Musikunterricht für 600 Schulen in der Araucanía
Alle Kinder auf dem Land in der Araucanía sollen Musikunterricht erhalten – das ist das neue Riesenprojekt von Christian Boesch. Es baut auf der vom ehemaligen österreichischen Opernsänger vor 20 Jahren ins Leben gerufenen mobilen Musikschule auf. Ab dem 2. Mai sollen die ersten 50 der rund 600 Lehrer an der Universidad Católica Villarrica weitergebildet werden. Was motiviert den Gründer der Papageno Stiftung, sich auch noch mit 83 Jahren mit Energie und Begeisterung diesem Projekt zu widmen?
Vor 38 Jahren ist der gebürtige Wiener in Chile angekommen, um einen Neuanfang zu wagen und einen Kindheitstraum zu verwirklichen: «Am schönsten Platz der Welt habe ich einen Fundo aufgebaut.» Bis heute liebt der Landwirt es, selbst mit seinem Bagger das Land beim Lago Calafquén zu bearbeiten – gerade zurzeit gebe es viel Arbeit.
Vor sieben Jahren hat Christian Boesch zusätzlich zu seiner österreichischen die chilenische Staatsbürgerschaft «de ley por gracia» erhalten. Der chilenische Senat begründete diese Entscheidung mit den großen Verdiensten des Künstlers auf dem Gebiet der Musik in Chile und die damit vermittelten Werte, wie Respekt und Gemeinschaftlichkeit. «Ich bin stolz darauf, Chilene zu sein», stellt Christian Boesch fest. Diese Ehre sei für ihn «eine zusätzliche Motivation, dem Land das zurückzugeben, was ich erhalten habe».
«Es gibt kein Kind ohne Talent»
1996 begleitete ihn seine zweite Ehefrau Henrike aus Österreich in die Araucanía. Die zwei gemeinsamen seiner insgesamt sieben Kinder, Michael und Marie, wuchsen in Chile auf. «Es waren eigentlich die beiden, die mich auf die Idee gebracht haben», berichtet Christian Boesch. Er stellte fest, dass in der Deutschen Schule Villarrica Musik nicht in einer Form im Lehrplan vertreten war, wie es seinen Idealvorstellungen entsprach war. Das war für den Bariton, der unter anderem viermal an der Metropolitan Opera in New York und neunmal bei den Salzburger Festspiele aufgetreten ist, für seine Kinder undenkbar. Gemäß seinem Motto «Geht nicht, gibt es nicht» nahm der tatkräftige Mann die Sache in die Hand: «Ich habe mit dem Schulleiter gesprochen und Musiklehrer organisiert.»
Als nächstes stellte sich Boesch die Frage, wie es dann wohl um den Musikunterricht in den Schulen auf dem Land bestellt war, wenn schon die seiner Meinung nach sonst ausgezeichnete deutsche Schule diesen nicht optimal im Lehrplan vorgesehen hatte. «Theoretisch haben alle chilenischen Kinder ein Recht auf Musikvermittlung, aber es werden ja schon lange nicht mehr die Lehrer darin ausgebildet.» Wieder ergriff der Wahlchilene die Initiative und gründete 2004 die mobile Musikschule, ein Teil der Fundación Papageno.
Inzwischen besuchen 20 Lehrer 78 Landschulen mit insgesamt rund 2.000 Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren in der Araucanía. «Mit rund 30 Mitarbeitern sind wir aber an unsere Grenzen der Administration gelangt», stellt Boesch fest. «Gleichzeitig zeigen unsere Erfolge, wie wichtig dieses Projekt ist.» Die Schule könne eine 20-jährige Erfahrung und Dokumentation vorweisen. Als Schlüssel des Erfolgs bezeichnet Boesch den großen Stellenwert der Kinder in der chilenischen Familie: «Wenn die Eltern sehen, wie gut der Unterricht den Kindern tut, können auch sie überzeugt werden und erst dann kann wirklich etwas erreicht werden.»
«Es geht nicht darum, dass die Kinder Musiker werden. Es sind das künstlerische Umfeld, die Atmosphäre und das gemeinsame Musizieren, die ganz viel für ihre Persönlichkeitsbildung bewirken können. Es gibt kein Kind ohne Talent, und das gilt es zu erkennen und zu fördern.»
Darum liegt Christian Boesch die Musikvermittlung derart am Herzen. «Es geht nicht darum, dass die Kinder Musiker werden», betont er. «Es sind das künstlerische Umfeld, die Atmosphäre und das gemeinsame Musizieren, die ganz viel für ihre Persönlichkeitsbildung bewirken können. Es gibt kein Kind ohne Talent, und das gilt es zu erkennen und zu fördern.»
Daher sei auch nicht die klassische Musik der Schwerpunkt im Unterricht der Kinder, sondern, wie Boesch ausführt: «Es geht darum, ihnen die Freude an der Musik zu vermitteln – Musik ist ein Urbedürfnis. Und das geschieht hauptsächlich mit Folklore-Musik. Alle erhalten ein Instrument und das sind Flöten, Gitarren, Charrangos oder Panderos.» Es gibt aber auch Projekte mit Streichern oder Blechblasinstrumenten. Im Moment werden ein Kinderorchester und eine Big Band aufgebaut.
