Sein Traum war die Einheit Deutschlands
Er dichtete das Deutschlandlied, komponierte Kinderlieder und musste aufgrund seiner politischen Ideen ins Exil gehen. Er wurde verfolgt und bespitzelt, obwohl er als friedfertiger Mensch am liebsten seiner Tätigkeit als Bibliothekar nachging.
Am 5. Oktober 1841, nachts gegen 22.30 Uhr, gaben Mitglieder der Hamburger Liedertafel und der Turnerschaft von 1816 «bei Fackelschein und mit Horn-musik» dem Politiker Karl Theodor Welcker ein Ständchen. Welcker, der sich in den vergangenen Jahrzehnten entschieden für ein starkes Deutschland mit Kaisertum und die Besinnung auf germanisch-christliche Traditionen eingesetzt hatte, logierte im Hotel am Jungferstieg in Hamburg. Die Sänger trugen zum ersten Mal öffentlich das «Lied der Deutschen» vor. Der Text stammte von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der ihn zur Musik der Kaiserhymne «Gott erhalte Franz den Kaiser» von Joseph Haydn geschrieben hatte. Es folgten weitere nationalistische Gesänge und der Schweizer Journalist François Wille ließ Welcker hochleben. Dass das Deutschlandlied später zur Nationalhymne erklärt werden sollte, war an dem Abend nicht vorauszusehen.
Auch Hoffmann von Fallersleben bewegten andere Gedanken, als er einige Monate vorher die Verse zu Papier brachte. Jahre später berichtete er über die Entstehung der Dichtung, wobei die Schilderung des Besuchs seines Verlegers Julius Campe auf Helgoland entscheidend ist: «Am 29. August (1841) spaziere ich mit Campe am Strande. ‚Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber 4 Louisd’or.‘ Wir gehen in das Erholungszimmer. Ich
lese ihm: ‚Deutschland, Deutschland über Alles‘, und noch ehe ich damit zu Ende
bin, legt er mir 4 Louisd’or auf meine Brieftasche. Neff steht dabei, verwundert über seinen großen Collegen. Wir berathschlagen, in welcher Art das Lied am besten zu veröffentlichen ist.» Kaum fünf Tage danach «bringt mir Campe das Lied der Deutschen mit der Haydn’schen Melodie in Noten, zugleich mein Bildniß, gezeichnet von C. A. Lill.»
Appell für die Einheit
Die Anfangszeile des Liedes «Deutschland, Deutschland über alles» hat im Laufe der Zeit, besonders nach 1945, als symbolischer Ausdruck des deutschen Großmachtwahns gegolten. Als Hoffmann von Fallersleben den Vers niederschrieb, bestand der Deutsche Bund, eine Vereinigung von Fürstentümern, der keine Staatsgewalt, sondern einzig eine «völkerrechtsvertraglich vermittelte Vereinskompetenz» besaß. Der Dichter formulierte mit dem Vers somit einen Aufruf, die Einheit Deutschlands mehr zu schätzen als die Regenten der verschiedenen Einzelstaaten des Deutschen Bundes. Eine Attitüde des Hochmuts von Seiten Hoffmanns gegenüber den anderen Staaten und Völkern ist somit auszuschließen.
August Heinrich Hoffmann wurde 1798 in Fallersleben, heute ein Teil der Stadt Wolfsburg in Niedersachsen, geboren. Um sich unter den zahlreichen Trägern seines Namens zu unterscheiden, nahm er später als Zusatznamen die Bezeichnung seines Geburtsorts an.
Mit 18 begann er in Göttingen «mit wenig Geld und Lust», wie er meinte, ein Theologiestudium. Zwei Jahre später lernte er in Kassel den Sprach- und Literaturwissenschaftler Jacob Grimm kennen, der ihn beeinflusste, deutsche Sprache und Literatur zu studieren.
Es folgten Lehrjahre in Bonn, wo Ernst Moritz Arndt einer seiner Professoren war. Im Jahr 1821 zog Hoffmann mit dem Ziel, Bibliothekar zu werden, nach Berlin.
Ab 1823 arbeitete er in Breslau, wo er an der Universitätsbibliothek Karriere machte und 1835 zum ordentlichen Professor berufen wurde.
Irrfahrt ins Exil
In den Jahren 1840 und 1841 veröffentlichte er die «Unpolitischen Lieder», eine Sammlung von insgesamt 290 Gedichten, die eine Auflage von 12.000
Exemplaren erreichte. Seine darin ausgedrückte liberale Haltung und sein entschiedener Einsatz für die Einheit Deutschlands hatten 1842 seine Entlassung als Professor zur Folge. Damit nicht genug, wurden ihm «politisch anstößige Grundsätze und Tendenzen» vorgeworfen. Hoffmann verlor die preußische Staatsbürgerschaft, musste ins Exil gehen und wurde fortan ständig bespitzelt.
Während dieser Irrfahrt, in der Hoffmann in unzähligen Orten unterkam, fand er auf dem Land eine gewisse Ruhe, was ihm ermöglichte, sich zu sammeln, um seiner geliebten Dichtkunst nachzugehen.
Nach der Revolution im Jahr 1848, an der er nicht aktiv teilnahm, wurde Hoffmann durch ein Amnestiegesetz rehabilitiert, erhielt jedoch seine Professur nicht zurück.
Im Oktober des folgenden Jahres heiratete Hoffmann, der mittlerweile 51 war, seine 19-jährige Nichte Ida vom Berge, mit der er vier Kinder bekam. 1854 zog er mit seiner Familie nach Weimar, um eine literaturwissenschaftliche Zeitschrift zu leiten. Sein letztes Amt trat er 1860 als Bibliothekar in der Fürstlichen Bibliothek auf dem Schloss Corvey an. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben starb am 19. Januar 1874 – vor genau 150 Jahren – auf Schloss Corvey. Sein Wunsch eines vereinten Deutschlands, der ihn lebenslang begleitet hatte, ging 1871 mit Otto von Bismarcks Gründung des Deutschen Reichs zum Teil in Erfüllung.
Außer seinem dichterischen Vermächtnis hinterließ Hoffmann von Fallersleben zahlreiche Kinderlieder, die er gedichtet und komponiert hatte. «Alle Vögel sind schon da», «Ein Männlein steht im Walde», «Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald», «Summ, summ, summ», «Morgen kommt der Weihnachtsmann» und «Wer hat die schönsten Schäfchen» gehören zum deutschsprachigen Volksliedgut und erfreuen sich heute wie damals größter Beliebtheit.