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Maria Callas zum 100. Geburtstag

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«Ich habe dir alles gegeben!»

1957 wird Maria Callas zur elegantesten Frau der Welt gewählt. 

Ihre Bühnenpräsenz riss Opernliebhaber zu Begeisterungsstürmen hin. Mit ihrer ausdrucksstarken Stimme war sie nicht nur fähig, edle Gestalten zu schaffen, sondern auch die subtilsten Gefühlsregungen auszudrücken. Wenn es um ihre künstlerische Leistung ging, war sie kompromisslos und beanspruchte von den Kollegen, mit denen sie auf der Bühne stand, den gleichen intensiven Einsatz, den sie sich selbst abverlangte. Ein Dutzend Jahre war Maria Callas weltweit die Sängerpersönlichkeit schlechthin. Sie wurde zur Legende, verursachte ungewollt Skandale und kam in die Schlagzeilen der Klatschpresse, der sie Stoff für pikante Geschichten lieferte.

Im Jahr 1958 – sie ist gerade einmal 35 – hat Maria Callas den Gipfel ihrer Karriere erreicht. In Dallas wird sie als Cherubinis «Medea» gefeiert. Zwei Jahre zuvor hatte sie an der New Yorker Metropolitan Opera House (Met) als «Norma» von Bellini debütiert, was den Generalmanager Rudolf Bing veranlasste, mit ihr weitere Engagements auszuhandeln. 

Die Zusammenarbeit lief aber nicht gut. Bing, der sich an seine Aufführungstermine halten musste, verlor die Geduld und schickte der Sängerin ein Telegramm nach Dallas, um den Vertrag mit ihr zu kündigen. Die Presse titelt: «Met feuert Callas!» Flugs stürzen sich die Reporter auf die Sängerin, vor laufenden Kameras sagt sie: «Ich hatte den Vertrag für nächstes Jahr abgelehnt, da es der alte Spielplan war. Also wieder ‚Norma‘, die schon alle gesehen haben, ‚Barbier von Sevilla‘, ,Traviata‘, ‚Lucia‘… ich kann nicht immer dasselbe spielen! Ich will neue, gute Aufführungen! Das macht man hier in Dallas doch auch! Die Aufführungen sind, mit Verlaub, miserabel. Und ich kann nicht ständig den Partner wechseln! Zehn Mal ‚Macbeth‘ heißt zehn verschiedene Tenöre und Baritone. Tut mir leid, das mache ich nicht. Das muss mal klargestellt werden. Bei ‚La traviata‘ kannte ich nicht mal das Bühnenbild und meine Partner ebenso wenig.» 

So deutlich hatte bisher niemand dem übermächtigen Rudolf Bing die Leviten gelesen. Später gibt Bing nach, nur zu gut wissend, dass er die einmalige Sängerdarstellerin ihren Anhängern nicht weiter vorenthalten kann. Es kommt zur Versöhnung, die Opernfanatiker der Millionenstadt haben «ihre» Callas wieder.

«Folgsam, intelligent, sehr fleißig»

Maria Callas arbeitete ihre Rollen bis zum kleinsten Detail aus.  

Maria Callas wird am 2. Dezember 1923 in New York in eine griechische Einwandererfamilie hineingeboren. Mit vier stellt sie sich ans offene Schlafzimmerfenster und singt schallend über die Straße, sodass die verdutzten Autofahrer anhalten und sie neugierig beobachten. Mit acht erhält sie von einer gewissen Signorina Sandrina ihre ersten Klavier- und Gesangstunden. 

Nach der Trennung der Eltern kehrt die Mutter mit den beiden Töchtern nach Griechenland zurück. In Athen studiert Maria zunächst am Konservatorium. Von 1938 bis 1943 erhält sie von der spanischen Koloratursopranistin Elvira de Hidalgo den entscheidenden Schliff. Die Lehrerin ist später voll des Lobes über ihre beste Schülerin: Sie sei «folgsam, intelligent und fleißig, sehr fleißig» gewesen. «Man musste ihr nichts zweimal sagen. Sie sagte: ‚Ja, verstanden.‘ Am nächsten Tag saß alles. Sie kam als Erste und ging als Letzte. Das war erstaunlich. Wie konnte sie nur fünf Stunden da bleiben? Sie hörte sich alle anderen an…»

Im Jahr 1941 debütiert sie in Athen. Sie singt eine kleine Rolle in der Operette «Boccaccio» von Franz von Suppé. Es folgen die Hauptrolle in Puccinis «Tosca», Marta in d’Alberts «Tiefland» und  1944 – Athen ist von den Deutschen besetzt worden – Leo-
nore in Beethovens «Fidelio». Der deutsche Kritiker Friedrich Herzog überschlägt sich mit Lob für die 21-jährige Sängerin: «Als Maria Kaloyeropoulous ihren Sopran im ungehemmten Jubel des Duetts strahlend aufsteigen ließ, erhob sie sich zu erhabensten Höhen.» 

