Tierarzt
Wechsel und Wandel als Wegweiser
Seinen Tierarztberuf übte Dr. Carlos Günther auf drei verschiedenen Ebenen aus: als Betreuer seiner Patienten auf dem Land, als Manager an einer großen internationalen Firma und als Privatunternehmer.
Zurzeit durchlebt er beruflich eine Übergangszeit angenehmster Art. Anfang dieses Jahres überschrieb er seinen Teil der Firma, die er in den 1990er Jahren gegründet hatte, an neue Geschäftspartner: «Ich bin ganz ausgestiegen und lediglich noch, je nach Bedarf, als externer Berater tätig.» Dr. Carlos Günther rief den Betrieb damals ins Leben, um importierte veterinärmedizinische Produkte sowie Insektizide, Mittel gegen Ratten und Umweltschutzartikel zu vertreiben. Mit dieser Zäsur in seinem Leben hofft er, sich künftig bevorzugt seinen Hobbys widmen zu können. Er ist ein begeisterter Leser, eine Freizeitbeschäftigung, der er bisher nur wenig Zeit widmen konnte. «Wenn man in einem Betrieb dafür sorgen muss, dass er gut läuft, dann setzt man sich zeitlich intensiv für ihn ein», hat er festgestellt.
Tief beeindruckt hat ihn kürzlich «Deutschland – Erinnerungen einer Nation» von Neil MacGregor, ein Essay über den Zeitabschnitt zwischen dem Heiligen Römischen Reich und der Wiedervereinigung im Jahr 1990, in dem der englische Autor sich nicht nur mit Politik, sondern auch mit den kulturellen und künstlerischen Entwicklungen im Land der Dichter und Denker auseinandersetzt.
Eine andere Thematik, die den Leser Günther anspricht, ist Richard Wagner, mit dem er sich befasst, seit er Mitglied der Fundación Richard Wagner de Chile ist. Diese kulturelle Einrichtung beschäftigt sich mit Leben und Werk des großen deutschen Komponisten, den Günther unendlich verehrt. Im vergangenen Jahr hatte er Gelegenheit, die Wagner-Festspiele in Bayreuth zu besuchen und einer Aufführung des «Parsifal» beizuwohnen, was durch das hohe Niveau der Mitwirkenden für ihn zum unvergesslichen Erlebnis wurde.
Carlos Günther wurde in Osorno geboren. Er wuchs in der Stadt am Damas und am Rahue auf, wo er die Deutsche Schule besuchte. Der Vater pflegte sonntagvormittags Schallplatten mit klassischer Musik aufzulegen, was für Carlos zur prägenden Erfahrung wurde. Zum anderen «hatte ich sehr gute Musiklehrer», darunter Flora Inostroza, eine der großen Persönlichkeiten der chilenischen Klassikszene, die bekanntlich die Musikwochen in Frutillar zu einem ungeahnten Niveau aufblühen ließ. «Mich haben schon in jungen Jahren die drei Bs – Bach, Beethoven und Brahms – sehr angezogen», erinnert er sich, «und als ich mit 18 eine ‚Tannhäuser‘-Aufnahme hörte, habe ich mich für Wagner begeistert, und das ist auch so geblieben.»
Zahlreiche Besuche bei Verwandten auf dem Land waren dafür ausschlaggebend, dass er bereits mit 13 Jahren seine Berufswahl traf: Nach Beendigung der Oberstufe studierte er an der Universidad de Chile Veterinärmedizin. Über die Deutsche Burschenschaft erhielt er später ein Stipendium, um in Hannover ein Aufbaustudium zu absolvieren und parallel dazu eine Doktorarbeit zu schreiben.
Danach kehrte er nach Santiago zurück. Der Chemie- und Pharmakonzern Bayer suchte damals einen Berater für seine tiermedizinische Abteilung. Günther bewarb sich mit Erfolg: «Es war eine große Herausforderung, bei einer weltbekannten Firma zu arbeiten, die an ihre Mitarbeiter hohe Anforderungen stellt, weshalb ich mich sehr intensiv einsetzen musste.» Die Mühe lohnte sich, Günther wurde wiederholt befördert und schließlich zum Geschäftsführer des Unternehmens ernannt.
Nach 13 Jahren Tätigkeit bei Bayer hatte er nicht nur hinreichend Erfahrung auf seinem Sachgebiet gesammelt, sondern nebenbei auch ein Diplom in Betriebswirtschaftslehre an der Universidad Adolfo Ibáñez gemacht. Damit wagte er den Sprung in die Unabhängigkeit. Kein leichtes Unterfangen, denn «am Anfang ist man sehr alleine, weil man keine gleichgestellten Mitarbeiter hat, mit denen man seine Probleme diskutieren kann. Also schloss ich mich bei der Handelskammer einem Unternehmerkreis an. Die AHK Chile bietet dies an, damit Geschäftsleute Gedanken austauschen können. Wir trafen uns einmal im Monat, teilten uns gegenseitig unsere Probleme mit und hörten dann die Lösungsvorschläge der anderen Teilnehmer». Zudem unterstützte ihn seine Frau Mimi Wood, die zu der Zeit Abteilungsleiterin im Personalwesen eines internationalen Unternehmens war, mit Rat und Tat.
Wechsel und Wandel waren in seinem Leben die Regel. In jungen Jahren hatte er den nicht einfachen Sprung von der paradiesischen ländlichen Idylle in die hektische Großstadt gewagt. In der Tat verspürt er bis heute Nostalgie, wenn er an seine Heimatstadt denkt. Dennoch: «Ich habe mich in Santiago schnell eingewöhnt, wobei meine Aufnahme in der Burschenschaft Andinia sehr wichtig war, weil wir dort eine Gruppe von Südchilenen deutscher Abstammung bildeten, die sich gegenseitig halfen.»
Carlos Günther ist heute noch in der Andinia aktiv. Bekanntlich trennen sich Burschenschaftler nicht von ihrer Verbindung, wenn sie mit ihrem Studium fertig sind, sondern bewahren den Kontakt auf Lebenszeit: «Mit viel Spaß mache ich, soweit es möglich ist, noch mit», versichert er, «man hält sich so auf dem Laufenden über das, was die jüngeren Generationen interessiert.»
Nun, da sein Stundenplan in nächster Zukunft voraussichtlich schrumpfen wird, hofft Günther, sich in absehbarer Zeit in größerem Maß seinen kulturellen Interessen widmen zu können, wie auch den erwachsenen Kindern Matías, Zahnarzt für Kieferchirurgie, Fernanda, Psychologin und Juan José, Rechtsanwalt, sowie deren Familien. Darüber hinaus plant er, mit Mimi einige Reisen ins Ausland zu unternehmen: «Die Welt kennenzulernen, andere Gewohnheiten zu beobachten, andere Sprachen zu hören, das sind herrliche, bereichernde Erfahrungen,» bestätigt er.
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