Fest verankert, aber flexibel im Strom der Zeit
Von Hanna Wirnsberger
Als im Mai 1959 das deutsch-chilenische Kulturinstitut in Concepción gegründet wird, herrscht im Land und insbesondere um Concepción und Talcahuano eine von industriellem Aufschwung geprägte, optimistische Stimmung. Huachipato war 1950 eingeweiht worden und leistet einen bedeutenden Beitrag zur Wirtschaft des Landes. Auch im universitären Bereich ist die Provinz von Bedeutung.
Die Universidad de Concepción wird 40 Jahre alt und gewinnt an Bedeutung, wovon der Dokumentarfilm Emelco von Jorge di Lauro zeugt, der 1959 gedreht wird. Und es ist eben ein junger Dozent für Germanistik, Günther Mornhinweg, der an die Universität in Concepción geholt wird, der das Kulturinstitut unter der Schirmherrschaft und in den Räumlichkeiten der Deutschen Schule Concepción ins Leben ruft. In einer Zeit der Internationalisierung von Industrie und Wissenschaft in der Region und großem Interesse an akademischem und technischem Austausch besteht durchaus Interesse am Erlernen der deutschen Sprache.
Deutsche Literatur, Filme, Kultur und Sprache
Und Concepción ist auch ein wichtiger Standort im kulturellen Bereich. 1952 wurde das Symphonieorchester – zunächst noch als Kammermusikensemble – gegründet. Es besteht großes Interesse an klassischer Musik, die zu einem wichtigen Teil auch von deutschsprachigen Komponisten stammt. Der Film ist ebenfalls im Aufstieg und der Neue Deutsche Film ist im Kommen. Die deutschsprachige Literatur mit Autoren wie Günter Grass, dessen Roman «Die Blechtrommel» aus dem Jahr 1959 stammt, Heinrich Böll und Uwe Johnson erreicht einen einzigartigen Höhepunkt und wird auch in Chile wahrgenommen.
In dieser Landschaft entsteht das Deutsch-Chilenische Kulturinstitut, das «Instituto Chileno-Alemán de Cultura de Concepción», als gemeinnützige Einrichtung, die von Anfang an zweigleisig konzipiert ist: Einerseits dient sie als Sprachinstitut der Vermittlung der deutschen Sprache, andererseits der Förderung der Kultur und dem Austausch zwischen Chile und Deutschland und der Vermittlung eines aktuellen Deutschlandbildes.
Von 1959 bis heute ist die Kulturgesellschaft in Concepción und der Region anerkannt und es sind eine Reihe von Formaten und Aktivitäten besonders hervorzuheben, die im Laufe der Jahre entstanden sind. Die klassischen Konzerte unter dem Titel «Veladas Musicales de los Jueves» wurden als solche Anfang der 1980er Jahre ins Leben gerufen. Bis heute bieten die Konzerte dem Publikum in Concepción die Möglichkeit, meist kostenlos exzellenten Darbietungen von Spitzenmusikern beizuwohnen.
Im Bereich der Kunst gab es jahrzehntelang eine Ausschreibung für junge Künstler, die ihre Werke im Lessingsaal ausstellen konnten. So zeigten Künstler und Künstlerinnen der Region, die später sehr bekannt werden sollten, ihre Werke ganz am Anfang ihrer Laufbahn in Räumlichkeiten des Kulturinstituts.
In Zeiten von Zensur und Freiheitseinschränkungen unter der Militärdiktatur bot das Institut einen geschützten Raum der Zusammenkunft und des Austausches. Besonders lebendig in der Erinnerung vieler sind die Kinoabende mit Filmen von Herzog, Fassbinder, Wim Wenders, Volker Schlöndorff und anderen. Denn der Neue Deutsche Film oder Junge Deutsche Film wurde in Chile mit Begeisterung aufgenommen.
Später, schon im neuen Jahrtausend, erfolgt die Ernennung zum Goethe-Zentrum, wodurch die schon immer bestehende Verbindung zum Goethe-Institut und die Förderung durch den deutschen Staat weiter gestärkt wird. Die Anerkennung als Prüfungszentrum für das international anerkannte Goethe-Zertifikat erlaubt es Interessierten, die internationalen Goethe-Prüfungen in Concepción abzulegen. Hervorzuheben ist ebenfalls die Beteiligung des Goethe-Zentrums an Veranstaltungen, die sonst nur in Santiago angeboten wurden, wie etwa am Europäischen Jazzival in Chile, wodurch Spitzenbands nach Concepción eingeladen werden konnten.
Und heute? Wie steht das Goethe-Zentrum mit seinen 65 Jahren heute da?
Seit Juli 2022 in seiner neuen Unterkunft im Universitätsviertel, calle Los Tilos 1240, verfügt das GZ wieder über einen eigenen Ausstellungsraum im Haus. In diesem Jahr unter dem Thema «Mensch und Natur» wird der Raum monatlich neu bestückt. Zurzeit kann die Ausstellung «Naturaleza de lo femenino» von der Malerin Carolina Bastías besucht werden. Es folgen interessante Ausstellungen junger Künstler über aktuelle Umweltthemen, Natur und Mensch.
Die Deutschkurse werden dort selbst hauptsächlich im Präsenzformat durchgeführt, wobei auf Nachfrage auch Online-Kurse angeboten werden. So kann man im Goethe-Zentrum von A1 bis C1 perfekt Deutsch lernen. Ganz besonders hervorzuheben sind die Workshops für Senioren, in denen ältere Menschen einmal wöchentlich zusammenkommen und Deutsch lernen beziehungsweise üben können.
Stark gestiegen ist die Nachfrage nach Prüfungen, insbesondere von medizinischem Pflegepersonal, das in Deutschland arbeiten will. So kann sich das GZ als eines der wenigen Prüfungszentren in Chile durchaus behaupten.
Literatur- und Musikprojekte
Ein weiteres Projekt, das dem Goethe-Zentrum in diesem Jahr am Herzen liegt, dreht sich um deutsche Literatur. Nach der Lesung von Gedichten von Deborah Vogel auf Jiddisch und auf Spanisch mit Karen Byk und Jordan Lee Schnee aus Berlin, der Buchpräsentation vom Fußballroman «Fanta» von Robert Schade und der Lesung von der bekannten Autorin Özlem Özgül aus Berlin, besucht jetzt im Juni der israelische Autor Tomer Drey-
fus, ebenfalls aus Berlin, die Stadt Concepción, um im Goethe-Zentrum seinen Roman Birobidzhan vorzustellen und sich mit dem Publikum über die aktuelle Lage im Gaza–Streifen auszutauschen und einen eindeutigen Aufruf zum Frieden zu überbringen. Bei dem Literaturprojekt wird eng mit dem DAAD-Lektorat vor Ort zusammengearbeitet.
Für das zweite Semester 2024 sind als Fortsetzung von Veranstaltungen im vergangenen Jahr weitere Barockkonzerte mit Cembalo und Streichinstrumenten geplant. Ein Konzert mit Liedern mit Texten von Gabriela Mistral ist vorgesehen und auch die Jazz-Szene soll nicht zu kurz kommen. Ein Konzert mit Musikern aus Concepción wird geplant und die erneute Beteiligung am Europäischen Jazzfestival in Chile ist ebenfalls vorgesehen.
Das Goethe- Zentrum sieht mit Optimismus in die Zukunft, flexibel und immer bereit, den jeweils aktuellen Bedürfnissen nachzukommen, ohne den kulturellen Austausch und seine zentrale Aufgabe der Vermittlung eines aktuellen Deutschlandbildes zu vernachlässigen.