Nach dem Krieg will sie ihre internationale Karriere in Angriff nehmen. Sie besucht den Vater in New York und erhält von Edward Johnson, dem Generalmanager der Met, einen Termin zum Vorsingen. Johnson erkennt sofort ihr Talent und bietet ihr Butterfly und Fidelio an. Die Aufführungen sollen in Philadelphia auf Englisch über die Bühne gehen. Aber weder die Rollen noch die Sprache passen ihr ins Konzept. Zum größten Erstaunen Johnsons weist Callas das Angebot zurück. Sie trifft Giovanni Zenatello, der sich in New York nach einer Sängerin umschaut, die in der Arena von Verona Gioconda darstellen soll. Callas singt ihm vor, er nimmt sie auf der Stelle.  

Sie reist nach Italien, wo sie den wohlhabenden Unternehmer Giovanni Battista Meneghini kennenlernt. Er ist 28 Jahre älter als Maria, versteht etwas von Gesang und ist ein scharfsinniger Geschäftsmann. Zunächst berät er die unerfahrene Künstlerin in finanziellen Dingen, sie verlieben sich und beschließen zu heiraten. 

Versöhnung mit Rudolf Bing. Links im Bild: Giovanni Battista Meneghini  

Ihre Gioconda ist unter der Leitung des Dirigenten Tullio Serafin erfolgreich. Danach ist sie stellenlos, bis sie sich bei Serafin als Wagners Isolde beim Teatro La Fenice in Venedig bewerben kann und die Rolle erhält. Die Callas darf nun Brünnhilde in Wagners «Walküre» singen. Zeitgleich gibt La Fenice «I puritani» von Bellini, dessen Darstellerin der Elvira, Margherita Carosio, erkrankt ist. Serafin bietet Callas die Rolle an. Sie lernt Text, Noten und Spiel in einer Woche und triumphiert. 

Nach ihrem internationalen Durchbruch folgen weitere Engagements an großen Bühnen, in wenigen Jahren wird sie zum Weltstar. Dafür muss sie hart arbeiten, nicht nur auf der Bühne. Die 108 Kilogramm schwere Diva nimmt ab, bis sie einen Taillenumfang von 56 Zentimetern erreicht. Callas kleidet sich in den besten Modehäusern, 1957 kürt die Zeitschrift «Vogue» sie zur elegantesten Frau der Welt.

Brillante Technik und dramatische Kraft

«Tosca» hinter den Kulissen mit Renato Cioni und Tito Gobbi

Maria Callas‘ Stimmfarbe ist einzigartig. Man erkennt sie nach der ersten Note. Das edle Metall ist nicht zu verwechseln. Und wie sie damit umgeht! Sie kann lyrisch aufblühen, aber auch messerscharf schneidend artikulieren. Die Emotionen sind echt, reißen mit, bewegen tief. Die Sängerin lebt sich in ihre Gestalten ein, die Gefühle kommen wie von selbst. In einem Interview erläutert sie: «Bevor man anfängt, etwas zu singen, muss es für das Publikum auf deinem Gesicht erkennbar sein. Man muss das verinnerlichen, es durch die Mimik ausdrücken und dann vortragen. Das ist das Schöne am Belcanto. Man lässt das Publikum schon vorher erahnen, was es dann hören wird.» Im Belcanto – dem «Schöngesang» von Opern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – führt sie mit ihrem Können eine Renaissance ein, die von Künstlerkollegen, Kritikern und Musikwissenschaftlern aufmerksam zur Kenntnis genommen wird.    

Gegen Ende der 1950er Jahre bröckelt es in Callas Ehe. Der Reeder Aristoteles Onassis macht der umjubelten Frau erfolgreich den Hof, Meneghini hat das Nachsehen. Die leidenschaftliche Affäre mit dem steinreichen Griechen verläuft turbulent. Mit den Jahren verliert aber Onassis das Interesse an seiner Geliebten und macht ihr nie einen Hochzeitsantrag.

Im Jahr 1961 beginnt Callas‘ Stimme nachzulassen. Im September singt sie Cherubinis «Medea» in der Mailänder Scala. Während des Duetts mit dem Tenor Jon Vickers im ersten Akt wird in den Rängen gepfiffen. Callas streckt die Faust in Richtung Galerie aus und singt: «Crudel!» (Grausamer!) Dann fährt sie, immer zum Publikum gewandt, fort: «Ho dato tutto a te!» (Ich habe dir alles gegeben!) Die Randalierer halten unversehens Ruhe, am Ende der Vorstellung erhält sie eine Ovation. 

