Präsidentin des Verbands für Landwirtschaft und Viehzucht der Region Los Ríos
«Die Landwirtschaft hört nicht auf»
Bodenständig ist die in Valdivia geborene Mónica Oettinger, die bis heute auf dem landwirtschaftlichen Hof der Familie in der Nähe der südchilenischen Stadt lebt. Von Kind an ist sie vertraut mit dem Leben und der Arbeit in der Landwirtschaft.
Der Vater war Landwirt und hauptsächlich Milchproduzent, die Mutter kümmerte sich um die drei Kinder. «Wir haben das Landleben zusammen mit meinen Geschwistern und der erweiterten Familie sehr genossen. Es war ein friedliches Zusammensein. Heutzutage bewirtschaften mein älterer Bruder, meine jüngere Schwester und ich den Hof und wir teilen die verschiedenen Arbeiten untereinander auf», erzählt Mónica, die bis zum Abitur die Deutsche Schule Valdivia besuchte und danach in ihrer Heimatstadt Betriebswirtschaft studierte.
Bezüglich ihrer deutschen Herkunft weiß sie, dass die ersten Oettingers – es waren mehrere Brüder – Anfang des 19. Jahrhunderts nach Chile einwanderten. Mütterlicherseits kam ihr Großvater Wohlgemuth um 1920 nach Chile. Er war der einzige seiner Familie, der nach Amerika auswanderte. «Früher wurde zuhause Deutsch gesprochen, jedoch ist dieser Brauch heutzutage leider verloren gegangen.»
Als ihr Vater starb, habe die Familie nicht genau gewusst, wie die Felder bearbeitet werden sollten: «Wir haben zwar immer auf dem Land gelebt, aber die Kontrolle und Gesamtplanung zu übernehmen, stellte uns vor einige Herausforderungen. Wir wandten uns an einige der ehemaligen Freunde meines Vaters, damit sie uns in den verschiedenen Bereichen beraten.»
Mónica wurde eingeladen, in den Verband für Landwirtschaft und Viehzucht der Region Los Ríos – Saval F.G. einzutreten und in den Vorstand gewählt. Im Juni dieses Jahres wurde sie nach zweijähriger Amtszeit wiedergewählt, und der Vorstand ernannte sie im Anschluss an diese Versammlung zur Präsidentin. Nach fast 60 Jahren wurde damit erstmals eine Frau Präsidentin der 1944 gegründeten Saval F.G. «Diesen Posten werde ich nun für zwei Jahre übernehmen. Ich hoffe, dass ich aufgrund meiner Fähigkeiten gewählt wurde und nicht wegen der Tatsache, dass ich eine Frau bin. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass meine langen blonden Haare nicht der entscheidende Punkt bei dieser Entscheidung waren!», lacht Mónica Oettinger.
Als Frau in der Landwirtschaft sieht sie die größte Herausforderung darin, tief verwurzelte Vorurteile zu überwinden, welche die Rollen und den Zugang zu Bereichen einschränken, die traditionell von Männern dominiert werden. Zur Bewältigung dieser Probleme gehören ihrer Meinung nach die Förderung der Gleichberechtigung, entsprechende Schulungen, die Etablierung integrativer Richtlinien und die Ermutigung der Frauen zur Beteiligung an Entscheidungen in der Agrarindustrie.
Die Arbeit, die in dieser Branche von Frauen geleistet wird, werde vielmals immer noch unterschätzt, in einigen Fällen sogar weder sichtbar gemacht noch gewürdigt, stellt sie fest. Außerdem möchte der Verband noch mehr Landwirte überzeugen, sich Saval anzuschließen. Dadurch hätten sie die Sicherheit, dass sie in (über-)regionalen sowie (inter-)nationalen Angelegenheiten kompetent vertreten werden, dass ihre Interessen verteidigt sowie Lösungsansätze für ihre Probleme bereitgestellt werden.
«Unsere Mitglieder kommen aus verschiedenen Bereichen der Landwirtschaft: Milch- und Fleischproduktion, Blumen, Obstanbau und Saatgut. Wir sind das Bindeglied zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor und haben das Ziel, ein Gemeinwesen zum Wohle aller zu schaffen. Dabei legen wir Wert auf Nachhaltigkeit in landwirtschaftlichen Prozessen. Zurzeit arbeiten wir beispielsweise an einem Projekt zur Beseitigung von Plastikmüll. Eines der Hauptziele ist es, junge Menschen wieder für die Arbeit in der Landwirtschaft zu begeistern. Vor allem benötigt der Agrarsektor entsprechend ausgebildete Facharbeiter, welche die neuen Maschinen mit Präzisionstechnik bedienen können. Die Landwirtschaft hört nicht auf, es muss weiterhin viel getan werden, damit unsere Landwirte jeden Tag für die Ernährungssicherheit Chiles arbeiten können.»
Die alleinstehende Mónica Oettinger hat einen Sohn, Sebastian, der ebenfalls die Deutsche Schule in Valdivia besucht und danach in Santiago Betriebswirtschaft studiert hat. Derzeit nimmt er in Australien an einem Working-Holiday-Programm teil.
Trotz der raren Freizeit ist es Mónica wichtig, sich mit Freunden zu treffen, zu wandern, zu verreisen und in letzter Zeit auch Paddle-Tennis zu spielen. Sie genießt es sehr, mit der Familie viel Zeit in der Natur zu verbringen. Besonders an Wochenenden im Frühling und Sommer kommen oft Freunde mit oder ohne Einladung auf den Hof. Es macht ihr sehr viel Spaß, für Freunde und Familie zu kochen. Pasta- und Fleischgerichte sind ihre Spezialitäten und die Speisen, die am meisten nachgefragt werden. Kurze und lange Spaziergänge helfen, fit zu bleiben und sich eine Meinung darüber zu bilden, wie die Felder bearbeitet werden müssen und was die Landwirtschaft wirklich bedeutet.
Gefragt, ob sie es sich vorstellen könnte, in Santiago zu leben, antwortet sie: «Das war nie wirklich eine Option, obwohl ich sehr gerne für ein paar Tage in die Hauptstadt reise. Das Leben im Süden ist ruhiger und nicht so stressig. Valdivia ist eine sehr gesellige Stadt zum Leben, umgeben von viel Natur. Verschiedene Flüsse münden hier, das Meer ist nur ein paar Minuten entfernt, das Gastronomieangebot vielfältig. In der Universitätsstadt, es gibt vier Hochschulen, ist immer etwas los. Ich liebe das Landleben – in der Natur, umgeben von Feldern, Wäldern und Flüssen zu leben, ist ein unglaubliches Geschenk.».