Carl Anwandter ist eine der großen Persönlichkeiten der deutschen Einwanderung in Chile. Über sein Leben in Deutschland ist jedoch wenig bekannt. Jetzt ist ein Buch erschienen, das eben diesen Zeitabschnitt behandelt.
«Anwandter – Ankunft ohne Wiederkehr» lautet der Titel eines 329 Seiten starken Buchs, das in Deutschland erschienen ist. Sein Autor, der Schriftsteller Wolfgang Nagorske, schildert darin den Werdegang des angesehenen Apothekers in der Stadt Calau, wo er als Abgeordneter im Vereinigten Landtag Stadtkämmerer, Bürgermeister und Mitglied der preußischen Nationalversammlung politisch aktiv war. Nagorskes Bericht beginnt während der zweiten Hälfte der 1840er Jahre und endet mit Anwandters Landung in Corral im November 1850. Der Autor gewährt sich sicher literarische Freiheiten, zum Beispiel bei der Ausarbeitung der Dialoge, die ja gezwungenermaßen erfunden werden mussten, hält sich jedoch strikt an die historischen Tatsachen, was die Lektüre überaus interessant und kurzweilig gestaltet.
Carl Anwandter dürfte in Deutschland keine überaus bekannte Persönlichkeit sein. Wie war es trotzdem möglich, dass ein deutscher Schriftsteller sich für diese Figur interessierte und ein Buch über sie schrieb? Wolfgang Nagorske erzählt: «Als ich im Herbst 1992 als Journalist den damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl auf seiner Reise nach Chile und Brasilien begleitete, lernte ich in Santiago einen chilenischen Journalisten kennen. Als er hörte, dass ich aus Cottbus komme, sagte er, dass das ja in der Nähe von Calau liegt. Und so kamen wir ins Gespräch über Carl Anwandter.» Diesen Namen kannte Nagorske nur flüchtig von einem ehemaligen Mitschüler, der inzwischen nach Calau gezogen war.
Wieder zurück in Deutschland, ließ der Name Anwandter den Journalisten nicht los. So kam ihm der Gedanke, ein Buch über ihn zu schreiben: «Ich fing an, aber nach sechs Kapiteln legte ich es zur Seite. Es gefiel mir irgendwie nicht so richtig, zu sachlich, zu sehr reine Biografie. Und so schlummerte es dahin. Ich hatte nach meinem Leben bei der Tageszeitung einen eigenen Verlag gegründet, der mir viel Zeit abverlangte.»
Schließlich nahm er sich die Zeit und schrieb den Roman in 18 Monaten zu Ende. Da die Handlung mit dem Eintreffen Anwandters und seiner Familie in Valdivia endet, drängt sich die Frage auf, ob ein zweiter Band mit der Fortsetzung vorgesehen ist. Nagorske dazu: «Ja, der Wunsch und der Wille sind da, den zweiten Band über Carl Anwandter zu schreiben. Aber ich sehe auch die großen Schwierigkeiten. Die Faktenlage über Anwandters Jahre in Chile ist in Deutschland eher spröde als üppig.» Während eines weiteren Besuches in Santiago besuchte der Autor das Emil-Held-Archiv, wo er die, wie er meint, «großartigen Bestände» einsehen konnte. Aber: «Der Briefwechsel Anwandters zu seinen zurückgeblieben Freunden in Calau wird in der alten deutschen Schrift geführt. Das kann ja auch nicht anders sein. Erst 1926 wurde die lateinische Schrift eingeführt. Obwohl ich Bücher in der alten deutschen Schrift lesen kann, bei Handschriften jedoch bin ich verlassen.»
Das will nicht heißen, dass er das Projekt aufgegeben hat. Im Gegenteil, derzeit sucht Nagorske nach einer Lösung, um den zweiten Teil des Vorhabens in Angriff nehmen zu können.
Indes befindet sich im Emil-Held-Archiv bereits ein Exemplar der neuen Publikation, das Interessenten auf Anmeldung zur Einsicht ausgehändigt wird.
Foto: Sabine Neubert