«Musik ist die einzige Sprache, in der man nicht lügen kann»
Die Eltern des großen Geigers stammten aus Weißrussland und lebten eine zeitlang in Palästina. Der Vater ließ sich 1913 in den Vereinigten Staaten nieder, um an der New Yorker Universität zu studieren. Dort heiratete er und drei Jahre später kam Yehudi zur Welt. Den Namen – Yehudi bedeutet auf Hebräisch «Jude» – gab ihm die Mutter als Reaktion auf eine antisemitische Bemerkung einer Vermieterin.
Die drei Kinder der Menuhins erwiesen sich als hochmusikalisch. Der Pianist Marcel Ciampi bemerkte dazu: «Der Bauch von Madame Menuhin ist ja ein wahres Konservatorium!» Die Kinder bekamen nun die bestmögliche Ausbildung. Yehudi erhielt Geigenunterricht und die Schwestern Hephzibah und Yaltah ließen sich als Pianistinnen ausbilden.
Yehudis außerordentliches Talent brachte ihm bald den Ruf eines Wunderkinds ein und öffnete ihm die Tore, um bei herausragenden Musikern in die Lehre zu gehen. Der prominenteste war der rumänische Komponist, Geiger und Dirigent George Enescu.
Gleichzeitig hatte der junge Künstler eine beachtliche internationale Karriere aufgebaut. Im Jahr 1927 gab er an der Carnegie Hall mit Beethovens Opus 61 seinen Einstand. Im Jahr darauf nahm er seine ersten Schallplatten auf und 1929 schenkte ihm ein Mäzen die Stradivari «Khevenhüller».
Bach, Beethoven und Brahms an einem Abend
Am 12. April jenes Jahres debütierte Yehudi Menuhin in Berlin. Zusammen mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Bruno Walter absolvierte der Dreizehnjährige ein riesenhaftes Programm: Bachs E-Dur-Konzert und die Violinkonzerte von Beethoven und Brahms. Damit nicht genug, spielte er als Zugabe den zweiten und den dritten Satz von Mendelssohns Violinkonzert. Albert Einstein, der anwesend war, gratulierte nach dem Konzert Menuhin und versicherte ihm, er habe soeben gelernt, dass es doch noch Wunder gebe.
Menuhin kam früh mit den Werken der großen deutschen Tondichter in Kontakt. Im Jahr 1929 – er war gerade einmal 13 Jahre alt – unterrichtete ihn Adolf Busch, der dafür sorgte, dass der Pianist Hubert Giesen als Klavierpartner an den Unterrichtsstunden teilnahm.
Menuhins Eltern engagierten zusätzlich einen Deutsch- und einen Italienischlehrer. Yehudi konnte sich somit alsbald mit seinen Lehrern in deren Muttersprache verständigen, was außerdem zur Folge hatte, dass er zu dem kulturellen Erbe Mitteleuropas einen optimalen Zugang bekam. Busch und Giesen vermittelten ihm einen direkten Weg zu den Werken der deutschen Meister, die der Hochbegabte wie ein Schwamm aufsog. Menuhins spätere Zitate belegen diesen Tatbestand eindringlich. So äußerte er etwa über Ludwig van Beethoven: «Beethovens große Leistung ist die außergewöhnliche Allgemeingültigkeit seiner Aussage, eine Universalität, die gleichermaßen teilhat an der Wahrheit einer mathematischen Gleichung und an der Wahrheit allgemeinmenschlicher Erfahrung.»
Tiefer noch beeindruckt seine Meinung über Johann Sebastian Bach: «Bach ist der Christus der Musik.» Überraschend ist sein Urteil über Johannes Brahms: «Brahms ist der zarteste von allen Komponisten.» Und überaus bemerkenswert ist schließlich seine Schlussfolgerung: «Ich halte die deutsche Musik für das Edelste, was eine Geige spielen kann.»
Anfang der 1930er Jahre begann Yehudi Menuhins internationale Karriere. Als führender Violinvirtuose war er weltweit gefragt. Später war er auch als Dirigent erfolgreich. Wichtig war ihm stets die Qualität der Musik, womit er beileibe nicht nur die Interpretation meinte, sondern auch das Niveau der Partituren. So mochte er zum Beispiel nicht die äußerlich glänzenden, aber innerlich substanzarmen Konzerte Paganinis. Nur widerwillig nahm er sie in sein Repertoire auf.
Seine Neugierde ließ nie nach. Wenn er sich neue Kenntnisse aneignete, dann tat er es mit dem Wissensdrang eines Kindes, was er einmal wie folgt formulierte: «Ich bin nie erwachsen geworden – nur alt!»
Einsatz für Menschen in Not
Yehudi Menuhins Geigerlaufbahn endete Anfang der 1990er Jahre, als ihm bewußt wurde, dass aufgrund seines fortgeschrittenen Alters seine Technik nicht mehr perfekt war. Von nun an dirigierte er – eine Tätigkeit, die er schon Jahrzehnte vorher ausgeübt hatte und die nun zum Mittelpunkt seines musikalischen Wirkens wurde.
Menuhin starb überraschend vor 25 Jahren, am 12. März 1999, im Berliner Martin-Luther-Krankenhaus an den Folgen einer Bronchitis.
Sein Erbe umfasst nicht nur die große Anzahl Schallplatten, die er aufnahm, sondern auch seine Aussagen als Humanist, der sich stets für Naturschutz, Ökologie, Politik und gemeinnützige Organisationen einsetzte. Ebenso engagierte er sich für Menschen in Not. Während der Zeit der Entnazifizierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich Menuhin entschieden für Wilhelm Furtwängler mit der Begründung ein, der Dirigent habe als Leiter der Berliner Philharmoniker verschiedenen Juden geholfen. Als Zeichen der Versöhnung trat er zusammen mit Furtwängler auf und bemerkte dazu: «Liebe, nicht Hass, wird die Welt heilen.» Und die optimale Art, diese Liebe auszudrücken, war für ihn zweifelsohne in ihrer Unverfälschtheit die Musik, denn, so Menuhin: «Musik ist die einzige Sprache, in der man nicht lügen kann.»