Das Kontorhaus mit dem Kondor
Die Galionsfigur am «Schiffsbug» des architektonischen Aushängeschildes der Hansestadt macht es deutlich: Der Kondor zeigt die Verbundenheit von Henry B. Sloman mit Chile und damit auch die Verbundenheit von Chile mit Hamburg und Deutschland.
Das Chilehaus feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag, seit neun Jahren zählt es zum Unesco-Weltkulturerbe. Die Besonderheiten des imposanten Baus sind seine Form und Farbe: Mit der wie ein Bug hervorspringenden Spitze sieht es aus wie ein Ozeandampfer. Die dunkelrot-blau-braunen Klinker, aus denen die Fassade besteht, stammen aus Ostfriesland und wurden von der heute noch bestehenden Firma Bockhorn hergestellt.
Der Aufstieg von Henry B. Sloman
Zwar hat der Name Sloman in Hamburg eine lange Tradition, aber Henry Sloman musste sich seinen späteren beruflichen Erfolg hart erarbeiten. 1848 ist er in Hull in Großbritannien als Sohn des Hamburger Kaufmanns John Miles Sloman geboren. Als sein Vater während des Krimkriegs sein gesamtes Vermögen verloren hatte, geriet die Familie in große Armut. Schließlich wurde Henry mit acht Jahren zu seinem Großvater nach Hamburg geschickt.
Sein Großonkel, der Hamburger Kaufmann und Reeder Robert Miles Sloman, finanzierte dem Jungen eine Schlosserlehre. Nach dem Abschluss der Ausbildung wanderte Sloman 1869 nach Südamerika aus. Beim Reisegeld half der Vater seines Freunds Hermann Fölsch aus. Dieser hatte Slomans Schwester Harriet geheiratet. Sloman ging 1881 mit Renata Hilliger, mit der er drei Söhne und eine Tochter hatte, den Bund der Ehe ein.
Von Fölsch erfuhr er von dem Salpeter in Chiles Atacamawüste, vom «weißen Gold», das vor allem als Dünger, aber auch als Sprengstoff und Schießpulver genutzt werden konnte. Sloman folgte seinem Ruf nach Iquique, wo er sein Angestellter wurde und später mehr als 20 Jahre lang als Geschäftsführer des Unternehmens Fölsch & Martin tätig war.
1892 machte er sich selbstständig, nahm einen Kredit auf und gründete sein erstes Salpeterwerk «Buena Esperanza» in Tocopilla, es folgten vier weitere Werke. 1898 kehrte er als reicher Mann nach Hamburg zurück.
Die deutschen «Salpeterbarone» stellten um die Jahrhundertwende ein Viertel des gesamten chilenischen Salpteraufkommens her. Der größte Importeur in Europa war Deutschland. Die deutsche Agrarindustrie erhöhte ihre Einfuhr im Laufe von 30 Jahren auf das 40-fache: Im Jahr 1905 wurden über 500.000 Tonnen eingeführt. Davon profitierte vor allem der Hamburger Hafen.
Entstehungsprozess der expressionistischen Ikone
So wie vom damaligen Reichtum noch heute viele Gebäude in Valparaíso zeugen, so sind auch in Hamburg architektonische Juwele Symbol für diese Zeit des Booms. In der chilenischen Hafenstadt ist es zum Beispiel der Palacio Baburizza, der eine europäische Architektur mit Elementen des Art Déco und Modernismus aufweist.
Mitten in der Inflation der 1920er Jahre, nach der Choleraepedemie, sollte eine Stadtsanierung in Hamburg neuen Wohnraum schaffen. 69 kleine Fachwerk-Häuser des ehemaligen mittelalterlichen, engen Gängeviertels, in denen die ärmere Bevölkerung lebte, wurden abgerissen. Als die Stadt das rund 5.000 Quadratmeter große Grundstück versteigerte, erwarb es Sloman. Der Unternehmer beauftragte den Architekten Fritz Höger mit dem Bau des für damalige Verhältnisse riesigen Hauses mit zehn Stockwerken.
Der bei Elmshorn, Schleswig-Holstein, geborene Fritz Höger hatte seine Meisterprüfung als Zimmerer abgelegt, studierte aber nie Architektur. Trotz seiner Erfolge und eigenem Architekturbüro wurde ihm aufgrund des fehlenden Hochschulstudiums die Mitgliedschaft im Bund Deutscher Architekten verwehrt.
Er war einer der führenden Vertreter des norddeutschen Backstein-Expressionismus und als sein Hauptwerk gilt das Chilehaus, das in der Zeit von 1922 bis 1924 errichtet wurde. Da der Grund nicht ausreichend tragfähig war, mussten zunächst Tausende von Holz- und Eisenbetonpfähle in den Boden getrieben wurden. Auf den Pfeilern wurde ein Rost errichtet auf dem das Stahlskelett des Gebäudes ruht.
Die Fassade besteht aus hart gebrannten, witterungsbeständigen Klinkern, die Henry Sloman bereits vor der Gebäudeplanung erworben hatte. In den Treppenhäusern kamen zusätzlich Kalkstein und Marmor zum Einsatz.
Ein Slomanhaus, der Sitz der Reederei, existierte bereits, also wurde es Chilehaus genannt – nach dem Land, dem der Unternehmer sein Vermögen verdankte und an das viele Schmuckelemente an der Fassade erinnern: der Kondor, aber auch das chilenische Wappen über einem der drei Tore.
Es gibt kaum ein anderes Gebäude, das auf der ganzen Welt so sehr mit der Hansestadt in Verbindung gebracht wird wie das Chilehaus. Zusammen mit dem Miramarhaus, Montanhof und Meßberghof und weiteren Kontorhäusern gehört der Klinkerbau zum Kontorhausviertel Hamburgs. Das Viertel ist mit der Speicherstadt Teil des Unesco-Weltkulturerbes.