Kooperation des privaten und öffentlichen Bereichs
Daher wurde es sein Ziel, die mobile Musikschule in eine Kulturstiftung umzuwandeln, um allen Kindern der rund 600 Schulen auf dem Land in der Araucanía eine musikalische Bildung zu ermöglichen. Eine Voraussetzung sei die Beschaffung der finanziellen Mittel: «Ich konnte die chilenischen Familien, die selbst große Stiftungen geschaffen haben, überzeugen, sich dafür einzusetzen, denn wir wollen ja alle, dass es mit dem Land bergauf geht.» Boesch nennt die Stiftungen der Familien von Appen, Agelini, Ibáñez und Luksic, Hueneus, Bosch und Elberg. In Europa ist die Hilti Stiftung in Liechtenstein eine wichtige Stütze. Es gibt auch viele private Spender.
In einem weiteren Schritt sorgte der Pädagoge aus Leidenschaft, wie er sich bezeichnet, dafür, dass es eine Kooperation aus dem privaten und öffentlichen Bereich gab. Es kam Mitte letzten Jahres zu einem Treffen, an dem auch die staatlichen Vertreter teilnahmen: der Gouverneur der Region, Luciano Rivas, Repräsentanten der Bildungs- und Kulturministerien, der Bürgermeister von Villarrica, Germán Vergara, und der Direktor des Campus Villarrica der Pontificia Universidad Católica, Gonzalo Valdivieso, als Gastgeber.
Nun werden ab dem 2. Mai durch eine Zusammenarbeit mit der Pontificia Universidad Católica in Villarrica in den nächsten vier Jahren rund 600 Lehrer vorbereitet werden, um selbst Musikunterricht zu geben: «Für vier Monate erhalten 50 Lehrer die musikalische Zusatzausbildung: Samstags kommen sie an die Universität zu den Kursen, ansonsten gibt es jede Woche noch drei weitere Online-Kurse.» Zum Schluss wird ihnen ein Diplom der Universidad Católica überreicht.» Vier Jahre wird der Prozess insgesamt dauern. «Wenn dann ein Lehrer ein Jahr lang erfolgreich an seiner Schule unterrichtet hat, erhält er von dem Sponsor aus Liechtenstein eine Prämie, um ihn weiter zu motivieren.»
«Camerata Papageno» plant Europa-Tournee
Eines von mehreren Projekten als Teil der Papageno-Stiftung ist das Orchester «Camerata Papageno». Wie kam es zur Gründung? «Wenn ich gefragt wurde, ob ich Heimweh habe, konnte ich das an diesem schönsten Ort der Welt verneinen – bis auf eine Sache: die Sehnsucht nach den harmonischen Klängen, wie ich sie aus meinem Berufsleben zum Beispiel bei den Salzburger Festspielen kannte.» Daraufhin sagte sich der ehemalige Sänger: «Wenn man sie nicht nach Chile holen kann, muss man sie selbst erzeugen» und wurde wieder aktiv. «Die chilenischen jungen Musiker sind unglaublich begabt, echte Rohdiamanten», stellt Christian Boesch fest. «Es fehlt nur der Schliff. Wir haben inzwischen ein hervorragendes Orchester geschaffen – auch dank meiner Freunde aus meinem früheren Musikerleben. Regelmäßig erhalten die chilenischen Musiker Meisterkurse von internationalen Größen, wie Heidi Litschauer, Wolfgang Schulz, Jutta Puchhammer, Mayumi Seiler, Eszter Haffner, David Eggert und anderen.»
Während der Pandemie habe es eine Erweiterung im Repertoire gegeben: «In meiner Jugend war ich ein großer Liebhaber von klassischem Jazz. Inzwischen sind die Orchestermitglieder auch dank des Jazzmusikers Federico Dannemann Meister auf diesem Gebiet.» Der gebürtige Argentinier unterrichtet die jungen Musiker während des Jahres in Workshops in Santiago. In den Sommermonaten gibt es ein Jazz-Camp auf dem Fundo Papageno am Lago Calafquén mit internationalen Jazzmusikern, wie Andrea Motis und Christoph Mallinger.»
Außerdem bietet die Fundación Cultural Papageno seit 20 Jahren Musikcamps am See für die Kinder aus den Landschulen an. «Sie können entspannt proben und schließlich zeigen sie bei einem Konzert ihr Können», so der Künstler.
Dieses Jahr im Juli wird Christian Boesch zum ersten Mal mit 14 Orchestermusikern eine zweiwöchige Tournee nach Europa machen, mit Konzerten in Norddeutschland und Spanien. «Das soll auch dazu beitragen, den Horizont dieser ausgezeichneten Künstler zu erweitern, ihnen zu zeigen, dass ihr Können auch in Europa anerkannt wird.»
Fotos
Sebastián Saenz, Leiter der Kommunikation der Fundación Cultural Papageno