Von Kollegen bewundert, vom Publikum vergöttert

Er hatte eine der größten schauspielerischen Begabungen des amerikanischen Films und Theaters des 20. Jahrhunderts. Seine Leistungen in «Die Faust im Nacken» und besonders als Mafia-Boss Don Corleone in «Der Pate» sind legendär.
Marlon Brando musste sich sein Prestige hart erarbeiten. Seine Familienverhältnisse waren alles andere als geeignet, um ihm zu einem gesellschaftlichen Aufstieg und einem beruflichen Erfolg zu verhelfen: Die Eltern waren beide Alkoholiker, hatten eine schwierige Beziehung und außereheliche Affären. Die Mutter versuchte wiederholt, sich umzubringen.
Marlon war ein schlechter Schüler, der auf die Ermahnungen seiner Lehrer übermäßig aggressiv reagierte. Als die Situation unhaltbar wurde, nahm der Vater ihn von der Highschool und meldete ihn an einer Militärakademie an, mit dem Hinweis, es sei die letzte Chance, seine Leistungen zu verbessern. Dies glückte dem 17-Jährigen zwar nicht, sein Lehrer Earle Wagner, der die Theatergruppe der Akademie leitete, entdeckte jedoch seine Schauspielerbegabung. Der junge Rebell konnte sich in diesem Kreis nun behaupten, verließ die Militärakademie aber kurz darauf und ging nach New York, um sich an dem Dramatic Workshop, den Erwin Piscator an der New School leitete, ausbilden zu lassen.
Im Sommer 1944 überwarf sich Brando mit Piscator und verließ die Schauspielschule. Er hatte bereits einen Agenten, der ihm die nötigen Beziehungen zur Theaterwelt ebnete. Brando erhielt kleine Partien am Broadway.
Seine erste große Rolle war die des Stanley Kowalski in «Endstation Sehnsucht» von Tennessee Williams. Marlon Brando stand in dieser Produktion neben Persönlichkeiten wie Jessica Tandy, Kim Hunter und Karl Malden auf der Bühne.
Die Intensität des Neulings fiel derart auf, dass seine Darstellung mehr Beachtung fand als die der Hauptdarstellerin Tandy.
«Faszinierende Persönlichkeit»
1949 erhielt er die Hauptrolle im Film «Die Männer». Brando spielte einen Offizier, der im Zweiten Weltkrieg von einer Kugel im Rücken getroffen wird, dadurch eine Querschnittlähmung erleidet und sich einer langwierigen Rehabiltation unterziehen muss. Seine Leistung machte die Kritiker hellhörig, die «Los Angeles Times» etwa schrieb: «Der Film führt mit Marlon Brando eine faszinierende Persönlichkeit ein… zweifellos bestimmt für viel künftige Aufmerksamkeit.»
Der junge Mime, nunmehr mit einem Ruf eines soliden Charakterdarstellers, erhielt alsbald weitere interessante Angebote der Filmbranche. Zunächst nahm er unter der Regie von Elia Kazan an der Verfilmung von «Endstation Sehnsucht» teil, die fast mit der gleichen Besetzung wie am Broadway gedreht wurde.
Es folgten «Viva Zapata!», eine Biografie des mexikanischen Revolutionärs Emiliano Zapata und die Shakespeare-Tragödie «Julius Cäsar», in der Brando den Antonius darstellte. Für diese Rolle musste er sich gewissenhaft vorbereiten. Seine mangelhafte Schulbildung und die nuschlige Aussprache – die er lebenslang beibehielt – waren für die Gestaltung einer Shakespeare-Figur alles andere als angemessen. Letztendlich gelang es ihm jedoch, zu überzeugen und besonders der berühmte Monolog «Friends, Romans, countrymen, lend me your ears» erhielt einstimmiges Lob.
Einen ersten Höhepunkt in seiner Karriere stellt «Die Faust im Nacken» (1954) dar, in dem Brando einen heruntergekommenen Boxer darstellt, der in einem korrupten Hafenarbeitermilieu sein Dasein fristet. Regisseur Elia Kazan, wissend, was er von seinem Hauptdarsteller verlangen konnte, forderte das absolut Mögliche von ihm. Brando leistete Unwahrscheinliches und wurde mit einem Oscar ausgezeichnet.
Brando als Pate – der absolute Karrierehöhepunkt
Es folgten Streifen von unterschiedlicher Qualität. Enttäuschend war zum Beispiel «Désirée», ein Kostümfilm über Napoleon und seine zeitweilige Verlobte. Brando stritt sich während der Dreharbeiten mit dem Regisseur Henry Koster über die Gestaltung seiner Rolle. Im Endeffekt entstand ein exzentrischer Napoleon, der nicht überzeugte.
1962 spielte er in «Meuterei auf der Bounty» den Offizier Fletcher Christian. Der aufwändige Film, für dessen Produktion das historische
Schiff originalgetreu nachgebaut wurde, erregte internationales Aufsehen. Brandos Darstellung des Anführers
der Meuterer wurde allerdings als «frivol» und «oberflächlich» bewertet. Nicht so seine Leistung zehn Jahre später als Don Corleone, dem Mafia-Boss in «Der Pate» von Francis Ford Coppola. Hier zog er sämtliche Register seines Könnens. Mit minimaler Gestik, knapper Körpersprache und brüchiger Stimme verwendete er die Technik des systematischen Untertreibens als beeindruckendes Ausdrucksmittel. Ohne Zweifel zeigt die Figur des Paten den absoluten Höhepunkt von Brandos Leistungspotenzial.
Coppola verpflichtete ihn 1979 noch einmal, um in dem Vietnam-Epos «Apocalypse Now» den wahnsinnigen Oberst Kurtz darzustellen. Als Brando bei den Dreharbeiten erschien, war Coppola über sein Übergewicht entsetzt. Daher entschied er, sämtliche Aufnahmen von Brandos Figur vor dunklem Hintergrund zu drehen. So ist er paradoxerweise in einer seiner reifsten Darstellungen kaum zu sehen.
Marlon Brando, der am 3. April 100 Jahre alt geworden wäre, wurde von zahllosen Kollegen bewundert und nachgeahmt. Für James Dean, Richard Burton und Rod Steiger war er ein Vorbild. Paul Newman musste sich zu Beginn seiner Karriere vorwerfen lassen, er sei eine Kopie Marlon Brandos. Was seine Größe als Künstler ausmacht, hat seine Kollegin Julie Harris so formuliert: «Marlon spielte aus einer angeborenen Gefühlskraft heraus. Es war nicht einstudiert, es geschah einfach.»