«Das Pferd frisst keinen Gurkensalat»
Der hessische Bäckersohn Philipp Reis hat 1861 das erste Telefon gebaut – aus unter anderem einer Geige, einer Stricknadel und dem Dünndarm eines Schweins. Er wurde bereits mit neun Jahren Waisenkind, machte eine Ausbildung und bildete sich zum Lehrer weiter. Sein Leben lang betrieb er Forschungen und entwickelte schließlich ein Gerät, das Töne übertragen konnte. Er gab seiner Erfindung den Namen «Telephon».
Johann Philipp Reis kam am 7. Januar 1834 als Sohn des Bäckermeisters Karl Sigismund Reis und Marie Katharine im hessischen Gelnhausen zur Welt. Seine Mutter starb bereits kurz nach seiner Geburt, und als er gerade neun Jahr alt war, verlor er auch seinen Vater. Der Junge kam zu seiner Großmutter Susanne Maria Fischer und wurde Schüler der Gelnhäuser Bürgerschule. 1845 ging er ins hessische Friedrichsdorf, wo er bis zu seinem 14. Lebensjahr das Institut Louis Frédéric Garnier – die heutige Philipp-Reis-Schule – besuchte und danach in Frankfurt am Main das Hasselsche Institut.
Ab 1850 absolvierte er eine kaufmännische Lehre in einem Farbenhandel und besuchte die Handelsschule in Frankfurt. 1852 befasste er sich bereits mit dem Gedanken der Sprachübermittlung durch elektrischen Strom.
Er leistete 1855 seinen Militärdienst bei den hessischen Jägern in Kassel und unternahm anschließend verschiedene Studienreisen. Zurück in Frankfurt, nahm er erneut seine naturwissenschaftlichen Studien auf und begann in Heidelberg eine Lehrerausbildung. Als er 1858 als Lehrer für Französisch, Physik, Mathematik und Chemie in einem Knabenpensionat in Friedrichsdorf tätig wurde, konnte er seinen Forschungsinteressen nachgehen. Im selben Jahr heiratete er in Gelnhausen Margaretha Schmidt und erwarb ein Haus in Friedrichsdorf. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, von denen nur der Sohn Karl überlebte.
Der Tüftler von Tönen
Er hatte keine akademische Ausbildung, war aber seit seiner Jugend von den Naturwissenschaften fasziniert. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit Mechanik und Elektrotechnik. Er entwickelte dabei Rollschlittschuhe und ein Veloziped, eine frühe Form des Fahrrads, das mit handgesteuerten Hebeln bewegt wurde.
Besonders befasste er sich mit dem menschlichen Gehör und den Funktionen der einzelnen Teile des menschlichen Ohrs. Dies baute er aus einem Modell aus Holz nach, das er geschnitzt hatte. Sein Ziel dabei war es, die Prinzipien der Erzeugung von Tönen durch diese Gehör-Werkzeuge zu nutzen, um Töne in die Ferne zu übertragen. In Anlehnung an den Telegraphen, nannte er seine Erfindung «Telephon».
Der Erfinder fügte der selbstgeschnitzten Ohrmuschel eine Membran (als Trommelfell) aus einem Schweine-Dünndarm hinzu, das die Schallwellen aus dem Mund des Sprechenden in Stromschwankungen umwandeln sollte. Das Gehörknöchelchen bestand aus einem Platinplättchen und einer Platinspitze. Mit dieser Vorrichtung gelang es ihm, Schall in elektrische Impulse umzuwandeln, die dann per Kabel zu einer mit Kupfer umwickelten Stricknadel geleitet wurden. Die Stricknadel geriet durch die Impulse ins Schwingen und wandelte diese dann in Schallwellen zurück.
An seiner Schule wagte er erste Tests des Instruments, seines «sprechenden Drahts». Zur Prüfung der Tonqualität sprach ein Kollege einige sinnlose Sätze, die dann Reis in einem anderen Raum verstehen sollte. Ob tatsächlich oder lediglich eine Legende, so soll der erste über ein Telefon übertragene Satz «das Pferd frisst keinen Gurkensalat» gewesen sein. Allerdings soll Reis nur die Hälfte verstanden haben, fühlte sich aber dadurch angespornt, das Gerät zu verbessern. So ersetzte er die Ohrmuschel durch einen Trichter und verstärkte die Schwingungen der Stricknadel durch den Korpus einer Geige.
