisch sagen würde. Und dann habe ich ihn oft gesagt in diesen sechs Wochen, wenn ich in der Holzwerkstatt des Museo Taller Schulkinder betreute, die ein kleines Auto zusammenbauten. Inzwischen weiß ich auch, dass Holzschraube tornillo heißt, während die Gewindeschraube perno genannt wird und die Mutter dazu tuerca.
Ein Museum zum Anfassen
Der Besuch beginnt mit einer Führung durch die Sammlung historischer Werkzeuge für Schreiner und Zimmerleute: Wasserwaagen, Sägen, Hobel, Bohrer und Hämmer. Die Abteilungen stehen für die Arbeitsschritte messen und markieren, sägen, glätten, bohren, zusammenbauen. Im Anschluss kann man diese fünf Schritte in der Holzwerkstatt selbst ausprobieren.
Gründer des Museums ist der Unternehmer Francisco («Pancho») Dittborn Baeza. Sein Vater war ein begnadeter Handwerker, seine Großmutter sah man fast nie ohne ihren Werkzeugkasten, und sein Urgroßvater, Arzt und Botaniker, legte einst eine Heilpflanzensammlung an. So wurde Pancho zum Sammler historischer Werkzeuge, und er richtete sich eine eigene Werkstatt ein. Dort arbeitete er auch mit Kindern. Jetzt war es nur noch ein kleiner Schritt, beides zusammenzuführen.
2016 eröffnete er in Santiago das erste Museo Taller, mit Ausstellung und einer Werkstatt auch für Kinder. Doch das Haus am Cerro Santa Lucia platzte bald aus den Nähten. In Yungay fand Pancho ein größeres Haus, 2021 ging es in Betrieb.
Heute, drei Jahre später, erkennt man das Museum kaum wieder: Aus einem Haus wurden drei. Eine Papierwerkstatt ist hinzugekommen, eine Druckwerkstatt mit historischen Druckpressen, viele mit einem deutschen Firmenschild. Dazu eine der legendären Linotype-Setzmaschinen, die einst den Zeitungsdruck revolutionierten. Ein erfahrener Mechaniker hält die Maschinen in Schwung und führt sie auch vor.
Begeisterte Kinder
In dieser Wunderwelt habe ich sechs Wochen bis Ende April verbracht. Habe mit Kindern Autos zusammengebaut, habe Papier geschöpft, Druckvorlagen erstellt und auf einer historischen Presse damit gedruckt. Und habe erlebt, wie glücklich Kinder sind in dieser Welt ohne Computer und Mobiltelefon.
Den Kontakt hatte mir eine befreundete Künstlerin aus Santiago hergestellt, die deutschstämmige Malerin Karen Lüderitz. Ich suchte nach einer Möglichkeit, mein Spanisch zu verbessern, sie fragte im Museum an, ob man mich als voluntario nehmen würde. Und weil ich in meinem früheren Beruf als Sozialpädagoge mit Kindern viel handwerklich gearbeitet hatte, sagte das Museum zu und ich wurde Teil des Teams. 17 Mitarbeitende aus unterschiedlichen Berufen betreuen 15.000 Gäste im Jahr. Unter der Woche kommen Schulklassen und Studierende, am Wochenende viele Familien. Und immer klingeln auch Einzelne an der historischen Eingangstür.
Bürgerschaftliches Engagement
Finanziert wird das Museum überwiegend privat, durch eine Familienstiftung und von Pancho Dittborn persönlich. Auch die Entscheidung für den Standort Yungay traf er bewusst. Das einst hochherrschaftliche Viertel hat eine engagierte Bürgerschaft und eine lebendige Kunstszene – und es hat die Probleme aller heruntergekommenen Stadtteile: Dreck, Kriminalität und Drogen. Hier kann ein Haus wie das Museo Taller ein Leuchtturm sein, und diese Rolle nimmt es an. Bewusst öffnet es sich für den Stadtteil. Pflanzt mit Nachbarn einen kleinen Wald, lädt zu einer offenen Werkstatt mit Musik. Und wer in Yungay wohnt, zahlt nur den halben Eintritt.
Kreativität ohne Grenzen
Ein Museo Taller ist nie fertig. Handwerker kommen, ein Architekt bringt Pläne. Über einem großen Hof entsteht ein Glasdach aus einer alten Stahlkonstruktion mit Trägern, die einst aus Deutschland kamen. Hoesch lese ich, Gutehoffnungshütte. Das Museum braucht neue Werkstattplätze, es will vermehrt Kurse für Erwachsene anbieten. Nebenan entsteht ein Webereimuseum, ebenfalls mit einer Werkstatt.
Auch für Ideen von außen ist das Museum offen. In meiner Zeit dort entwickelte ich einen einfachen Webrahmen, Pancho sah ihn und entschied: Den setzen wir beim offenen Nachmittag mit den vecinos ein. Und als meine Berichte nach Deutschland dort die Frage auslösten, ob eine angehende Lehrerin als voluntaria willkommen wäre, hieß es: aber gerne. Und auch für mich steht fest: Ich komme wieder.
Informationen für alle, die das Museum besuchen wollen:
Museo Taller
Compañía de Jesús 2784
Santiago
wwww.museotaller.cl