Ein einzigartiges Modell für Patienten mit Verbrennungen
145.000 Kinder mit Verbrennungen hat die Corporación de Ayuda al Niño Quemado (Coaniquem) bisher erfolgreich behandelt, vielen von ihnen das Leben gerettet. Jorge Rojas Zegers, der Gründer dieser gemeinnützigen Organisation, leitet sie heute noch. Trotz seiner zeitaufwändigen Tätigkeit hat er noch einen künstlerischen Beruf erlernt: Seine Leidenschaft ist die klassische Gitarre, mit der er Konzerte zu geben pflegt.
Der junge Chirurg Jorge Rojas Zegers hatte kaum zwei Jahre Berufserfahrung, als er ein schicksalhaftes Erlebnis hatte. Ins Krankenhaus Roberto del Río, wo Kinder mit Verbrennungen behandelt wurden, «kam im Jahr 1976 ein Junge mit sehr starken Verletzungen zu uns», erinnert er sich. «Wir haben es geschafft, dass er überlebte, indem wir Techniken anwandten, die damals noch nicht bekannt waren.» Nun dachten die Ärzte darüber nach, was mit den furchtbaren Narben des Sechsjährigen zu tun war: «Denn in dem Zustand konnten wir ihn ja nicht nach Hause schicken!»
Rojas und seine Kollegen begannen, sich mit den modernsten Behandlungsmethoden weltweit zu beschäftigen, wandten sie an «und das Ergebnis war großartig!» Dies ermutigte sie, ihre Forschungen fortzuführen, bis einige Zeit später die Krankenhausleitung Rojas bat, die Tätigkeit einzustellen. Das Land machte eine Wirtschaftskrise durch, weshalb sich das Krankenhaus diese Ausgaben nicht mehr leisten konnte. Der junge Arzt fragte sogleich nach, ob er Unterstützung erhielte, wenn er die Untersuchungen außerhalb des Krankenhauses durchführen würde. Der Krankenhausleiter sagte ihm die Hilfe zu, «und so entstand Coaniquem, eine gemeinnützige Organisation».
Im April 1979 erfolgte die Gründung. Die Frage lautete nun, wo das Behandlungszentrum gebaut werden sollte. «Wo sich am meisten Kinder verbrennen», lautete die Antwort. Das war eindeutig die Gemeinde Pudahuel. Die Entscheidung war getroffen. Rojas und seine Arbeitsgruppe sprachen bei Felipe Montero vor, dem damaligen Bürgermeister von Pudahuel, der sich von der Idee sogleich begeistern ließ und den Gründern per Leihvertrag ein drei Hektar großes Grundstück zur Verfügung stellte. Die Professoren und Studenten der Architekturfakultät der Universidad de Chile entwickelten ehrenamtlich die Pläne für den Bau, den sie auch beaufsichtigten. Außerdem unterstützte die Esso Chile (heute
Petrobras) finanziell das erste, 100 Quadratmeter große Behandlungszentrum.
Ziel war es, die Einwohner von Pudahuel zu betreuen. «Wir waren zunächst sechs Personen», erzählt Rojas, «es kamen aber auch bald Patienten aus anderen Gemeinden.» Also musste das Gebäude vergrößert und mehr Personal eingestellt werden. Es glückte «mit großen Schwierigkeiten», wie der Gründer unterstreicht, die nötigen Mittel aufzubringen und ein Behandlungsprogramm zu entwickeln, das die Einwohner der gesamten Hauptstadtregion berücksichtigte.
Als nun unvorhergesehen Kinder aus den Regionen zur Behandlung kamen, entwickelte Coaniquem einen landesweiten Plan. «Die Versorgung ist gut und umsonst», sagt Jorge Rojas nicht ohne Stolz, «nie hat ein Patient auch nur einen Peso für seine Behandlung zahlen müssen.» Die «Idealisten von Coaniquem», wie Jorge Rojas die Gründer nennt, waren außer ihm Dr. Ricardo Ayala, der Rechtsanwalt Sergio Domínguez und der inzwischen verstorbene Prothesenfachmann Guillermo Ibarra.
Heute arbeitet Coaniquem mit 20 Ländern zusammen: «Wir übernehmen von ihnen schwierige Fälle, die wir hier behandeln. Latam schenkt uns die Flugtickets und innerhalb des Landes reisen die Patienen mit Tur Bus umsonst.» Damit nicht genug, übernachten die Patienten, die noch zur Schule gehen, in der Einrichtung «Casa Abierta» und können regelmäßig zum Unterricht gehen. Zusammenfassend erklärt Rojas: «Dieses System hat 16 Fachgebiete, in denen sich Medizin und Pädagogik überschneiden, womit es ein weltweit einzigartiges Modell ist», das seit seiner Gründung sage und schreibe über 145.000 Patienten behandelt hat.
Dabei wird das Wohlbefinden der Patienten in jeder Hinsicht berücksichtigt. Zum Beispiel können sie auch Konzerte besuchen. Rojas selbst gab kürzlich ein Gitarrenkonzert. Er entstammt einer Familie, in der die Musik seit jeher gepflegt wird: «Doña Isidora Zegers, die Gründerin des Konservatoriums, war die Schwester meines Ururgroßvaters», erzählt er augenzwinkernd.
Jorge ging noch zur Schule, als er ein Gitarrenstudium bei Liliana Pérez Corey begann. Gleichzeitig ging er seinem Medizinstudium nach. 1972 machte er sein Diplom als Gitarrist, zwei Jahre später beendete er erfolgreich sein Medizinstudium. Die Eltern bewahrten daheim eine Sammlung von Werken für Gitarre auf, die in Chile in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts komponiert und zum großen Teil in Leipzig gedruckt worden waren. Sie wurden damals in den üblichen Abendsoireen gespielt, die in den 1930er Jahren aus der Mode kamen, weil Musikinteressierte nun, statt in Konzerte zu gehen, lieber Radio hörten. Jorge vervollkommnete die Sammlung, die er in der Sendung «Tertulias del 900» in Radio Universidad de Chile vorstellte. Das Programm hielt sich fast sieben Jahre.
Die musikalische Tätigkeit hat seinen Medizinerberuf maßgeblich beeinflusst, stellt er fest: «Musik verleiht uns Frieden, und wenn du in einem so schwierigen Fachgebiet wie der Behandlung von Verbrennungen arbeitest, dann erlangst du mit ihr dein Gleichgewicht wieder. Zum Zweiten lässt sie dich das Leben anders sehen, und nachher entdeckst du, dass die Schönheit und die Güte mit ihr einhergehen und du sie auf die Art und Weise, mit der du mit dem Patienten und seiner Familie umgehst, übertragen kannst. Der Patient ist nun nicht mehr ein Kunde, sondern ein Mensch, ein Kind Gottes.»
Foto: Walter Krumbach