Trauriger Abgesang

Der Stimmverfall ist jedoch nicht aufzuhalten. 1965 tritt sie von der Bühne ab. 

Onassis hat inzwischen Jacqueline Kennedy kennengelernt. Er verlässt Maria Callas und heiratet die berühmteste Witwe der Welt. Die Sängerin nimmt die Kränkung hin und arbeitet weiter. An der Juilliard School in New York gibt sie Meisterklassen in Gesang, die von Experten als erstaunlich beurteilt werden. 

Im Jahr 1973 lässt Callas sich von ihrem einstigen Tenorpartner Giuseppe di Stefano zu einer gemeinsamen Tournee überreden. Di Stefanos Tochter ist an Leukämie erkrankt, er braucht dringend Geld für die teure Behandlung. Die Gastspielreise führt von Hamburg bis Sapporo. Sie ist für die Callas künstlerisch unbedeutend, aber das nostalgische Publikum beklatscht das berühmte Paar wie eh und je. Callas‘ Stimme ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nach dem letzten Konzert in Japan zieht sie sich vollends in ihre Wohnung in Paris zurück.

Es ist ein trauriger Abgesang. Maria Callas, diese bienenfleißige Arbeiterin, die nur mit Höchstleistungen zufrieden war, die stets die Perfektion anstrebte, die dem Regisseur Luchino Visconti widersprach, als er eine Probe beenden wollte, weil er zufrieden war und sie nicht, hat beim Abschied nicht mehr das Zauberinstrument in der Kehle, um diesen hohen Ansprüchen gerecht zu werden. 

Es wird ruhig um Maria Callas – bis zu ihrem Tod im September 1977. Noch einmal macht sie Schlagzeilen, zum letzten Mal. Danach ist Stille. Es bleiben ihre Schallplatten, allesamt Referenzaufnahmen einer Jahrhundertkünstlerin, bewundert von Musikliebhabern und Kollegen. Callas selbst stieg ihre Genialität nicht zu Kopf. Bescheiden, nüchtern und realitätsbezogen meinte sie einmal über sich selbst: «Ich bin kein Engel und gebe auch nicht vor, einer zu sein. Das gehört nicht zu meinen Rollen. Aber ich bin auch nicht der Teufel. Ich bin eine Frau und eine ernsthafte Künstlerin und möchte auch so beurteilt werden.»

Maria Callas – Diskografische Empfehlungen
• Giacomo Puccini: «Tosca»
Maria Callas (Tosca), Giuseppe di Stefano (Cavaradossi), Tito Gobbi (Scarpia) u. a., Coro e Orchestra del Teatro alla Scala di Milano/Victor de Sabata – Aufnahme: 1953
Warner Classics – 3 Vinyl

«Die beste ‚Tosca‘ der Schallplattengeschichte», dank de Sabatas gekonntem Dirigat mit wohldosierter Dramatik und einem superben Solistentrio. Callas hat in di Stefano als passioniertem Liebhaber und Gobbi als grausamem Lüstling ebenbürtige Partner.

• Giuseppe Verdi: «La traviata»
Maria Callas (Violetta), Alfredo Kraus (Alfredo), Mario Sereni (Germont) u. a., Coro e Orquestra Sinfónica do Teatro Nacional de São Carlos, Lisboa/Franco Ghione – Aufnahme: 1958
Warner Classics – 2 CDs

Livemitschnitt einer Aufführung in Lissabon. Mit der mangelhaften Aufnahmetechnik versöhnt man sich bald: Callas gestaltet ihre tragische Figur zutiefst bewegend und der junge Alfredo Kraus lässt mit seinem kultivierten, strahlenden Tenor aufhorchen.  

• Vincenzo Bellini: «Norma»
Maria Callas (Norma), Franco Corelli (Pollione), Christa Ludwig (Adalgisa), Nicola Zaccaria (Oroveso) u. a., Coro e Orchestra del Teatro alla Scala di Milano/Tullio Serafin – Aufnahme: 1960
Warner Classics – 3 CDs

Callas‘ Glanzrolle, die sie unter der Leitung Serafins bereits 1948 (als 25-Jährige) sang. In der vorliegenden, Callas zweiten Studioaufnahme der Oper, ist ihre Darstellung durch interpretatorische Nuancen um noch ein Gran herangereift.
 
• Callas – Mad Scenes
Maria Callas (Sopran), Philharmonia Chorus & Orchestra/Nicola Rescigno – Aufnahme: 1958
EMI – 1 CD

Callas dokumentiert eindrucksvoll die von ihr initiierte Renaissance des Belcanto mit Bravourstücken aus «Anna Bolena» (Donizetti), «Hamlet» (Thomas) und «Il pirata» (Bellini).

Fotos: Archiv, Deutsche Welle, Warner

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