Geboren in Mönchengladbach, wanderte Joseph Pilates in den 1920er Jahren nach New York aus und feierte dort mit dem von ihm entwickelten Körpertraining Riesenerfolge. Seine Methode wird weltweit praktiziert – aber sein Nachlass blieb ungeregelt.
New York (dpa) – Das fünfstöckige Haus an der Eight Avenue mitten in Manhattan wirkt unspektakulär. Ein Supermarkt und ein kubanisches Restaurant sind im Erdgeschoss angesiedelt, die Backsteinfassade mit den großen Fenstern darüber wird teilweise von einem Gerüst verdeckt. Erst der Blick auf das Klingelschild von 939 Eight Avenue gibt einen Hinweis darauf, was dieses unscheinbare Haus für eine Bedeutung für die Geschichte des weltweiten Fitness-Markts
hat:
Gleich mehrere Pilates-Studios sind darauf gelistet, unter anderem eines im zweiten Stock, das den Beinamen «Original Joe’s Place» trägt.
In diesen Räumen mit der Nummer «207» eröffnete der in Mönchengladbach geborene und nach New York ausgewanderte Joseph Pilates, der am 9. Dezember 140 Jahre alt geworden wäre, in den 1920er Jahren das erste Studio für das von ihm entwickelte Körpertraining. Von hier ausgehend eroberte die Trainingsmethode Pilates die Welt – und wird bis heute von Millionen Menschen an unzähligen Orten gelehrt und praktiziert.
Trainer für Boxer und Polizisten
Schon der Vater von Joseph Pilates war begeisterter Turner gewesen, wie Wissenschaftlerin Eva Rincke in einer Biografie über den Trainer schreibt. Sein Geld verdiente er allerdings als Schlossergeselle, seine Frau war Hausfrau, das Paar hatte mehrere Kinder. Der 1883 geborene Joseph Pilates absolvierte nach der Schule eine Lehre als Bierbrauer, aber interessierte sich genau wie sein Vater für jede Art der Bewegung – ob Boxen, Turnen oder Gymnastik. «Körperliche Fitness ist die erste Voraussetzung für Glück», schrieb er später in einem seiner Bücher. Im Ersten Weltkrieg kam Pilates in ein britisches Internierungslager, wo er begann, die Menschen um ihn herum zu trainieren. Zurück in Deutschland machte er damit weiter, gründete Berichten zufolge eine Box-Schule in Gelsenkirchen und trainierte Polizisten in Hamburg.
Aus «Contrology» wird die Pilates-Methode
Mitte der 1920er Jahre wanderte Pilates dann nach New York aus. Auf dem Schiff über den Atlantik lernte er seine spätere Ehefrau kennen, eine ausgebildete Krankenschwester. Gemeinsam eröffneten sie das Studio an der Eight Avenue in Manhattan, wo das Körpertrainingsprogramm gelehrt werden sollte, an dem Pilates nun schon seit vielen Jahren gearbeitet hatte. Er nannte es zunächst «Contrology», als Pilates-Methode eroberte es später die Welt.
Ziel des Ganzkörpertrainings ist die Stärkung der tieferliegenden Muskulatur, insbesondere von Beckenboden, Bauch und Rücken. Auch Dehnung, Atmen und Körperhaltung spielen eine große Rolle – der Körper soll zentriert und stabilisiert werden. Die dutzenden verschiedenen Übungen können auf einer Matte, auf dem Boden oder auf speziellen Maschinen durchgeführt werden, von denen Pilates viele selbst erfand und patentieren ließ.
Pilates-Fans Katherine Hepburn und Lauren Bacall
Schon bald zog das Studio des Ehepaar Pilates viele Kunden an, darunter auch zahlreiche Prominente wie die Tänzer Martha Graham und George Balanchine und die Schauspielerinnen Katherine Hepburn und Lauren Bacall. Auch den deutschen Boxer Max Schmeling soll Pilates in New York trainiert haben – mit ihm und vielen anderen Interessierten soll Pilates individuell an ihren jeweiligen körperlichen Herausforderungen gearbeitet und manchmal sogar eigene Übungen für sie erfunden haben.
Bis ins hohe Alter trainierte Pilates mit Akribie und Detail-Versessenheit sich selbst und seine Schüler. Er schrieb mehrere Bücher über die von ihm erfundene Methode. Nach seinem Tod im Alter von 83 Jahren 1967 lehrte seine Witwe Clara die Pilates-Methode bis zu ihrem eigenen Tod noch rund zehn Jahre weiter. Zahlreiche Schüler der beiden eröffneten eigene Studios und trugen so dazu bei, dass sich die Methode weltweit verbreitete.
Pilates – ein ungeschützter Begriff
Das Ehepaar Pilates hatte keine Kinder und Joseph Pilates hinterließ weder ein Testament noch regelte er die Weiterführung seiner Arbeit. Das führte dazu, dass der Begriff Pilates nicht geschützt ist – was immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten führt. Im Jahr 2000 entschied eine Richterin in New York, dass der Begriff Pilates von jedem benutzt werden darf – wie Yoga oder Aerobic. Geklagt hatte der Pilates-Lehrer Sean Gallagher, der einst mit einer Schülerin von Joseph Pilates zusammengearbeitet hatte und von dieser einem Bericht der «New York Times» zufolge unter anderem auch mehrere Kisten mit Material und Fotos des Ehepaar Pilates gekauft hatte.
Pilates’ Geburtsort Mönchengladbach hat eine Gedenkplakette für den Körpertrainer aufgestellt und denkt über ein Museum nach, konnte dessen Geburtshaus bei einer Zwangsversteigerung im vergangenen Jahr aber zumindest zunächst nicht erwerben. Unterdessen trainieren weltweit täglich Millionen Menschen weiter mit der Methode des Mönchengladbachers – viele vielleicht, ohne zu wissen, dass hinter dem Namen wirklich ein Mensch steckte.
Das Interesse an Pilates und anderen Fitness- und Wellness-Angeboten wie beispielsweise Yoga war zu Zeiten des Pilates-Erfinders selbst noch eine Nische, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist es extrem angestiegen – ein Welterfolg. Pilates selbst soll kurz vor seinem Tod im Krankenhaus gesagt haben: «Ich bin meiner Zeit 50 Jahre voraus.»