Wissenschaftler lehnen Erfindung ab
Am 26. Oktober 1861 demonstrierte er erstmals seine Apparatur vor Mitgliedern des Physikalischen Vereins in Frankfurt. Sein Vortrag lautete: «Über die Fortpflanzung von Tönen auf beliebige Entfernungen durch Vermittlung des galvanischen Stroms.» Statt aber Wörter und Sätze brachte er den Wissenschaftlern lediglich Musikalisches zu Gehör. Dieses Ereignis gilt inzwischen als offizielles Datum für die Erfindung des Telefons, zumindest in Deutschland.
Sein Apparat übertrug auf einer Strecke von 100 Metern die Klänge eines Waldhorns, ähnlich wie es das menschliche Gehör tut. Gesprochene Worte vermochte es zu übertragen, aber nicht in geeigneter Qualität. So musste Reis diese Schwäche seines «Telephons» eingestehen: «Es ist mir bis jetzt nicht möglich, die Tonsprache des Menschen mit einer für jeden hinreichenden Deutlichkeit wiederzugeben.»
Die ehrwürdigen Herren der Physikalischen Gesellschaft fanden offenbar keinen allzu großen Gefallen am Vortrag des einfachen Lehrers und dessen Vorführung seines Telefons. Sein Gerät wurde als «Kinderkram» abgelehnt und das von Reis an eine physikalische Fachzeitschrift eingereichte Manuskript nicht veröffentlicht.
«Auch dies wird zu einem guten Ende kommen»
Die Schwachstelle seines Telefons lag bei der Empfängerseite. Bei der Übertragung eines komplexeren Frequenzgemischs der menschlichen Sprache schwächelte das Gerät. Reis gab nicht auf und verbesserte den Apparat, zu einem wirklich alltagstauglichen Gerät reifte es aber nicht heran. Die übertragenen Töne blieben leise und weitestgehend unverständlich. Dennoch baute er Prototypen eines kleinen Telefons, die für den Stückpreis von 12 Talern (das würde heute etwa 200 Euro entsprechen) vor allem an Labors und physikalische Kabinette geliefert wurden.
Seine rastlosen Forschungen forderten ihren Tribut: Reis erkrankte an den Atemwegen, was womöglich wegen einer Vergiftung durch die Dämpfe einer Batterie ausgelöst wurde. Ihn drückten bald auch finanzielle Sorgen, da seine Forschung viel Geld verschlang und er nur ein sehr bescheidendes Lehrergehalt bezog.
Philipp Reis ging es weniger um den wirtschaftlichen Erfolg, sondern vielmehr um Anerkennung seitens der Fachwelt. Diese blieb zu seinen Lebzeiten aus, nicht zuletzt wegen seiner fehlenden akademischen Ausbildung. Nach einem weiteren Vortrag 1864 in Gießen wollte man einen Bericht über seine Erfindung in den «Annalen der Physik und Chemie» publizieren, nun wollte er es jedoch nicht mehr. Es folgten dennoch Berichte über die Erfindung, die ebenso wie die erbauten Prototypen des Apparats ihren Weg nach England, Russland und Amerika fanden, sodass andere seine Erfindung weiterentwickelten.
Ein Jahr vor seinem Tod aber sagte Reis 1873 den Erfolg seines «Telephons» voraus. «Ich habe der Welt eine große Erfindung geschenkt, anderen muss ich es überlassen, sie weiterzuführen. Aber ich weiß, dass auch dies zu einem guten Ende kommen wird.» Eine Woche nach seinem 40. Geburtstag erlag er am 14. Januar 1874 in Friedrichsdorf seinem Lungenleiden und wurde auf dem dortigen Friedhof beigesetzt. Der Physikalische Verein in Frankfurt setzte ihm im Jahre 1919 ein Denkmal.