Von Klaus Boele
«Der Aufbau Europas ist keine garantierte Gewissheit mehr. Dazu braucht es mehr Seele, greifbare Erfolge und mehr Bürgerbeteiligung. … Der Ausschuss der Regionen kann eine ganz besondere Kraft entfalten, gegründet auf Expertise und Einfluss.»
Als Jacques Delors, damals Präsident der Europäischen Kommission, das im März 1994 zu den erstmals versammelten 189 Kommunal- und Regionalpolitikern der zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) sagte, befanden sich die Welt und Europa in einer ungewissen Übergangsphase nach dem Kalten Krieg: Die Sowjetunion hatte sich aufgelöst, neue unabhängige Staaten entstanden, der blutige Zerfall Jugoslawiens war in vollem Gange, Österreich noch nicht Teil der EU, das wiedervereinigte Deutschland hatte drei Jahre zuvor zwar die Fußball-WM gewonnen, aber das Fußballsommermärchen 2006 lag in ferner Zukunft.
1992 waren die wirtschaftliche und die zum Teil noch zaghafte außen- und innenpolitische Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten unter das Dach der Europäischen Union zusammengefasst worden. Das Europäische Parlament war erst drei Mal direkt gewählt worden, und noch lange nicht gleichberechtigt mit dem Rat der Mitgliedstaaten, der damals im Übrigen keinen festen Sitz in Brüssel hatte. Der Euro und der Beitritt ehemals kommunistischer Staaten zum Club der Zwölf waren schon Wunsch aber noch lange keine Wirklichkeit. Und ohne Internet, E-Mails oder Online-Übersetzungsmaschinen war die gefühlte Distanz zwischen «Brüssel» und den 320 Millionen Bürgerinnen und Bürgern groß.
Mit der Gründung des Ausschusses wurde daher nicht nur den Regionen und Städten eine Stimme im EU-Entscheidungsfindungsprozess verliehen, sondern auch ein direktes Bindeglied zwischen der EU und ihren Bürgern geschaffen. Städte und Regionen mit ihren über eine Million gewählten Politikern sind heute in der EU unmittelbar verantwortlich für die Umsetzung von rund 70 Prozent der europäischen Gesetze und verwalten 50 Prozent der öffentlichen Investitionen. Inzwischen auf 329 Mitglieder aus 27 EU-Staaten angewachsen, wird der Ausschuss daher zu allen Fragen konsultiert, die regionale Entscheidungen beeinflussen, vom Klimaschutz über den Bau europäischer Verkehrswege bis hin zu Bildungschancen der jungen Europäer.
Als Teil der EU-Delegationen in internationalen Organisationen setzt sich der Ausschuss für die Einrichtung und Stärkung kommunaler und regionaler demokratischer Strukturen in allen Staaten der Welt ein. Dahinter steht die Erkenntnis, dass etwa der Klimawandel nur zu bewältigen ist, wenn die örtlichen Entscheider und Akteure von der Herausforderung überzeugt sind und ihre eigenen Handlungsoptionen erfassen. Durch beharrliche Zusammenarbeit ist es über die Jahre gelungen, diese Erkenntnis auch in die Abschlusserklärungen der Weltklimakonferenzen einfließen zu lassen.
Gemeinsam mit der Europäischen Kommission organisiert der Ausschuss zudem seit 2009 alle zwei Jahre ein Forum für Städte und Regionen, das internationale Zusammenarbeit auf der sogenannten subnationalen Ebene befördern soll. Im November 2023 nahmen über 250 Vertreter aus 71 Staaten Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Europas an diesem Forum teil, darunter auch der Bürgermeister von Huechuraba mit zwei weiteren chilenischen Teilnehmern. Einzelne Mitglieder des Ausschusses sind darüber hinaus weltweit an bilateralen Kooperationen einzelner Regionen beteiligt, wie zwischen der Region Bourgogne-Franche-Comté in Frankreich und der Region Maule.
Als Jacques Delors vor 30 Jahren zu den Gründungsmitgliedern des Ausschusses der Regionen sprach, hätten die Anwesenden sich sicher nicht vorgestellt, dass dieses Gremium eines Tages auch das milliardenschwere EU-Unterstützungspaket für die kriegsgebeutelte Ukraine mitberaten würde. Während der Aufbau Europas auch heute wieder einmal keine garantierte Gewissheit mehr zu sein scheint, trägt der Ausschuss weiterhin zur Seele, zu greifbaren Erfolgen und zur Bürgerbeteiligung in der EU bei.
Die Informationen und Einschätzungen in diesem Artikel geben die Meinung des Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise der offiziellen Position des Ausschusses der Regionen.
Weitere Informationen zum Ausschuss der Regionen auf seiner Internetseite:
Europatag am 5. und am 9. Mai
Seit 60 Jahren wird die Gründung des Europarates gefeiert. Seine Satzung wurde am 5. Mai 1949 in London unterzeichnet. Der Europarat mit Sitz in Straßburg ist institutionell nicht mit der Europäischen Union (EU) verbunden, auch wenn beide die Europaflagge und die Europahymne verwenden. Der Europarat ist daher auch nicht zu verwechseln mit den EU-Institutionen Europäischer Rat, dem Organ der Staats- und Regierungschefs, und dem Rat der Europäischen Union, dem Ministerrat. Die zentrale Aufgabe des Europarats ist der Schutz der Menschenrechte und die Völkerverständigung.
Am 9. Mai ist der Feiertag für die europäische Einigung: An diesem Tag gedenkt man der Schuman-Erklärung von 1950 und damit der Ursprünge der Europäischen Union. In Deutschland wird an diesem Tag an allen Dienstgebäuden die Europa-flagge gehisst.
Bei der EU geht es um die konkrete wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit. In diesem Jahr steht sie vor vielen Herausforderungen: Russlands Krieg gegen die Ukraine, die mögliche Wiederwahl von Donald Trump, Reformen der EU und Beitrittsgespräche mit der Ukraine und der Republik Moldau.
Anfang Juni bestimmen rund 400 Millionen Wahlberechtigte das Europäische Parlament. Allerdings hat nur die Hälfte beim vorherigen Mal tatsächlich abgestimmt, also rund 200 Millionen Menschen. Es wird ein erneuter Sieg der christdemokratischen Parteien und ein Anwachsen der rechtsradikalen und rechtspopulistischen Fraktionen erwartet.
Wichtigstes Thema für die Wähler ist laut der von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Meinungs-umfrage Eurobarometer ihre eigene wirtschaftliche Situation und ihr Lebensstandard. 60 Prozent der Befragten sehen im EU-Durchschnitt die Aussichten für die Zukunft der EU eher optimistisch.